Tobias Lange

Herr Gaissmaier, fühlen Sie sich sicher?

Ich fühle mich sicher. Also so sicher, wie man sich eben fühlen kann. Eine absolute Sicherheit wird es nie geben. Wir leben aber immer noch in einem der sichersten Länder der Welt.

Laut einer in diesem Jahr veröffentlichten Studie des Bundeskriminalamts geht es 20 Prozent der Baden-Württemberger anders. Sie fühlen sich unsicher. Überrascht Sie diese Zahl?

Sie überrascht mich nicht. Sie werden immer Menschen finden, die sich gerade unsicher fühlen, manchmal zu Recht, manchmal auch nicht.

Welchen Einfluss haben Medienberichte auf das Unsicherheitsgefühl?

Sie haben auf jeden Fall einen Einfluss. Wie groß er ist, darüber wird in der Forschung gestritten. Wenn wir uns ansehen, wie wir in den letzten Jahren über tatsächliche und vermeintliche Risiken debattiert haben – gerade auch im Zusammenhang mit Migration und der Flüchtlingskrise –, wie darüber berichtet wird, wie stark der Fokus darauf ist: Das erzeugt bei den Menschen den Eindruck, dass alles unsicherer wird. Und es stimmt ja, dass mit einem gewissen Anstieg von Kriminalität zu rechnen ist, wenn eine so große Gruppe zu uns kommt, bei der diesbezügliche Risikofaktoren überproportional vorhanden sind: jung, männlich, wenig Schulbildung, wenig Perspektiven.

Professor Wolfgang Gaissmaier kennt sich mit gefühlter Sicherheit aus.
Professor Wolfgang Gaissmaier kennt sich mit gefühlter Sicherheit aus. | Bild: Uni Konstanz

Wie beeinflusst diese Angst unser tägliches Verhalten?

Ich weiß nicht, ob es unser tägliches Verhalten so sehr beeinflusst. Die Menschen verlassen trotzdem noch ihre Wohnung und haben nicht Sorge, dass gleich etwas passieren wird. Wenn man in die Städte schaut, hat man nicht das Gefühlt, dass alle in Angst und Panik wären. Was es stark beeinflusst, sind die Themen, über die wir politisch diskutieren.

Helfen denn positive Nachrichten?

Diese können sich positiv auswirken, aber paradoxerweise auch wieder das Unsicherheitsgefühl stärken: Wenn man hört, es wurde jemand geschnappt, ruft das überhaupt erst wieder den Schrecken der Kriminalität in Erinnerung. Beruhigend wäre zu hören, dass die Aufklärungsquote insgesamt steigt, dass sich systematisch etwas verbessert. Und in manchen Bereichen ist das ja durchaus der Fall.

Sollte die Berichterstattung bei Verbrechen also insgesamt runtergefahren werden?

Das halte ich nicht für angebracht. Auch weil die Menschen dann, zu Recht, das Gefühl hätten, man würde ihnen Informationen vorenthalten. Das kann sich sehr viel negativer auswirken. Es ist wichtig, dass berichtet wird, dass nüchtern berichtet wird und nicht effektheischend. Und dass man über andere, oftmals wichtigere Probleme berichtet, so dass dieses Thema nicht übermäßig in den Vordergrund rückt.

Welche Rolle spielen soziale Medien beim steigenden Unsicherheitsgefühl?

Sie spielen sicherlich eine Rolle. Leider hat sich der Traum von der Demokratisierung des Wissens durch das Internet – dass jeder Zugang zu allen Informationen hat und wir eine aufgeklärte, mündige Gesellschaft werden – nicht so richtig erfüllt. Was wir in den sozialen Medien stattdessen beobachten, ist, dass sich Filterblasen bilden. Menschen umgeben sich gerne mit ähnlich denkenden Menschen und bestärken sich gegenseitig in ihrer Meinung. Sie bleiben als Gruppe dann eher unter sich, statt sich mit Andersdenkenden auszutauschen. So kann in manchen Gruppen dann der Eindruck entstehen, dass alles gefährlicher geworden ist, wohingegen andere Gruppen das für Unsinn halten. Und beide Seiten zweifeln nicht an ihrer jeweiligen Sicht, weil die anderen in ihrer Gruppe es ja genauso sehen.

Die Studie des BKA zeigt auch, dass das Unsicherheitsgefühl in den neuen Bundesländern größer ist, als bei uns im Süden. Wie ist das erklärbar?

Dort sind vor 30 Jahren ein System und viele Strukturen weggefallen. Es ist ein Vakuum entstanden, in das auch reaktionäre und rechte Gruppen vorgestoßen sind. Diese tragen mit dazu bei, den Fokus auf diese Unsicherheit zu richten. Und es gibt dort auch mehr Menschen, die tatsächlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Und wenn Menschen selbst davon betroffen sind oder Angst davor haben, davon zukünftig betroffen zu sein, dann verwundert dieser Fokus nicht.

Wenn schon eine Angst da ist – etwa die Angst vor der Arbeitslosigkeit – hat das also auch Auswirkungen auf andere Ängste.

Ganz genau. Wenn man ohnehin Angst vor dem sozialen Abstieg hat, dann ist das Gefühl, durch bestimmte Gruppen bedroht zu sein, besonders ausgeprägt.

Wie kann man die eigene Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden, positiv beeinflussen?

Indem man sich ins Leben stürzt und sich vergegenwärtigt, wie gut es uns trotz aller Probleme insgesamt geht. Wie viel sicherer unser Leben ist verglichen mit vergangenen Jahrhunderten. Und welches Glück wir hatten, in diesem relativ sicheren Land geboren worden zu sein. Das vergessen wir häufig, weil wir uns daran gewöhnt haben. Das heißt aber nicht, dass wir die Dinge verklären dürfen. Wir müssen offen über Probleme, Ungerechtigkeiten und Sicherheitsrisiken sprechen. Aber wir sollten das nüchtern tun, eingebettet in den größeren Kontext, wie gut es und im Großen und Ganzen geht.