Es war kurz nach Mitternacht, als Polizisten Mitte Februar an der Tür von Mariami Tcholadze und ihren drei Kindern im Alter von einem bis zwölf Jahren in einer Radolfzeller Flüchtlingsunterkunft klingelten und sie aus dem Schlaf rissen. „Die Polizei legte ein offizielles Dokument vor, dass wir unsere Wohnung und das Land verlassen müssen“, erzählt die 32-Jährige im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Das sei für sie völlig überraschend gekommen.

Die Georgierin habe den Polizisten zu erklären versucht, dass es sich um ein Missverständnis handeln müsse. „Sie gaben mir Zeit, unsere Sachen zu packen. Was ich konnte, habe ich an persönlichen Dingen für die Kinder mitgenommen.“ Mariami Tcholadze betont, dass die Polizisten freundlich waren und sich bemüht haben, die Abschiebung so stressfrei wie möglich zu gestalten.

Mariami Tcholadze (32) und ihre drei Kinder Giorgi (12), Noe (9) und Luka (1) in Stuttgart.
Mariami Tcholadze (32) und ihre drei Kinder Giorgi (12), Noe (9) und Luka (1) in Stuttgart. | Bild: privat

Zusammen mit ihren drei Söhnen wird sie zum Frankfurter Flughafen gebracht. Fast genau zwölf Stunden nachdem die Polizei an ihre Türe in Radolfzell geklingelt hatte, hob ein Flugzeug mit der Familie an Bord ab. Das Ziel: die georgische Hauptstadt Tiflis.

Sechs Tage vor Abschiebung noch Auszeichnung von Schule erhalten

„Die ganze Reise über stellten meine Kinder unaufhörlich Fragen“, schildert die 32-Jährige. Was würde morgen passieren? Warum können sie nicht mehr in ihre Schule zurückkehren? „Die Kinder waren während der Abschiebung schockiert. Ich habe versucht, sie zu ermutigen.“

Am meisten habe der älteste Sohn Giorgi darunter gelitten, so plötzlich von seinen Freunden und seiner Schule getrennt zu werden. Nur sechs Tage vor der Abschiebung hatte der Zwölfjährige von seiner Lehrerin in der Teggingerschule in Radolfzell „als Anerkennung für seinen Fleiß und seine guten Leistungen im Fach Deutsch“ eine Urkunde erhalten.

Jüngstes Kind in Singen geboren

Gut zwei Jahre zuvor war die Alleinerzieherin mit ihren Kindern vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann und einer „seelischen Krise“, wie sie sagt, aus Georgien nach Deutschland geflohen. In Südbaden sollte der Start in ein neues Leben gelingen. Ihr jüngstes Kind Luca kam 2023 in Singen zur Welt und kennt nur das Leben in Deutschland.

Seine Tagesmutter Kate Werner ist bis heute fassungslos über die Abschiebung. Sie betreute den einjährigen Luka in ihrer Kindertageseinrichtung Strohhutbande in Radolfzell, die sie zusammen mit ihrem Mann Ben führt. „Eines meiner Kinder wurde abgeschoben. Das macht mich wütend, nicht nur als Betreuerin, sondern auch als Mutter“, sagt Kate Werner.

Abrupter Beziehungsabbruch statt Verabschiedung

Anders als üblich wurde Luka am Morgen nach der Abschiebung nicht in die Kita gebracht. „Wir haben den ganzen Tag versucht, die Mutter zu erreichen“, erzählt Kate. Erst um 16 Uhr habe sie mit Mariami sprechen können. „Da war sie mit ihren Kindern bereits in Georgien.“

Luka (1) in seiner Kindertageseinrichtung Strohhutbande in Radolfzell.
Luka (1) in seiner Kindertageseinrichtung Strohhutbande in Radolfzell. | Bild: Kate Werner

Für die Kinder der Strohhutbande sei das so unerwartete Verschwinden des einjährigen Luka eine irritierende Erfahrung gewesen. „Das war ein abrupter Beziehungsabbruch. Die Kinder fühlten Panik, Trauer und Unverständnis, weil bisher noch jedes Kind verabschiedet wurde, das wegzog.“

Abschiebung trotz Arbeitsvertrag und Sprachkurs

Zwei Wochen hätten Kate und Ben Werner es nicht glauben können, dass die georgische Familie tatsächlich abgeschoben wurde. „Es ist bis heute unverständlich – die beiden größeren Kinder waren super integriert, mit Sportverein und vielen Freunden“, schildert die Tagesmutter.

Mariami Tcholadze habe gerade einen Deutschkurs absolviert und bereits einen vorläufigen Arbeitsvertrag bei einer Stockacher Reinigungsfirma unterschrieben gehabt, wie sie bestätigt. Der Vertrag liegt dem SÜDKURIER vor. „Mariami hat versucht sich hier einzugliedern“, sagt Kate Werner. Die Abschiebung ging in ihren Augen nicht mit rechten Dingen zu.

Ben und Kate Werner betreiben in Radolfzell die Kindertageseinrichtung Strohhutbande. Am Foto sind sie mit ihren Kindern Noah (4) und ...
Ben und Kate Werner betreiben in Radolfzell die Kindertageseinrichtung Strohhutbande. Am Foto sind sie mit ihren Kindern Noah (4) und Thorin (2) zu sehen. | Bild: Werner

„Tragisch, aber kein Asylgrund“

Die zuständigen Behörden schätzen den Fall anders ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit Sitz in Nürnberg antwortet auf SÜDKURIER-Anfrage, dass der Fall zwar tragisch sei, aber kein Asylgrund vorgelegen habe.

Nur wer nachweisen könne, dass er einer Verfolgung durch einen staatlichen Akteur oder mit staatlicher Duldung ausgesetzt sei, erhalte in Deutschland Asyl. „Im Fall einer Ablehnung liegt die Durchführung der Abschiebung in der Zuständigkeit der Bundesländer, die in der Regel durch ihre Ausländerbehörden agieren“, erklärt ein Sprecher.

Die für Ausländerfragen zuständige Radolfzeller Bürgermeisterin Monika Laule erklärt, dass die Familie den Rechtsweg in Deutschland ausgeschöpft und ausreichend Kenntnis über die bestehende Ausreisepflicht gehabt habe. Das Bamf habe den Asylantrag der Familie im Juni 2024 abgelehnt und sie unter Androhung einer Abschiebung zur freiwilligen Ausreise aufgefordert. „Georgien ist als sicheres Herkunftsland eingestuft.“

„Versuche meine Kinder und mich vor ihm zu schützen“

Nun ist Mariami Tcholadze arbeitslos in Georgien, obwohl sie ein Bachelorstudium der Pharmazie absolviert hat und sieben Jahre lang als Zuckerbäckerin für französische Desserts gearbeitet hat. Laut ihren Angaben soll es bereits wieder zu Konflikten mit dem Ex-Mann. „Ich versuche, meine Kinder und mich selbst vor ihm zu schützen“, sagt Mariami Tcholadze. Sie kämpfe dafür, ihren Söhnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Zwar liebe sie ihre Heimat Georgien, aber dort begegne sie auf jedem Schritt Ungerechtigkeit und es gebe keine Entwicklung in diesem Land, wie die 32-Jährige sagt. „Ich möchte nicht, dass meine Kinder ihr Leben nur mit Träumen verbringen müssen.“

Giorgi (12), Noe (9) und Luka (1) in Stuttgart.
Giorgi (12), Noe (9) und Luka (1) in Stuttgart. | Bild: Tcholadze

Rückkehr nach Deutschland geplant

Aus diesen Gründen möchte sie mit ihren Kindern nach Ablauf der dreijährigen Einreisesperre für alle Schengen-Mitgliedsländer wieder nach Radolfzell zurückkehren. „Diese kleine, schöne Stadt ist uns eine Heimat geworden. Dort haben wir sicher gelebt, und meine Kinder hatten die beste Schule, Sportmöglichkeiten und ein gutes Umfeld“, sagt Mariami Tcholoadze. Gerne würde sie wieder als Zuckerbäckerin arbeiten oder einen neuen Beruf lernen, der die Zukunft ihrer Kinder sichert.

Auch Tagesmutter Kate Werner gibt sich kämpferisch: „Wir versuchen alles, was irgendwie möglich ist, dass die Familie wieder zurück nach Deutschland darf.“

„Kinder teilen das Schicksal der Mutter“

Anträge der Familie beim Verwaltungsgericht Freiburg und der Härtefallkommission Baden-Württemberg sind laut der Radolfzeller Bürgermeisterin Laule gescheitert. Das für die Abschiebung landesweit zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe „ist gesetzlich verpflichtet, ausreisepflichtige Ausländer abzuschieben, deren freiwillige Ausreise, wie in diesem Fall, nicht gesichert war“, sagt Laule.

Bürgermeisterin Monika Laule
Bürgermeisterin Monika Laule | Bild: Marinovic, Laura

Der zweijährige Aufenthalt der Familie in Deutschland sei nicht in dem Maße gefestigt gewesen, um eine Rückkehr nach Georgien auszuschließen. „Die Verwurzelung oder Integration stand maximal am Anfang und war nicht so fortgeschritten, sodass die Familie oder Kinder nur noch in Deutschland ihr Privat- und Familienleben hätte führen können“, sagt die Bürgermeisterin. Die Abgeschobene habe zudem in Georgien zahlreiche Familienmitglieder, die sie im Bedarfsfalle unterstützen können.