Kalter Wind peitscht den Polizisten ins Gesicht. 20 Köpfe sind zu Boden geneigt. Die Blicke wandern aufmerksam vor verschlammten Stiefeln hin und her. Mit einem 1,50 Meter langen Eisenstab – in der Fachsprache Sondierungssonde genannt – stochern sie vorsichtig durchs Dickicht bei Gaienhofen auf der Höri.

Bild 1: Mord ohne Leiche: 100 Polizisten suchen auf der Höri nach Vermisstem
Bild: Sebastian Küster

Hinter den Polizisten beobachten drei Gruppenführer das Geschehen. „Weiter nach rechts“, „kommst du durch?“, oder „pass auf!“ rufen sie der Menschenkette zu.

Bild 2: Mord ohne Leiche: 100 Polizisten suchen auf der Höri nach Vermisstem
Bild: Sebastian Küster

Ganz links außen sprüht ein Polizist ein pinkes Dreieck auf den Boden, das anzeigt: Wieder ein Suchabschnitt – ohne Erfolg.

„Wir geben nicht auf“

Seit über einem halben Jahr ist die Polizei auf der Suche nach einem 52-Jährigen Mann aus Gaienhofen-Hemmenhofen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er Opfer eines Tötungsdelikts wurde. Es war nicht die erste Suchaktion, die die Polizei durchführte. „Heute sind vier Gruppen mit über 20 Personen im Einsatz“, sagt Polizeisprecher Oliver Weißflog, während er seine Kollegen bei der Arbeit beobachtet. „Wir geben nicht auf.“

Oliver Weißflog, Pressesprecher Polizeipräsidium Konstanz.
Oliver Weißflog, Pressesprecher Polizeipräsidium Konstanz. | Bild: PP Konstanz

Spürhunde, Helikopter, Wasserschutzpolizei suchen nach der Leiche

Drei ähnliche Suchaktionen hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Spürhunde und ein Helikopter mit Wärmebildkamera waren im Einsatz. Im August wurde die Wasserschutzpolizei mit ins Boot genommen. Sie durchsuchte auch den Grund des Bodensees.

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Alle Aktionen fanden in unmittelbarer Umgebung des Wohnorts des Vermissten statt. „Theoretisch kann er überall sein. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Leiche irgendwo hier ist, ist höher“, lässt sich Weißflog entlocken.

Mehrere Dutzend Kriminalbeamte sind an der Sonderkommission beteiligt

Die Ermittlungen der Sonderkommssion der Kriminalpolizei Friedrichshafen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Höri. Mehrere Dutzend Kriminalbeamte sind laut Weißflog damit beschäftigt, Licht ins Dunkel dieses mysteriösen Verbrechens zu bringen.

Bild 4: Mord ohne Leiche: 100 Polizisten suchen auf der Höri nach Vermisstem
Bild: Sebastian Küster

Eine Spur führt nach Krefeld in Nordrhein-Westfalen

Sie sind eng mit Kollegen aus Nordrhein-Westfalen vernetzt. Denn eine heiße Spur soll unter anderem nach Krefeld führen. Konkreter wird die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen im Gespräch mit dem SÜDKURIER nicht.

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Nur so viel: Derzeit werden in aufwendigen Verfahren zahlreiche Spuren ausgewertet. Das kann mehrere Monate dauern. Die Polizei hofft auf den Durchbruch. Denn Beweise für einen Mord gibt es nach wie vor noch nicht.

„Es gibt aber viele Indizien, die darauf hindeuten, dass der Mann Opfer eines Tötungsdelikts wurde. Die Anhaltspunkte sind sehr konkret“, sagt Weißflog. So konkret, dass zwei Personen seit Anfang August in Untersuchungshaft sitzen. Daran soll sich in absehbarer Zeit nichts ändern.

„In welchem Stadium sich die Leiche nach so langer Zeit befindet, kann ich nicht sagen. Es wird aber sicher nicht einfacher“

Ganz anders als beim Zustand der Leiche. Hier spielt der Faktor Zeit eine sehr wichtige Rolle. Denn je mehr Stunden, Tage, Wochen oder gar Monate vergehen, desto schwerer sei es den Körper aufgrund der vorangeschrittenen Verwesung zu finden. „In welchem Stadium sich die Leiche nach so langer Zeit befindet, kann ich nicht sagen. Es wird aber sicher nicht einfacher“, so Weißflog.

Rechtsmediziner schätzt die Lage für den SÜDKURIER ein

Das bestätigt der Ulmer Rechtsmediziner Erich Miltner auf Nachfrage des SÜDKURIER. Die Wahrscheinlichkeit sei gering, eine Leiche zu finden, „wenn ein Mensch über den Sommer hinweg ein halbes Jahr im Wald liegt. Im Regelfall findet man nur noch die Knochen“, so Miltner.

Bild 5: Mord ohne Leiche: 100 Polizisten suchen auf der Höri nach Vermisstem
Bild: Sebastian Küster

Es komme häufig vor, dass diese von Tieren verschleppt werden. Sollten die eifrigen Polizisten Überreste des 52-jährigen Gaienhofeners finden, dann wahrscheinlich kein vollständiges Skelett. Eher einzelne Knochen, Kleidungsstücke, Plastiktüten.

Die potenziellen Mörder scheinen sich über den Ablageort der Leiche viele Gedanken gemacht zu haben. Wie viele Personen an dem mutmaßlichen Tötungsdelikt beteiligt gewesen sind, ist unklar.

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Ein Tatverdächtiger, der gemeinsam mit den anderen beiden Personen in Untersuchungshaft kam, ist wieder auf freiem Fuß. „Das heißt aber nicht, dass wir die Ermittlungen dahingehend einstellen“, gibt Weißflog zu bedenken. Der dringende Tatverdacht hätte sich jedoch nicht erhärtet.

Ob sich das rätselhafte Kriminal-Puzzle von der Höri irgendwann zusammensetzt, ist ungewiss. Fakt ist: Die Polizei versucht mit allen Mitteln aufzuklären. Und sie wird erst aufhören, wenn das letzte Fünkchen Hoffnung erlischt.