„Es muss sich niemand Sorgen machen. Der Rechtsstaat funktioniert auch in der Krise.“ Das sind die Worte von Landesjustizminister Guido Wolf. Das Corona-Virus hinterlässt Spuren. Auch in der Justiz. Die Vorsichtsmaßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Virus gehen auch nicht an den Straf- und Ermittlungsbehörden vorbei.
Homeoffice für die Justiz
Das Land hat bereits Vorsichtsmaßnahmen auch in diesem Bereich beschlossen. Mitarbeiter der Justiz sollen demnach nach Möglichkeit ebenfalls im Homeoffice arbeiten. In den kommenden Tagen würden 1300 Mitarbeiter mit Fernzugängen zu den relevanten Systemen des Landes ausgestattet.
Doch was ist mit laufenden Ermittlungsverfahren? Auf Anfrage sagt eine Sprecherin des Justizministeriums Baden-Württemberg dem SÜDKURIER, die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaften sei weiterhin sichergestellt. Auch an den Gerichten werden demnach dringende und wichtige Termine weiter stattfinden. Darunter fielen auch die Vorführung von Tatverdächtigen vor den Haftrichter, um eine Untersuchungshaft anzuordnen.
Mehr Strafbefehle, weniger Verhandlungen?
Wäre es da nicht nahe liegend, wenn die Staatsanwaltschaft mehr Strafbefehle stellen würde, um ein voraussichtlich zunächst nicht stattfindendes Verfahren zu vermeiden? Der Sprecher der Konstanzer Staatsanwaltschaft, Andreas Mathy, erklärt, dass dies in Zeiten von Corona durchaus sinnvoll wäre, weil das „Verfahren ohne Hauptverhandlung zu führen“ wäre. Oberstaatsanwalt Georg Roth betont allerdings, dass bei dieser Erwägung keine Willkür herrsche: „Der Strafbefehl wird aus rechtlichen Gründen beantragt.“
Grundsätzlich sind Strafbefehle nur möglich, wenn es um einen Tatvorwurf geht, der weniger als zwölf Monate Strafmaß mit Bewährung vorsieht oder eine Geldstrafe. Tatvorwürfe wie Raub, Drogenbesitz oder -handel in nicht geringer Menge sowie Sexualdelikte, Mord und Totschlag müssen in einer Verhandlung geklärt werden.
Vorbestrafte Angeklagte sowie das Ausmaß der vorgeworfenen Straftaten sprächen für einen Prozess. „Dann wird die Strafverfolgung eben erst in drei bis vier Monaten beginnen“, erklärt er. Roth sagte dazu, „an der Praxis wird sich nichts ändern“, man werde aber den vorhandenen Ermessensspielraum nutzen.
Staatsanwaltschaft Freiburg ermittelt weiter
Die Staatsanwaltschaft Freiburg betonte jedoch, dort würden „keine Ermittlungen auf Eis gelegt“, so Staatsanwältin Martina Wilke auf Anfrage des SÜDKURIER. Demnach sei die Erreichbarkeit aller Abteilungen gewährleistet und „eilige Ermittlungsmaßnahmen“ könnten weiterlaufen. Wilke erklärte, dass auch die Staatsanwälte von zu Hause aus arbeiteten. Dennoch werden sich „die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus auf die allgemeine Verfahrensdauer auswirken“, gestand sie ein. Schwerwiegende Straftaten würden jedoch vorrangig bearbeitet, hob Wilke hervor.
Auch Gerichtsprozesse sollen zunächst normal weiterlaufen, sagte Minister Wolf: „Die Verhandlungen, die stattfinden müssen, werden weiter öffentlich sein, so verlangt es das Gesetz.“ So sollen auch in Konstanz wichtige Verfahren weiter laufen, um zu verhindern, dass der umfangreiche Prozess erneut beginnen müsse.
Freiburger Prozess wird sich verzögern
Doch das seit Juni 2019 laufende Verfahren gegen elf Angeklagte vor dem Freiburger Landgericht wegen des Vorwurfs der Gruppenvergewaltigung und der unterlassenen Hilfeleistung wird deutlich verlangsamt. Aktuelle Termine waren bereits wegen der Quarantäne einer der Prozessbeteiligten ausgefallen, nun kündigte das Landgericht weitere Terminausfälle in dem Mammutverfahren an.
Aus verfahrensrechtlichen Gründen darf es aber keine zu lange Unterbrechung geben, daher sollen zwischenzeitlich lediglich „Kurztermine“ stattfinden, in dem die Verfahrensbeteiligten nur kurz zusammentreten, um die vorgebenenen Fristen einzuhalten. So soll bis Mitte Mai verfahren werden.
Viele Beteiligte
Allerdings dürfte gerade das eine Herausforderung darstellen: Für das umfangreiche Verfahren war der große Saal des Landgerichts zwar extra umgebaut worden. Doch die Angeklagten saßen dicht nebeneinander, unmittelbar vor ihnen die Anwälte und die drei Sachverständigen.

Hinzu kommen zwei Schöffen, zwei Beisitzer und der Richter, eine Protokollantin und eine Vielzahl von Justizbeamten, die anwesend sein müssen, um die Angeklagten zu bewachen. Selbst ohne Publikumsverkehr sind auf diese Weise mindestens 40 bis 50 Personen in einem verhältnismäßig kleinen Saal.
Justiz arbeitet an Ausnahmegesetz für Verfahren
Derzeit plant das Bundesjustizministerium für Fälle wie diese, aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen eine Unterbrechung der Hauptverhandlung für maximal drei Monate und zehn Tage zu ermöglichen: Diese solle „verhindern, dass strafgerichtliche Hauptverhandlungen infolge der Auswirkungen der Corona-Epidemie neu begonnen werden müssen, heißt es auf Nachfrage bei dem Ministerium. Voraussetzung für solche Unterbrechungen sei, „dass die Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden“ könne.
Bisher strenge Regeln für Unterbrechungen
Bislang dürfen Hauptverhandlungen in Strafsachen nur bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Bei längeren Prozessen, die schon mehr als zehn Verhandlungstage angedauert haben, kann bislang maximal bis zu einem Monat unterbrochen werden.
Sollte die neue Regelung greifen, würde das Verfahren in Freiburg wohl auf Halde gelegt. Für die Angeklagten, von denen die meisten seit Ende Oktober 2018 bereits in Untersuchungshaft sitzen, dürfte das eine enorme Belastung sein. Mehrere der Angeklagten klagten bereits in den vergangenen Monaten über das schleppende Verfahren.
Kein Besuch für Häftlinge
„Wir wissen, dass dies für die Gefangenen eine einschneidende Maßnahme ist, wir kommen aber in der jetzigen Situation nicht umhin, zum Schutz der Gefangenen und der Bediensteten Gefangenenbesuche vorerst vollständig auszusetzen“, sagte Justizminister Wolf.
Schon jetzt gelten strengere Regeln in den Justizvollzugsanstalten: Grundsätzlich seien nur noch Mitarbeiter der Haftanstalten zugelassen. Gefangene dürfen keinen Besuch mehr bekommen, auch Ehrenamtliche nicht. Lieferanten von Lebensmitteln und anderem Benötigten dürfen die Anstalten betreten.
Verfahren für den Ernstfall im Gefängnis
Doch was, wenn in den Haftanstalten das Virus ausbricht? In solchen Fällen sollen Betroffene isoliert werden, hieß es seitens des Justizministeriums. Die Vorgehensweise ist der Sprecherin zufolge genau festgelegt: Verdachtsfälle mit Symptomen werden demnach in der jeweiligen Krankenabteilung isoliert.
„Bei Verdachtsfällen in Verbindung mit schweren Grunderkrankungen und respiratorischen Symptomen“ werden die Patienten in das Stuttgarter Justizvollzugskrankenhaus verlegt. Sollte eine Intensivpflege nötig sein, wird ein Gefangener im Notfall in letzter Instanz in ein externes Krankenhaus verlegt.