Seit Montag ist die Wolfsromantik in Baden-Württemberg Geschichte. 43 Schafe, fielen auf ihrer Weide im Nordschwarzwald nahe Bad Wildbad mutmaßlich einem Wolf zum Opfer – gerissen, im Bach ertrunken, gekeult nach schwersten Verletzungen.
Ein Bild des Grauens. Ein Lämmchen bleibt vermisst. Einen solchen Wolfsriss gab es in Baden-Württemberg seit der Ausrottung des Wolfs vor 150 Jahren nicht mehr. Obwohl über die Rückkehr des Wolfes seit Jahren heiß diskutiert wird, war auf diesen Ernstfall niemand richtig vorbereitet. Ein Besuch vor Ort zeigt: Weder gibt es schnelle Lösungen noch Anlass zur Panik.
Der Landwirt und die Schafe
Mittlerweile haben Gernot Fröschle und seine Frau Routine vor Kameras und Mikrofonen entwickelt. Dutzende von Journalisten, ein Team sogar aus Dänemark, fielen bei ihnen in Wildbad-Nonnenmiß ein, einem 250-Einwohner-Schwarzwaldort im schmalen Oberen Enztal. Allen sagen die Fröschles dasselbe: "Es war furchtbar. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll mit unseren Schafen. Wir hoffen, dass wir ernst genommen werden von der Politik."
Die Entschädigung für die gerissenen Tiere – Fröschle schätzt den materiellen Schaden auf etwa 4000 Euro – ist dabei die kleinste Sorge. Die Frage ist: Wie soll das denn dauerhaft gehen, mit dem Wolf und den Schafen im Schwarzwald, wo es steile Hänge und enge Täler gibt und keine ebenen Flächen, die leicht einzuzäunen sind? Fröschle ist kein verbissener Wolfsgegner. "Aber wir brauchen den Wolf hier nicht", sagt er.
Wie bisher jedenfalls geht es nicht weiter. Die Fröschles, fünf Kinder zwischen 13 und 23 Jahren, sind ein landwirtschaftlicher Familienbetrieb. Mit 450 Mutterschafen, derzeit 350 Lämmern, 30 Rindern und ein paar Ziegen betreiben sie auf rund 155 Hektar Fläche im Enztal Landschaftspflege. Damit verdienen sie den größten Teil ihres Geldes. Die Schafe verhindern, dass die Natur sich die Täler zurückholt. Aber Geld gibt es nur, wenn auch die unwegsamen Uferböschungen mitbeweidet werden.
Deshalb sind die Schafe nur von drei Seiten eingezäunt. Die vierte ist die Wasserseite. Die Wolfsseite. Am frühen Montagmorgen fand Gernot Fröschle das Gemetzel vor. Beistand war schnell da, die Infokette steht: Landesschafzuchtverband, Veterinäramt, Bürgermeister, Landrat. Keiner hatte mit so etwas gerechnet, alle waren entsetzt, viele halfen mit.
Ein 90 Zentimeter hoher Schutzzaun mit Flatterband und 4000-Volt-Spannung wurde aufgebaut. 200 Tiere haben darin Platz. Es sind Auflagen, die die Fröschles nicht stemmen können. Jetzt hofft Gernot Fröschle, dass die Politik hilft:
Die anderen Schafe bleiben bis auf weiteres in die Offenställe gepfercht, auch diese mussten stromgesichert werden. Die Fütterung über den Zaun hinweg ist jetzt eine Zumutung, wie Karen Fröschle zeigt:
Und die bange Frage ist: Kommt der Wolf zurück?
Die Politik
"Die Familie Fröschle stand unter Schock", sagte Anette Wohlfahrt, Chefin des Landesschafzuchtverbands. "Da ist wohl auch manches in der Darstellung durcheinandergeraten. Den Zaun hätten sie in der Höhe ohnehin haben müssen." Eine Existenzgefährdung sieht sie bei allem Verständnis nicht. Selbst dann nicht, wenn sich kommende Woche durch den genetischen Abgleich herausstellen sollte, dass der Wolf nicht "auf Durchreise" ist, sondern derselbe, der schon im Dezember in Wildbad drei Schafe riss.
Dann hätte er im Nordschwarzwald sein Revier aufgeschlagen, er wäre "resident" geworden und die Gegend würde zum Wolfsgebiet erklärt. "Damit ändern sich die Vorgaben für die Haltung. Bislang ging es nur darum, die Schafe im Zaun zu halten. Im Wolfsgebiet geht es darum, den Wolf draußen zu halten", sagt Wohlfahrt.
Fröschle müsste dann seine Herde von vier Seiten einzäunen, die Böschungen würden nicht mehr beweidet, der Landschaftspflegevertrag nicht mehr erfüllt. Gibt es dann noch Geld? "Das muss geklärt werden", sagt Wohlfahrt.
Alle standen sie auf der Matte bei Fröschles, ob Wolfsgegner oder Sympathisanten. CDU-Landwirtschaftminister Peter Hauk und die örtlichen Abgeordenten in Land und Bund haben angerufen oder einen Besuch angekündigt, der grüne Umwelt-Staatssekretär André Baumann, kam am Dienstag vorbei. "Privat", wie Gernot Fröschle sagt. Man kennt sich, bekämpfte sich bei den früheren Nationalparksschlachten. "Er hat schnelle Hilfe versprochen", sagt Fröschle.
Schon am Mittwoch einigten sich Schafzuchtverband und Umweltministerium über formale Anforderungen in Wolfsgebieten: Der Stromzaun um eine Herde muss mindestens 90 Zentimeter hoch sein und die gesamte Weide ohne Schlupflöcher umfassen. "Damit sind wir an der unteren Grenze der Zaunhöhe, darüber sind wir sehr froh", sagt Wohlfahrt. Die Schafhalter müssten keine neuen Zäune anschaffen. Aber viele Fragen bleiben ungeklärt. Was wird aus Offenställen? Wie ist das mit Herdenschutzhunden? Und vor allem: Wer zahlt?
Die Stadt und der Tourismus
"Ich würde da nicht lange fackeln, den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen und in extremen Fällen zum Abschuss freigeben", sagt Klaus Mack. Aber nicht, weil sich der Wildbader Bürgermeister um die Touristen und den Ruf seiner Stadt sorgt oder um die Sicherheit der Bürger, sondern weil er glaubt, dass das erst der Anfang ist. "Was, wenn ein ganzes Rudel da ist?"
Mack sorgt sich, dass die Schäfer die Lust an ihrer Arbeit verlieren könnten, wenn Wölfe vermehrt zuschlagen, und fürchtet die Folgen. "Der Wald würde in kürzester Zeit wieder zuwachsen", sagt Mack. "Es gab auch schon Anrufe, dass man nicht mehr Urlaub in Wildbad machen kann, ob man noch zum Joggen in den Wald kann oder die Kinder in den Waldkindergarten dürfen", sagt Mack.
Aber das Konzept des naturnahen Tourismus, mit dem Wildbad nach der schweren Bäderkrise allmählich wieder auf Erfolgskurs ist, sieht er durch die Rückkehr des Wolfs nicht beeinträchtigt. "Wir hätten den Wolf wirklich nicht gebraucht. Aber jetzt ist er da, und man muss schauen, wie man das Miteinander von Mensch und Wolf regelt. Jetzt ist der Anlass, die Dinge zu klären."
Der Wolf
Sieben Teller stehen auf dem Tisch. Für jeden Wochentag einer. Vier davon sind leer, auf den anderen liegen verschiedene Mengen Fisch, Fleisch und ein paar Waldfrüchte. „Die Speisekarte eines Wolfs“, sagt Kristina Schreier, Leiterin des Infozentrums Kaltenbronn.
Das Infozentrum, keine 15 Kilometer Luftlinie von Nonnenmiß und dem Ort des Wolfsgemetzels entfernt, ist Dreh- und Angelpunkt für Tourismus, Naturerlebnis und Informationsvermittlung im Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord.
Seit Dezember zeigt das Infozentrum die Sonderschau "…und wenn der Wolf kommt. Alte Mythen und neue Erfahrungen." „Sie wurde genau in der Woche eröffnet, als der erste Wolfsriss in Wildbad war“, sagt sie. Wer will, kann hier viel Spannendes über das Wildtiert Wolf erfahren. "Es wird nichts verklärt, nichts verharmlost", sagt Schreier. Und verweist darauf, dass man in Deutschland andernorts ganz gut mit dem Wolf klarkommt. Eine Kartierung der Wolfsnachweise in Deutschland in der Ausstellung macht das deutlich: Während in Ost- und Norddeutschland zahlreiche Punkte auf Wolfsvorkommen verweisen, sind Nord- und Hochschwarzwald bislang noch wolfsfreie Fläche.
Was sie jetzt schockiert, sind die "brutalen Abschussforderungen", sagt sie. "Wenn die Politik den Wolf wieder ansiedeln will, muss es Schutzmaßnahmen geben und es muss Geld fließen. Wir sind es nicht einfach mehr gewohnt, unsere Großtiere schützen zu müssen. Hühner werden selbstverständlich vor Füchsen geschützt, da ruft niemand nach dem Abschuss."
Das Interesse am Wolf und der Ausstellung jedenfalls ist groß. Die zwei Fortbildungsveranstaltungen „Wolf im Schwarzwald“ des Infozenturms kommende Woche mit dem Wolfsbiologen Peter Sürth sind praktisch ausgebucht.