Es gibt sie noch, die politischen Tabu-Themen. Eines davon sind die Lasten, die sich für Bund, Länder und Gemeinden bei den Pensionen von Ruhestandsbeamten auftürmen. Und sie steigen weiter.

Experten warnen, dass immer mehr öffentlich Bedienstete zu Beamten gemacht werden, für die irgendwann Pensionen gezahlt werden müssen. Diese werden aus den Mitteln des jeweils laufenden Haushalts bestritten. Finanzielle Vorkehrungen dafür gibt es, wenn überhaupt, aber nur unzureichend. In Rheinland-Pfalz wurden Fonds sogar wieder aufgelöst.

Zwei Billionen Euro Pensionslasten

Einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zufolge entspricht der Barwert der aufgelaufenen Pensionslasten und -zusagen mehr als zwei Billionen Euro, oder auch 2.000.000.000.000. Vor dem Hintergrund der schuldenfinanzierten Mehrausgaben in der Corona-Krise wächst da ein Riesenproblem heran.

„Angesichts der Nachholbedarfe bei Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur sowie der geltenden Schuldenbremse wird die Finanzierung der wachsenden Pensionsausgaben ein schwieriges Unterfangen“, heißt es in der IW-Studie. Sie verweist darauf, dass allein die pandemiebedingten Mehrausgaben die Schuldenquote von 60 auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) treiben – in den Pensionsverpflichtungen stecken bis 2060 weitere 60 Prozent.

Wohin mit dem Geld? Anlagen bringen wenig, die Inflation frisst den Rest.
Wohin mit dem Geld? Anlagen bringen wenig, die Inflation frisst den Rest. | Bild: imago stock&people

Diese Zeitbombe der Staatsfinanzen wird ignoriert

Finanzpolitisch leben Bund und Länder aktuell von der Hand in den Mund. Der Bund unter Finanzminister Olaf Scholz (SPD) steigert die Neuverschuldung für 2021 und 2022 auf einen Rekordwert von 240 Milliarden Euro.

Dafür wird die im Grundgesetz verankerte Ausnahmeregel für die Schuldenbremse genutzt. Von den bis Ende 2019 aufgelaufenen 809 Milliarden Euro zukünftiger Pensionsverpflichtungen ist nicht die Rede. Als aktueller Wert der künftigen Lasten entspricht das einem Anstieg von 88 Prozent in den vergangenen zehn Jahren.

Prekäre Lage für die Länder

Noch dramatischer sieht es bei den Ländern aus. Da sie mit Lehrern und Polizeibeamten erheblich mehr Beamte beschäftigen als der Bund, entfallen auf sie künftig 1,2 Billionen Euro an Ruhegeldverpflichtungen. Im Schnitt machen die Pensionslasten laut IW rund ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung der Länder aus.

Dazu kommt, dass in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der Beamtenschaft in den Ruhestand gehen – in den nächsten zehn Jahren etwa 30 Prozent aller rund 1,7 Millionen Beamten und Richter. Mit jeder Pensionierung wird aus einer impliziten Schuld (der verpflichtenden Zusage) eine explizite: die monatliche Auszahlung – für die Staatskasse die Stunde der Wahrheit.

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In Baden-Württemberg wies das Statistische Landesamt 2020 für das Land 136.815 Ruhegeldempfänger aus. Das bedeutet gegenüber dem Jahr 2000 eine Steigerung von 100 Prozent (68.150). Dazu kommen die Empfänger von Witwen- und Waisengeld.

Die Stuttgarter Statistiker rechnen mit einem weiteren Anstieg. Bei Annahme einer vollständigen Wiederbesetzung vorhandener Dienstposten wird sich die Zahl der Versorgungsempfänger zwischen 2018 und 2060 um fast 30 Prozent erhöhen. Die Gesamtzahl der Beamten im Land wurde für 2018 mit knapp 187.000 beziffert (plus 18 Prozent seit 1990).

Weitere Kosten kommen hinzu

Zu berücksichtigen ist auch, dass aktive wie pensionierte Beamte bei den Krankheitskosten beihilfeberechtigt sind. Der Staat trägt dabei die Hälfte der Kosten, für die sich Beamte wiederum nur zu 50 Prozent versichern müssen – ein im Alter nicht zu unterschätzender Faktor.

Die Gesamtkosten für den Staat sind hoch. Auf Grundlage bisheriger Steigerungen bei den Gesundheitskosten werden die Beihilfeausgaben allein in Baden-Württemberg bis 2030 auf rund 1,23 Milliarden Euro steigen. Das sind gegenüber 2018 etwa 31 Prozent mehr.

Mehr Geld für Beamte als für Investitionen

Jedes Unternehmen würde angesichts solcher Kostenexplosionen in helle Panik verfallen. Nicht so der Staat: Die Zahl der Bundesländer, die mehr für die Beamtenversorgung ausgeben als für Investitionen, steigt. Ein Medienbericht zum Thema Pensionslasten nennt für 2020 in Baden-Württemberg den Wert sechs zu 5,1 Milliarden Euro.

Im bevölkerungsstarken Nordrhein-Westfalen werden die Investitionen 2023 von den Pensionen überholt. Die Stadtstaaten sind von diesem Missverhältnis naturgemäß besonders betroffen, da sie zugleich die kommunale Ebene bilden. In den ostdeutschen Ländern ist die Lage weniger angespannt: Ihr Potenzial von Ruhestandsbeamten baut sich erst seit 1990 auf.

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Baden-Württemberg gehört wie Bayern zu den Ländern, die den Kopf angesichts der Pensionskosten nicht ganz in den Sand gesteckt haben. Ein 1999 und 2007 geschaffenes Sondervermögen, dessen gesetzliche Zuführungsphase 2017 endete, wird durch Sonderzahlungen für jeden neu eingestellten Staatsdiener ergänzt. Ende 2018 hatten sich so immerhin 6,8 Milliarden Euro angesammelt.

Auch gesellschaftspolitisch ein Problem

Dennoch fällt auf, dass das Thema der Pensionslasten nahezu tabuisiert ist. Denn es enthält nicht nur finanz-, sondern auch gesellschaftspolitisch enorme Sprengkraft, da sich dabei ein Vergleich der Ruhestandsbezüge von Beamten mit den Renten aufdrängt.

Die durchschnittliche Pension bei Ruhestandsbeamten beträgt über 3100 Euro, die statistische Standardrente rund halb so viel. Verzweifelt versucht die Politik, den Mindestrentensatz nicht unter 48 Prozent sinken zu lassen. Obwohl inzwischen auch die Rentenversicherung mit jährlich 100 Milliarden Euro zu fast einem Drittel steuerfinanziert ist, öffnet sich die Lücke weiter.

Die Zeiten, in denen die guten Pensionen der Beamten (71,75 Prozent der letzten Besoldung als Ruhegehalt) mit einem Einkommensnachteil im Berufsleben gerechtfertigt werden konnten, sind lange vorüber. Die Angestellten sind statistisch gesehen längst hinter die Beamten zurückgefallen.

Zudem müssen sie gegenüber der Job-Garantie der Beamten mit potenziell hohen Arbeitsplatz-Risiken leben. Beamte haben heute kaum noch Nachteile, mit denen sich ihre objektiven Vorteile im gesamten Lebenseinkommen begründen ließen. Dass Umfragen an Hochschulen heute den öffentlichen Dienst als ein bevorzugtes Berufsziel junger Menschen ausweisen, ist eine logische Konsequenz.

Die Politik tut wenig

Die Kostenlawine der Pensionslasten, die Warnungen der Wirtschaft und die Kritik der Steuerzahler werden nicht mehr lange unbeachtet bleiben können. Die Risiken für die öffentlichen Haushalte sind gewaltig. Mit elf Prozent (4,7 Millionen Beschäftigte, davon 35 Prozent Beamte) aller Erwerbstätigen ist der öffentliche Dienst der größte Arbeitgeber.

Senioren sitzen auf einer Bank. Als Pensionäre sind sie in der Regel besser gestellt als Rentner. Sie kosten aber auch eine Menge Geld.
Senioren sitzen auf einer Bank. Als Pensionäre sind sie in der Regel besser gestellt als Rentner. Sie kosten aber auch eine Menge Geld. | Bild: Stephan Scheuer

Kaum jemand wagt, die Frage zu stellen, warum Lehrer und Hochschullehrer verbeamtet werden müssen und der Beamtenstatus nicht Richtern und Funktionen mit hoheitlichen Aufgaben vorbehalten sein sollte. Die Lobby des Beamtenbunds ist stark. Sie weiß, dass ihre wachsende Klientel als Wählerpotenzial ernst genommen wird. Von den Parteien ist dazu wenig zu hören.

Bei der Suche nach den Ursachen stößt man auf ein Missverhältnis: In Parlamenten sind Beamte zahlenmäßig oft überrepräsentiert. Im 19. Deutschen Bundestag sind es derzeit fast 25 Prozent, ein Viertel aller Abgeordneten. Übrigens: Auch Bundestagsabgeordnete sind beihilfeberechtigt – als wären sie alle Beamte.