Morgens um 8 Uhr ist die Lage noch übersichtlich. Kein Ansturm von Kunden, keine langen Schlangen an den Kassen, auch Mehl und Klopapier sind noch zu haben. Die Schweizer fehlen sichtbar. Seitdem die Grenzen für die eidgenössische Kundschaft dicht sind, ist morgens Ruhe eingekehrt im E-Center in Konstanz. 20 bis 25 Prozent vom Umsatz würden dadurch fehlen, sagt Marktleiter Marko Peic.

Immerhin, ein Gutes hat es: die Hamsterkäufe haben seitdem nachgelassen. Auch wenn beim Klopapier zwei Paletten leer sind und sich im Mehlregal große Lücken auftun, ist doch von allem etwas da. Bei den Nudeln ist man schon wieder fast auf normalem Niveau, und die aufgestapelten Dosen mit passierten Tomaten ragen sogar über das Regal hinaus.

Polnische und französische Fahrer fehlen
Was die Lagerbestände angeht, besteht laut Pamela Baumhardt, Marketing-Leiterin bei Edeka-Baur, ohnehin kein Grund zur Sorge. Die elf Märkte von Edeka Baur am Bodensee, im Hegau und in Oberschwaben sind an die gut sortierten Lager von Edeka angeschlossen. Das Problem liegt eher beim Transport: Lkw-Fahrer aus Polen und aus Frankreich fehlen, deshalb gerät der Nachschub bisweilen ins Stocken.
Ein freundliches „Guten Morgen“ und ein Lächeln im Gesicht hat Richard Seidl für jeden Kunden, der an seine Kasse tritt. Oft ist es nicht mehr, was gesprochen wird, manchmal aber schon. Für einige Kunden, die täglich kommen, sei die Supermarkt-Belegschaft so etwas wie Familie, sagt der 52-Jährige. Die stellten sich an die Kasse und plauderten ein paar Sätze. Richard Seidl gefällt das. Er ist der geborene Service-Mann, lange hat er in der Gastronomie gearbeitet, seit anderthalb Jahren nun ist der gebürtige Österreicher bei Edeka. Einer, der einen Scherz macht, wenn die Stimmung in der Schlange mal gereizt ist.
„Momentan sind die Kunden so, wie ich es mir wünsche“
„Wenn man 35 Jahre in der Gastronomie ist, lernt man die Menschen kennen“, sagt er. Von Kunden, die ihren Unmut über fehlendes Klopapier und nicht vorhandene Nudeln an den Mitarbeitern auslassen, ist dieser Tage auf Facebook immer wieder zu lesen. Richard Seidl geht es nicht so: „Momentan sind die Kunden so, wie ich es mir wünsche“, sagt er und lächelt verschmitzt. Die meisten seien sehr freundlich, manche bedankten sich sogar für seinen Einsatz. Und entspannter seien die meisten geworden, seit das mit den Hamsterkäufen zurückgehe. Allgemein denkt er: „So wie man selber ist, so sind auch die Kunden. Also ich hab eigentlich immer gute Kunden.“

Seidl und seine Kollegen, 210 sind im E-Center beschäftigt, arbeiten an der Front der Corona-Krise. Homeoffice, wie das viele Büroarbeiter machen können, ist für sie nun mal nicht möglich. Stattdessen haben sie täglich Tausende von Kontakten mit Kunden, und der Abstand zu ihnen beträgt oft nicht die empfohlenen 1,50 Meter bis zwei Meter. Bei Edeka Baur kleben schwarz-gelbe Streifen auf dem Boden, vor den Theken und vor den 13 Kassen, die den Kunden signalisieren sollen, dass sie auf Distanz gehen. Am Donnerstagmorgen halten sich viele daran, aber spätestens an der Kasse wird es praktisch unmöglich.
Latexhandschuhe und bald auch Mundschutz?
Richard Seidl packt die aufs Band gelegten Waren im Sekundentakt und hält sie vor den Scanner. Latexhandschuhe tragen die Mitarbeiter im E-Center inzwischen, um die Berührungspunkte mit dem Virus gering zu halten. „Solange keiner hustet und niest, mache ich mir keine Sorgen“, sagt der 52-Jährige. Und wenn doch einer hustet? „Dann lehne ich mich zurück.“ Die Kunden sind angehalten, wenn möglich mit Karte zu zahlen. Mundschutz, wie ihn der Virologe Alexander Kekulé fordert, ist bestellt. Aber Richard Seidl kann sich noch nicht recht vorstellen, den zu tragen: „Ich spreche ja den ganzen Tag mit Kunden.“
Plexiglasscheiben sind nicht geplant

Andere Märkte, wie Rewe in Bayern, statten ihre Kassen mittlerweile mit Plexiglasscheiben aus, 1,50 hoch und ohne Durchgriff. Bei Edeka Baur ist das momentan nicht geplant. „Irgendwie muss der Bezahlvorgang abgewickelt werden“, gibt Marketing-Leiterin Baumhardt zu bedenken. Dafür bräuchte man womöglich ein ganz anderes Kassensystem. Auf die Erweiterung der Öffnungszeiten auch sonntags will Edeka Baur mit Rücksicht auf die Mitarbeiter zunächst verzichten. „Die laufen wirklich alle am Limit“, sagt Marktleiter Peic.
„Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.“Angela Merkel, Bundeskanzlerin, in ihrer Ansprache an die Nation
Am Abend zuvor hat sich die Kanzlerin zu Wort gemeldet und den Bürgern den Ernst der Lage klar gemacht. Worte der Wertschätzung hatte sie für Ärzte und Pflegekräfte, aber auch für einen Berufszweig, dem oft viel zu wenig gedankt wird und der in diesen Tagen systemrelevanter ist als der so mancher Banker: „Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt“, sagte Angela Merkel. „Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.“
„Ich war stolz“
Richard Seidl hat ihr gut zugehört und sich über den Dank gefreut. „Ich war stolz“, sagt der Österreicher, der findet, dass die deutsche Kanzlerin dieser Tage einen guten Job macht. „Leute, ihr werdet sie noch vermissen“, prophezeit er. Auch wenn ihm das Virus persönlich keine Angst macht, ist er als Single vom derzeitigen Zustand betroffen. Zwei Freunde trifft er noch ab und an, immer auf Abstand natürlich. Aber ganz ohne soziale Kontakte geht‘s nicht, findet er. Seit Kurzem erledigt er für eine alte Dame die Einkäufe. Wenn er in den Parks und auf den Sportplätzen Gruppen zusammenstehen sieht, fragt er sich allerdings, ob Deutschland nicht bald seiner Heimat folgen muss und ein Ausgehverbot verhängen.
Im morgendlichen E-Center kann man sich nicht über Unvernunft beklagen. Viele Kunden halten sich an die schwarz-gelben Markierungen und achten auch sonst auf Distanz. Einige sind sogar mit Handschuhen und Mundschutz unterwegs. Ja, klar mache er sich sorgen, sagt ein Mann mit Handschuhen. Die SÜDKURIER-Redakteurin solle sich mal fragen, ob sie wirklich hier sein müsse.
„Ich bleibe halt zu Hause, fertig“
Kurt Ranke schiebt seinen Einkaufswagen noch ohne besondere Schutzvorkehrungen durch die Regale. Vor der Käsetheke hält er mit gebührendem Abstand an. Einen Thurgauer kauft er und noch einige andere Lebensmittel des täglichen Bedarfs. „Keine Hamsterkäufe“, das sei doch „Blödsinn“. Sorgen macht sich der Rentner nicht. „Ich bleibe halt zu Hause, fertig“, sagt er. Dummerweise habe er den geplanten Urlaub streichen müssen.
Richard Seidl hofft, dass die Corona-Krise bei allem Übel, das sie verursacht, doch auch etwas Positives hat. Zum einen denkt er dabei an die Natur, an das Klima, das geschont wird durch weniger Verkehr. Vor allem aber denkt er dabei an die Menschen – dass sie die Besonnenheit, die in diesen Tagen gefragt ist, mitnehmen in die Zeit nach Corona, und auch die Mitmenschlichkeit. Die ganzen Initiativen, die sich gerade bilden, um für alte Menschen einzukaufen, um Familien bei der Kinderbetreuung zu entlasten – all das macht ihm Mut. „Es sollen alle zusammenhalten, dann schaffen wir das schon“, meint er.