Sind Bürgermeister die neue Zielscheibe für den Unmut mancher Bürger? Der neue Übergriff auf den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer gibt Rätsel auf. Zum einen, weil der 67-Jährige seit 15 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv ist, zum anderen, weil er sich in Kürze in den Ruhestand verabschiedet.

Das undatierte Bild zeigt den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer. Der SPD-Kommunalpolitiker steht seit 2004 an der ...
Das undatierte Bild zeigt den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer. Der SPD-Kommunalpolitiker steht seit 2004 an der Rathausspitze. Am 15. Juli 2019 wurde er von einem Unbekannten angegriffen und verletzt. | Bild: Dany Schleicher

Der Übergriff auf den Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn oder die lebensgefährliche Attacke auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sind vielen noch im Gedächtnis. Der Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke schockierte bundesweit. Müssen sich Kommunalpolitiker an solche Angriffe gewöhnen?

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Umfrage bestätigt Zunahme von Gewalt

Eine Umfrage im Auftrag des ARD-Politmagazins „Report München“ ergab, dass sich die Zahl der Gewaltattacken in den Kommunen tatsächlich erhöht hat: Im Jahr 2017 hatten noch sechs Prozent aller Kommunen angegeben, dass es bereits Übergriffe auf Stadt- und Gemeindemitarbeiter gegeben hat. Nun waren es bereits acht Prozent.

Plakate der damaligen Kölner Obermeisterkandidatin Henriette Reker stehen hinter Absperrbändern der Polizei am Tatort. Die Kölner ...
Plakate der damaligen Kölner Obermeisterkandidatin Henriette Reker stehen hinter Absperrbändern der Polizei am Tatort. Die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ist einen Tag vor der Wahl im Oktober 2015 bei einer Messerattacke in Köln verletzt worden. | Bild: Oliver Berg

Die Zahl der Gewaltattacken stieg damit innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent. Von 11 000 Stadtoberhäuptern in ganz Deutschland haben der Studie zufolge etwa zwei Prozent Gewalt am eigenen Leib erfahren. Nicht nur Bürgermeister, auch Stadt- oder Gemeinderäte seien betroffen. Vier von zehn Kommunen sind den Angaben zufolge verbalen Drohungen ausgesetzt. Etwa die Hälfte aller dieser Fälle finde in den sozialen Netzwerken statt.

Wachsende Respektlosigkeit

Wie aber sieht es in der Bodenseeregion aus? Müssen auch dort Kommunalpolitiker um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten? Uli Burchardt, der Oberbürgermeister von Konstanz, sagte dem SÜDKURIER: „Ich glaube, wir haben generell ein Problem mit wachsender Respektlosigkeit. Das beobachte ich mit Sorge.“ Er fürchtete, „dass das die Wurzel der Gewalt ist“: Aus Hassreden entstehe Respektlosigkeit, aus Respektlosigkeit in manchen Fällen Gewalt. „Die Debatte, die man führen muss, ist die über Respekt“, forderte Burchardt daher.

Der Konstanzer ist bislang ein Mal körperlich bedroht worden, glaubt in diesem Fall aber an einen psychisch gestörten Angreifer. Details will er nicht nennen. Für problematisch hält er die Anfeindungen auf Facebook und anderen sozialen Medien. Als er 2016 eine Flüchtlingsunterkunft am Konstanzer Hörnle, einem beliebten Badeziel, einrichten ließ, entflammte auf Facebook die Debatte, die schließlich zur Verurteilung einiger der Teilnehmer führte.

Anfeindungen im Netz

Doch „kein einziger kam aus Konstanz, das waren Leute, die weder mich kannten noch den Sachverhalt“. Sätze wie „der gehört an die Wand gestellt“, Unsägliches im Zusammenhang mit seiner Tochter. Den Satz, den er in diesem Zusammenhang zu hören bekam, will er lieber nicht in der Zeitung lesen, auch wenn er inzwischen öffentlich darüber spricht. Es ging um die Frage, ob junge Frauen am Hörnle noch sicher sind. Buchardt hatte seine Politik verteidigt und betont, dass er seine Tochter dort jederzeit hingehen lasse. Als „geisteskrank“ wurde er beschimpft, er müsse „gesteinigt“ werden, hieß es im Netz bis hin zu der Aufforderung „Hau dem doch mal einer aufs Maul.“

Als Oberbürgermeister glaubt Burchardt, lernen zu müssen, damit umzugehen. Facebook, sagt er in Anlehnung an eine Äußerung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer, sei ein Stück weit das geworden, was früher der Stammtisch war. „Wir haben ein Problem der Verrohung im Internet“, macht er deutlich. Nach der Flüchtlingskrise habe sich die Lage in Konstanz aber wieder beruhigt.

Blick in die Region

Auch ein Blick in die Region bestätigt das Bild einer Zunahme von Übergriffen nicht. Der Oberbürgermeister von Waldshut-Tiengen, Philipp Frank, gibt an, „noch keine negativen Erfahrungen gemacht“ zu haben: „Ich hoffe auch, dass dies so bleibt.“ Ähnlich sieht es in Radolfzell aus. Oberbürgermeister Martin Staab antwortet auf die Frage, ob er Anfeindungen ausgesetzt gewesen sei nur knapp: „Nein, das war bislang nicht der Fall.“ Der Stockacher Bürgermeister Rainer Stolz gibt ebenso an, nicht direkt bedroht worden zu sein. „Allerdings ist der Ton der Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Verwaltung um ein Vielfaches rauer und aggressiver geworden.“