Die Zahl der Neuinfektionen steigt. Was sind die Hauptinfektionsquellen?
Das Robert-Koch-Institut sieht verschiedene Ursachen für den erneuten stärkeren Anstieg von Infektionszahlen. Dazu gehören viele kleinere Ausbrüche in verschiedenen Landkreisen, ausgelöst zum Beispiel durch größere Feiern im Familien- und Freundeskreis, aber auch Freizeitaktivitäten, am Arbeitsplätzen, sowie in Gemeinschafts-und Gesundheitseinrichtungen und nicht zuletzt bei Reiserückkehrern.
Wo sind im Bund die Hotspots, wo im Land?
Die sogenannte Inzidenz der vergangenen sieben Tage liegt (Stand 7. Oktober) deutschlandweit bei 18,6 Fällen pro 100.000 Einwohner. In sieben Kreisen überschritt die 7-Tage-Inzidenz 50 Fälle pro 100.000 Einwohner: Das betrifft die Stadtkreise Hamm, Remscheid, den Landkreis Vechta und die Berliner Bezirke Mitte, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof Schöneberg. In weiteren 58 Kreisen lag die 7-Tage-Inzidenz über 25 Fällen pro 100.000 Einwohner.
Am Mittwoch meldete das Landessozialministerium Baden-Württembergs 652 Neuinfektionen binnen eines Tages, am stärksten betroffen ist der Landkreis Esslingen, der die kritische Marke von 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern überschritt. Auch im Ortenaukreis sind die Infektionszahlen wieder deutlich erhöht. Am Donnerstag wurden 652 Neuinfektionen in Baden-Württemberg innerhalb eines Tages gemeldet.

Wie sieht es in der Region aus?
In der Region sind die Zahlen noch verhältnismäßig niedrig. So liegen die Inzidenzzahlen, also Infizierte pro 100.000 Einwohner laut Landesgesundheitsamt aktuell im Bodenseekreis bei 8, im Kreis Konstanz 10,8, im Schwarzwald-Baar-Kreis bei 9,4, im Kreis Sigmaringen bei 13, im Kreis Waldshut bei 10,5, in Ravensburg bei 9,8.
Welche Rolle spielen Schulen?
Sie spielen eine Rolle: Derzeit befinden sich laut einer Anfrage vom 7. Oktober beim Sozialministerium 357 Klassen in Quarantäne. Anfang des Monats waren es noch 304. Betroffen sind den Angaben nach 197 Schulen, drei Schulen sind ganz geschlossen. Bei etwa 4500 Schulen in Baden-Württemberg ist damit aber nicht einmal jede 20. Schule betroffen. In der Region gibt es ebenfalls Fälle: So wurden an der Geschwister-Scholl-Schule in Konstanz zwei Klassen in Quarantäne geschickt.
Sind 4000 Fälle heute genau so schlimm wie 4000 im März oder April?
Nein. Denn heute gibt es Behandlungsstandards, auch wenn noch kein heilendes Medikament oder eine Impfung gegen Covid-19 zugelassen wurde. Inzwischen gibt es Medikamente, von denen man weiß, dass sie den Krankheitsverlauf zumindest mildern können.

Die Überlebenschance für Patienten mit schweren Krankheitsverläufen ist damit im Vergleich zum Beginn der Pandemie gestiegen, wie der Pneumologe Hinrich Bremer von der Schwarzwald-Baar-Klinik in Donaueschingen bestätigt.
Außerdem liegen des Fallzahlen heute viel höhere Testzahlen zu Grunde als im Frühjahr. So gab es vergangene Woche knapp 18.000 positive Corona-Tests, was ziemlich genau der Anzahl positiver Tests entspricht, die es in der Woche ab dem 20. April gab. Der Unterschied: Damals entsprach das einer Rate positiver Tests von fast fünf Prozent, vergangene Woche waren nur 1,6 Prozent der Tests positiv.
Gleichzeitig steigen die Todeszahlen kaum. Warum nicht?
Dass die Todeszahlen trotz wieder vermehrter Infektionsfälle nicht steigen, hat verschiedene Gründe. Zum einen die oben genannten verbesserten Behandlungsmethoden, die sich im Lauf der Pandemie bewährt haben. Zum anderen, dass seit dem Sommer wegen der zahlreichen Urlaubsrückkehrer viel mehr getestet wurde: Die Dunkelziffer der Infektionsfälle ist damit geringer als vorher, bei den Todesfällen ist die Dunkelziffer dagegen generell gering.
Darüber hinaus haben sich nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts in den vergangenen Monaten zunehmend junge Menschen infiziert. Bei jüngeren Menschen ohne Vorerkrankungen ist die Sterblichkeitsrate nachweislich deutlich geringer. Derzeit sind 9578 Menschen in Deutschland an und mit Covid-19 verstorben.
Wie entwickeln sich die Krankenhauszahlen?
Nach der offiziellen Statistik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, wo die Zahlen im Krankenhaus behandelter Covid-19-Patienten erfasst werden, sind aktuell (Stand 8. Oktober) 487 Patienten deutschlandweit in intensivmedizinischer Behandlung – rund doppelt so viele wie vor drei Wochen. Zum Vergleich: Am 21. April waren 2.908 Menschen in intensivmedizinischer Behandlung wegen Covid-19, davon wurden 2112 beatmet.
In Baden-Württemberg liegen derzeit 59 Menschen wegen Covid-19 auf Intensivstationen. Davon werden 30 invasiv beatmet. Im gesamten Bundesland stehen 3327 Intensivbetten zur Verfügung. Davon sind derzeit 2295 belegt, 1,8 Prozent davon machen Covid-19-Patienten aus. Im Bodenseekreis werden derzeit drei Patienten beamtet, im Schwarzwald-Baar-Kreis zwei, ebenso im Kreis Sigmaringen und im Kreis Waldshut, im Kreis Konstanz sind es sechs Patienten, im Kreis Ravensburg vier.

Was hat es mit dem Ct-Wert auf sich, von dem nun die Rede ist?
Dieser Wert zeigt an, wie viele Runden beim sogenannten PCR-Test, dem üblichen Testverfahren, benötigt, werden, um Viruserbgut nachzuweisen. Je höher der Wert, also je mehr Runden im Verfahren notwendig waren, um das Virus nachzuweisen, desto weniger Virus ist noch im Körper des Betroffenen.
Das Robert-Koch-Institut geht derzeit davon aus, dass ein Infizierter mit einem Wert über 30 niemanden mehr anstecken kann. Eine Quarantäne wäre in diesem Fall unnötig. Liegt der Wert darunter, kann er als Grundlage dienen, um die Dauer der Quarantäne entsprechend zu verkürzen.
Spricht etwas dagegen, den Ct-Wert als Grundlage für die Quarantäne-Entscheidung zu nutzen?
Ja. Der Ct-Wert kann auch dann hoch sein, wenn ein Betroffener noch am Anfang der Infektion steht. Das heißt, der Wert kann danach noch sinken und der Betroffene ansteckender werden. Abhilfe schaffen könnte ein zweiter Test. Doch was passiert in der Zwischenzeit? Um sicher zu gehen, müssten sich Betroffene wohl trotzdem in Quarantäne begeben – bis das zweite Ergebnis vorliegt. Für die Labore könnte das einen deutlichen Mehraufwand bedeuten.
Wovon hängt die Quarantäne derzeit ab?
Bislang berufen sich die Gesundheitsämter nur auf das positive Testergebnis. Eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung ergab, dass drei Viertel der Gesundheitsämter, die auf die Anfrage antworteten, gar nicht die vollständigen Werte erhalten, obwohl diese im Labor mitgetestet werden.
Droht ein zweiter Lockdown?
Der kritische Richtwert liegt hier bei 35 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner in Baden-Württemberg. Dann gilt die dritte und höchste Stufe der „Corona-Ampel“ des Landes, die „kritische Phase“. Dazu heißt es beim Sozialministerium: „Verschärfte Maßnahmen, die zur Verhütung und Bekämpfung von SARS-CoV-2 geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, werden umgesetzt.“
Ziel sei es, weitreichende Maßnahmen wie einen Lockdown zu verhindern, heißt es weiter. Mit anderen Worten: Greifen die Maßnahmen nicht und sinkt der Wert nicht unter 35 Fälle pro 100.000 Einwohner landesweit, ist auch ein Lockdown nicht ausgeschlossen.
Wie ist die Situation in der Schweiz und Vorarlberg?
Auch in der Schweiz steigen die Zahlen nun wieder sprunghaft an. Das Bundesamt für Gesundheit meldet 1172 Neuinfektionen innerhalb eines Tages (Stand 8. Oktober) – in einem Land, das nur ein Zehntel so viele Einwohner hat wie Deutschland, die Pro-Kopf-Quote ist also deutlich höher. In Vorarlberg werden derzeit 367 Personen als aktiv positiv vermeldet, ein Zuwachs von 25 im Vergleich zum Vortag. Österreich hat zudem am Donnerstag mehr als 1200 Neuinfektionen vermeldet – so viele wie nie zuvor an einem Tag.

Drohen neue Grenzschließungen?
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Die erneute Anordnung von Corona-bedingten vorläufigen Binnengrenzkontrollen wird im BMI derzeit nicht erwogen.“