Direkter Kontakt zur Familie, zu Freunden, zur Außenwelt ist für Alte und Schwache unmöglich geworden. Doch dass die Corona-Maßnahmen auch Gefangene trifft, wird oft vergessen. Seitdem das Virus hierzulande grassiert, sind in den Justizvollzugsanstalten Besuche untersagt, Sportveranstaltungen gestrichen, Freigänge verboten. Ein Leben in einer vollkommen isolierten Gefangenschaft.

Wie kommen die Menschen in ihren Zellen mit dieser Extremsituation zurecht? Vertretern der Presse wird der Zugang zu Gefängnissen derzeit verständlicherweise verwehrt. Thomas Mönig leitet die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Ravensburg. Er gibt dennoch Einblick und sagt: „Die notwendig gewordenen Einschränkungen treffen die Gefangenen sehr.“

Denn der Kontakt zu Angehörigen ist zur Zeit nur telefonisch oder schriftlich möglich. In der JVA Rottweil wird dieses Angebot rege genutzt „und hinsichtlich der Telefonate von uns auch großzügig ermöglicht“, sagt die Rottweiler JVA-Leiterin Jennifer Rietschler dazu.

Jennifer Rietschler, Leiterin der JVA Rottweil, in ihrem Büro.
Jennifer Rietschler, Leiterin der JVA Rottweil, in ihrem Büro. | Bild: Dreher, Jürgen

Künftig soll es hier – ähnlich wie in vielen Pflege- und Altenheimen – möglich sein, per Videotelefonie mit den Liebsten Kontakt aufzunehmen.

Kein Einzelfall. In ganz Baden-Württemberg soll das umgesetzt werden. Bisher fehlen die technischen Voraussetzungen. Aktuell wird nachgerüstet, offenbart Richterin und Pressesprecherin des baden-württembergischen Ministeriums für Justiz und Europa Anna Härle: „Die Anstalten werden Tablets erhalten, die dann unter personeller Überwachung durch die Gefangenen in den Besucherräumen genutzt werden können.“

Tobias Götz leitet ein Wohnheim für Haftentlassene in Villingen-Schwenningen und sagt: „Der regelmäßige, persönliche Kontakt zur Familie ist eigentlich extrem wichtig.“

Ein wichtiger Schritt. Dennoch ersetzt das Telefongespräch natürlich nicht den Besuch, den Höhepunkt des Gefängnisalltags, weiß Tobias Götz, Leiter des Wohnheims für Haftentlassene in Villingen-Schwenningen: „Auch wir haben gerade wenig bis gar keinen Kontakt zu den Gefangenen. Aber aus meiner Erfahrung heraus weiß ich: Der regelmäßige, persönliche Kontakt zur Familie ist eigentlich extrem wichtig. Und die aktuelle Situation macht es den Gefangenen schwer.“

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Hinzu kommt: ein weiterer wichtiger Bestandteil im sonst so durchstrukturierten Gefängnisleben, fällt teilweise weg. Einige Veranstaltungen und Sportgruppen in allen Gefängnissen sind wegen des Coronavirus abgesagt worden. Hofgang wird zwar nach wie vor gewährt, aber Kontaktsport wie Fußball nicht. Die Teams werden normalerweise von Ehrenamtlichen geleitet. Doch auch sie dürfen die Gefängnisse derzeit nicht mehr betreten.

Anna Härle nennt weitere Einschränkungen: „Teilweise mussten Arbeitsbetriebe geschlossen werden, teilweise wegen Personalausfällen, teilweise wegen zurückgehender Auftragslage.“ In für Gefängnisse quasi systemrelevanten Einheiten wie Küchen und Wäschereien wird weiter gearbeitet. Auch Schulen und Ausbildungsbetriebe seien „weitgehend noch in Betrieb.“

JVA-Beamter in Ravensburg wurde positiv getestet

Aber was passiert, wenn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen jemand erkrankt? In der JVA Ravensburg ist dieser Fall tatsächlich bereits eingetreten. Wie Anstaltsleiter Thomas Mönig auf Nachfrage des SÜDKURIER erklärt, habe es einen Anstaltsbediensteten getroffen. Diese Person sei mittlerweile aber wieder genesen. Mönig und Kollegen hätten es so früh festgestellt, „dass für die Anstalt keinerlei übergreifende Einschränkungen notwendig wurden.“ Auch in anderen Gefängnissen in Baden-Württemberg gab es bereits erkranktes Personal. Die Insassen sind bislang verschont geblieben.

Die Justizvollzugsanstalt in Ravensburg. Ein Mitarbeiter dort wurde positiv auf das Coronavirus getestet.
Die Justizvollzugsanstalt in Ravensburg. Ein Mitarbeiter dort wurde positiv auf das Coronavirus getestet. | Bild: Felix Kästle, dpa

Doch – wie lange noch? Falls es dazu kommen sollte, gibt es den sogenannten „anstaltsübergreifenden Pandemieplan im baden-württembergischen Justizvollzug“.

Häftlinge könnten in Krankenhäuser verlegt werden

„Im Fall einer bestätigten Infektion erfolgt eine Isolierung und die Ermittlung der Kontaktpersonen unter Einbindung der Gesundheitsämter“, sagt Anna Härle. Die medizinische Behandlung regelt ein abgestuftes Vorgehen: Verdachtsfälle mit Symptomen werden in der jeweiligen Krankenabteilung isoliert.

Bei Verdachtsfällen in Verbindung mit schweren Grunderkrankungen kann der Gefangene in das Justizvollzugskrankenhaus in Stuttgart gebracht werden. Sobald eine Intensivpflege notwendig ist, könne sogar in ein externes Krankenhaus verlegt werden.

Das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg in Asperg. Auch hier könnte Gefangene kommen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben.
Das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg in Asperg. Auch hier könnte Gefangene kommen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. | Bild: Christoph Schmidt, dpa

Auch Justizvollzugsbeamte müssen besonders aufpassen, damit sie sich mit dem Virus nicht zu infizieren. Bedienstete bleiben deshalb vorsorglich zuhause, wenn sie sich innerhalb der Inkubationszeit in einer – nachträglich – als Risikogebiet eingestuften Gegend aufgehalten haben oder Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person hatten.

Freigang im geschlossenen Vollzug derzeit ausgesetzt

Ein weiteres Risiko, wie das Virus ins Gefängnis geschleust werden könnte, ist der Freigang. Deshalb wurden vollzugsöffnende Maßnahmen aus dem geschlossenen Vollzug ausgesetzt. Nur der Freigang im offenen Vollzug ist noch möglich, wenn der Häftling bei einem externen Arbeitgeber tätig ist. Schließlich bringt auch jeder neue Gefangene die Corona-Gefahr mit. Wer typische Krankheitssymptome zeigt, wird deshalb isoliert, bis ein Testergebnis vorliegt.

Der Freigang im geschlossenen Vollzug ist durch das Coronavirus derzeit ausgesetzt.
Der Freigang im geschlossenen Vollzug ist durch das Coronavirus derzeit ausgesetzt. | Bild: Felix Kästle, dpa

Präventive vollständige Isolation in Einzelzellen derzeit nicht angedacht

Nun wäre es – kurz gedacht – doch sinnvoll, alle Gefangene auf unbestimmte Zeit voneinander zu isolieren, um sicher zu gehen, dass das Coronavirus sich in JVAs nicht ausbreiten kann. Davon hält das Justizministerium aber wenig: „Die weitest mögliche Isolierung wäre die im Haftraum. Eine mit erheblichen Belastungen verbundene präventive Isolierung auf engstem Raum und unbestimmte Zeit ist jedoch auch mit Blick auf die reduzierten persönlichen Außenkontakte der Gefangenen zunächst nicht sinnvoll. Nach Möglichkeit werden Gruppen gebildet und Abstände eingehalten, um Übertragungsrisiken in Grenzen zu halten.“

Wenn es hart auf hart kommt, könnten Gefangene verlegt werden

Das Ministerium plant ein Szenario, in dem das Coronavirus so hart über die Justizvollzugsanstalten im ganzen Land hereinbricht, dass der Betrieb nicht mehr gestemmt werden kann. Dann könnten Gefangene sogar übergangsweise in andere Haftanstalten verlegt werden. Relevante Kriterien sind Gefangenenanzahl, Kapazitäten und das Ausmaß der Betroffenheit.

Keine reinen Corona-Gefängnisse

In Donaueschingen wurde das Lungenfachzentrum zu einer reinen Corona-Klinik umfunktioniert. Bereits geschlossene Krankenhäuser könnten reaktiviert werden. Gibt es solche Pläne auch für Gefängnisse? Nein, sagt Härle: „Der Betrieb zusätzlicher Einrichtungen wird schon aus personalwirtschaftlichen Gründen ausscheiden. Zu den jeweiligen Planungen und Maßnahmen hierzu stehen die Länder in engem Austausch. Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir auch aus Sicherheitsaspekten keine weiteren Ausführungen machen.“

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Ersatzfreiheitsstrafen werden verschoben

Damit es zu diesem Schreckensszenario gar nicht erst kommt, wird die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, also Freiheitsstrafen, die wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe anstehen, für drei Monate aufgeschoben.

Und das ist noch nicht alles: Bis zum 15. Juni 2020 können Gefangene, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, sofern nicht im Einzelfall einer Freilassung überwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen, unterbrochen werden. Staatsanwaltschaften sind ebenfalls bis zum 15. Juni dazu angehalten auch die Vollstreckung von Freiheitsstrafen von nicht mehr als sechs Monaten aufzuschieben.

„Keine Amnestie. Freiheitsstrafe ist lediglich für einige Zeit verschoben“

„Diese Maßnahmen stellen jedoch keine Amnestie oder ähnliches dar. Die betroffenen Personen, die in den kommenden Tagen zum Strafantritt geladen worden wären, müssen weiter mit einer Vollstreckung ihrer Freiheitsstrafe rechnen. Sie ist lediglich für einige Zeit verschoben“, stellt Pressesprecherin des Justizministerium Anna Härle klar.

Wohnheim-Leiter Götz besucht Bewerber für Wohnplatz nicht mehr

Verschieben muss auch Wohnheim-Leiter Tobias Götz seinen Alltag. Besuche im Gefängnis sind derzeit tabu. Normalerweise macht er sich vor Ort ein Bild von den Gefangenen, die in Kürze die Haftanstalt verlassen und sich auf einen Platz bei ihm beworben haben. „Aber das geht gerade nicht mehr. Viele machen sich deshalb große Sorgen, ob das mit ihrer Wohnung hier klappt“, sagt Götz.

Doch der Wohnheim-Leiter kann beruhigen. „Zur Not können sie bei uns natürlich einfach vorbeikommen. Dann vereinbaren wir erstmal ein Wohnen auf Probe“, sagt er. Wenn das gut geht, können Gefangene bleiben. Auf Besuch müssen sie jedoch auch hier verzichten. Bis auf die Gefangenen selbst, kommt bei Tobias Götz niemand rein – bis sich die Lage beruhigt hat.