Schon an der Haustür wartet Mirko Maier aus Wutöschingen auf den Besuch des Zeitungsmanns. „Die Kinder schlafen oben, wir haben eine halbe Stunde für unser Gespräch!“ Es wurden fast zwei daraus, weil die beiden Kinder neugierig waren, wer ihren Papa besucht und weil Mirko Maier viel zu erzählen hat.
Äußerlich sieht man dem Vater nicht an, dass er mit seiner Frau eine Zeit voller Leid und Schmerz hinter sich hat. Im Dezember 2022 wurde ihr Sohn geboren, er lebte nicht mehr – er war ein Sternenkind. So werden Kinder genannt, die vor oder kurz nach der Geburt sterben.
Wenn ein Kind geboren wird, verändert es das Leben seiner Eltern für immer. Doch was ist, wenn dieses Leben nie den Hauch einer Chance hatte, in dieser Welt anzukommen? Für viele Eltern bleibt eine Lücke, die nie ganz gefüllt werden kann.
Über den Schmerz der Mütter wird oft gesprochen und geschrieben, die Trauer der Väter bleibt oft im Verborgenen. Aber auch sie trauern und kämpfen mit der Leere, die der Verlust zurücklässt.
„Auch wir Sternenväter leiden psychisch“
Mirko Maier (41) aus Wutöschingen kennt diesen Schmerz. Vor fast drei Jahren musste er sich von seinem Sohn verabschieden. Dieses Leid zu ertragen, damit umzugehen, nicht zu verzweifeln und den Blick in die Zukunft zu richten, war für ihn und seine Frau ein beschwerlicher Weg.
Er möchte Männern in dieser sensiblen Situation eine Stimme geben: „Auch wir Sternenväter leiden psychisch, weil wir einen geliebten Menschen leiden sehen.“
Was Mirko Maier bei einem Kontrolltermin bei der Frauenärztin im November 2022 für ein Gähnen hielt, stellte sich als Lippen-Kiefer-Gaumenspalte heraus. Als das Paar nach etwa sechs Monaten Schwangerschaft diesen „ersten Schock“ verdaut hatte und über Möglichkeiten, die Fehlstellung zu korrigieren aufgeklärt wurde, folgte die vereinbarte Untersuchung in der Uni-Klinik in Freiburg.
Diagnose trifft das Paar wie ein Schlaf in die Magengrube
Als die Oberärztin hinzu gebeten wurde, war bald klar, dass es weitere medizinische Komplikationen gibt. Als die Fachärztin erklärte, dass das Kind wahrscheinlich nicht lebend auf die Welt kommen würde, und deshalb die Schwangerschaft vorzeitig eingeleitet werden soll, zog es dem Ehepaar den Boden unter den Füßen weg: „Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Wir konnten es in diesem Moment nicht fassen und wussten nicht, was wir machen sollten.“
Als Vater stellte er sich immer wieder die Frage: „Warum? Was habe ich getan, dass wir so bestraft werden?“ Auf jeden Fall wollte er seiner Frau in dieser schweren Zeit zur Seite stehen. „Für meine Frau war diese Erfahrung natürlich ungleich belastender. Das Kind wächst in ihrem Körper, wir Männer können das nur von außen betrachten.“
In der Woche bis zum nächsten Termin in der Klinik führte das Paar viele lange Gespräche. Geredet wurde über die nüchternen medizinischen Konsequenzen – und die Emotionen, die wie im Schleudergang einer Waschmaschine durcheinandergewirbelt wurden.
Aufgeklärt wurde das Paar auch darüber: sollte das Kind wider Erwarten nicht im Mutterleib sterben, könne nur mit dem Einverständnis der Schwangeren vor der Geburt ein sogenannter Fetozid durchgeführt werden. Das heißt, dem Kind wird eine Kaliumchlorid-Lösung gespritzt, die zum Tod führt.
„Man muss also sagen, dass die Ärzte das Kind töten sollen, das ist ein krasser Gedanke!“, beschreibt Mirko Maier diese für ihn und seine Frau angespannte Situation. Er erzählt, dass er zwar zur Arbeit ging, aber mit den Gedanken war er bei seiner Frau.
Frau spürt das Kind nicht mehr
„Ende November hat sie gesagt, dass sie das Kind nicht mehr spürt.“ Das ungeborene Kind habe den emotionalen Konflikt selbst gelöst und sei gegangen, bevor es geboren war. „Damit hat er uns diese Entscheidung abgenommen, obwohl für uns diese tödliche Spritze niemals infrage kam!“
Bis zum Tag der Beerdigung war das Paar mit dem Abschied ihres Sternenkindes beschäftigt: „Wir hatten gar keine Zeit, richtig zu trauern. Bewusst wurde uns das alles erst, als die Beerdigung im Kreis der Familie vorüber war. Bis zu diesem Tag war nur eine Leere da und es flossen viele Tränen.“
Von mitfühlender Trauer bis Unverständnis
Die Reaktionen in seinem Umfeld beschreibt er als unterschiedlich. „Von mitfühlender Trauer bis zu Unverständnis haben wir alles erlebt. Uns hat der offene Umgang bei der Trauerbewältigung aber sehr geholfen.“ Ein Jahr nach diesem traumatischen Erlebnis brachte die Frau von Mirko Maier einen Jungen zur Welt. Die ältere Schwester hatte nun einen Bruder.
Er will politisch etwas verändern
Der Fachwirt für Versicherungen und Finanzen engagiert sich, um politisch Veränderungen für Familien mit Sternenkinder zu erreichen und ihre Situation ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Das ist seine Art der Trauerbewältigung. Als Vorsitzender der SPD Unteres Wutachtal und Mitglied des Kreisvorstands hat er im Oktober 2023 eine Initiative mitinitiiert, die Unterstützung für Eltern von Sternenkindern auszubauen.
Seit Beginn des Jahres erhalten Frauen die Möglichkeit, eine Schutzfrist nach einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche in Anspruch zu nehmen. Unterstützung erhalten Betroffene bisher von kirchlichen Einrichtungen, Vereinen oder Selbsthilfegruppen – der Staat halte sich hier zurück, kritisiert Maier.
Für diese Einrichtungen und die betroffenen Familien wünscht er sich zudem mehr finanzielle Unterstützung – dafür engagiert er sich. Durch seine politischen Kontakte könne er zumindest Anregungen für Verbesserungen an Bundestagsabgeordnete weitergeben. Auch in der Hebammenausbildung sollte dieses Tabu-Thema vertieft werden. Betroffenen Familien bietet er ein persönliches Gespräch über seine Erfahrungen an.
Von der Klinik in Freiburg gab es für ihn und seine Frau viele Informationen, Broschüren und die Kontaktdaten einer ehrenamtlichen Fotografin für Sternenkinder. Liebevoll und etwas zögernd legt er das Album in die Hände des Journalisten. „Ab und zu schauen wir die Bilder an.“ Sie scheinen Mirko Maier Erinnerung an eine schwere Zeit und zugleich Trost zu sein. Aus diesem Grund sagt er: „Wir haben zwei Kinder an der Hand und eines im Herzen!“