Der erste Patient kam am 3. März. Daran kann sich Professor Hinrich Bremer, Internist und Pneumologe, noch genau erinnern. Der 50-Jährige betreut seit Beginn der Pandemie Covid-19-Patienten im Schwarzwald-Baar-Klinikum in Donaueschingen.

Seither kamen 276 Covid-19-Patienten in sein Krankenhaus. 39 Patienten erlagen dort der Krankheit. Wer bei ihm in der Klinik landet, hat ohnehin schon einen schwereren Verlauf der Krankheit als andere. Etwa 20 Prozent von ihnen, schätzt er, brauchen eine „differenzierte Therapie“.

„Wir hatten nun eine ganze Zeit keine Covid-Patienten mehr, seit dieser Woche kommen etwa jeden zweiten Tag wieder Patienten zu uns“, sagt Bremer dem SÜDKURIER. Er sitzt in einem Besprechungszimmer in der Abteilung Pneumologie. Mehrmals während unseres Gesprächs klingelt sein Diensttelefon. Bremer hat nicht viel Zeit, aber er nimmt sie sich.

Anfangs war er auf sich allein gestellt

Bei den ersten Patienten musste sich Bremer selbst überlegen, wie er den Betroffenen am besten helfen kann. Die Krankheit verläuft, wenn sie nicht gut verläuft, so: In der sogenannten Replikationsphase, Bremer nennt sie Phase Eins, hat der Patient oft noch keine größeren Symptome. Wenn der Körper in dieser Zeit nicht selbst mit den Viren fertig wird, kommt meist hohes Fieber hinzu – Phase Zwei. Häufig, das ist inzwischen bekannt, kommen in dieser Zeit Blutgerinnungsstörungen vor. In Phase Drei, die sogenannte Hyperinflamationsphase, reagiert der Körper dann sozusagen über. Alles entzündet sich, häufig kommt es zu Multiorganversagen.

„In der Phase 3 der Erkrankung kommt es häufig zu einer schweren Gasaustaschstörung. Hier benötigen dann die Patienten Sauerstoff oder in besonders schweren Fällen auch eine künstliche Beatmung“, erklärt Bremer.

Internist und Pneumologe Hinrich Bremer behandelt Covid-19-Patienten in der Schwarzwald-Baar-Klinik in Donaueschingen.
Internist und Pneumologe Hinrich Bremer behandelt Covid-19-Patienten in der Schwarzwald-Baar-Klinik in Donaueschingen. | Bild: Moll, Mirjam

Inzwischen gibt es Richtlinien und Studien. Und die Erfahrungen, die die Bremer und sein Team gesammelt haben. Bremer erkannte früh, dass es zu Blutgerinnungen kommen kann. Sie können zu Thrombosen, also Blutgerinnseln führen. Die Folge kann ein Gefäßverschluss bis hin zu einer Lungenembolie sein. Bremer setzte dagegen Heparin ein.

Um die körperliche Überreaktion zu verhindern, griff der Internist zu Dexamethason, ein Kortikoid, das entzündungshemmend, aber auch dämpfend auf das Immunsystem wirkt. „Heute ist das weltweiter Standard“, sagt Bremer. Vor sechs Monaten gab es keine Standards.

Was hilft gegen Covid?

Auch der Wirkstoff Remdesivir, ein sogenanntes Virustatikum, ist in der EU erst seit Juli bedingt zugelassen im Kampf gegen Covid-19. Der Wirkstoff soll die Vermehrung der Viren im Körper bremsen. Doch in den bisherigen Studiendaten wurden keine Daten zur Viruslast erhoben. Die Studie zeigte aber, dass die Behandlungsdauer von Patienten, die den Wirkstoff bekamen, kürzer ausfiel.

Wachbeatmung statt Narkose

Atemversagen gehört zu den wohl schlimmsten Auswirkungen des Virus. Bremer setzte vor allem auf eine sogenannte Wachbeatmung. Anders als bei der invasiven Beatmung werden die Patienten nicht narkotisiert: Die Patienten können weiter kommunizieren und selbst Nahrung zu sich nehmen, sagt Bremer.

Inzwischen wurde ein Medikament in die klinische Studie geschickt, das bisher unter anderem gegen Polycythämie, eine seltene Erkrankung der blutbildenden Zellen im Knochenmark, eingesetzt wurde. Ruxolitinib heißt dieser Wirkstoff, der bei Covid-19 die Hyperinflamation, also die Überreaktion des Immunsystems, stoppen soll.

Der Ansatz des Teams um Bremer war erfolgreich, wie eine im Mai veröffentlichte erste Bilanz zeigte: Nur vier Prozent der Patienten mussten invasiv beatmet werden, 45 Prozent waren auf der Intensivstation, die Sterblichkeitsrate lag bei 17 Prozent. Zwar lässt sich die Studie aufgrund der geringeren Patientenzahl nur bedingt mit bundesweiten Studien wie der der AOK vergleichen, dennoch sei sie „ein Indiz“, sagt Bremer selbst. Und er sagt: „Die Überlebenschancen für schwer erkrankte Patienten sind heute besser als zu Beginn der Pandemie.“

Es gibt weiter kein Heilmittel

„Jetzt gibt es zwar Behandlungsstandards, aber noch kein heilendes Medikament“, macht Bremer klar. Was er meint: Nach wie vor sterben weltweit Menschen an Covid-19. Der Pneumologe hat in seiner Klinik selbst Patienten verloren. Teils waren es Menschen mit Vorerkrankungen wie Krebs, ältere Menschen aus Pflegeheimen oder Patienten, die einer Intensivbehandlung nicht zugestimmt hatten.

„Der Tod gehört zum Arztsein dazu“, sagt Bremer ganz offen. Trotzdem ist es ihm ein Anliegen, seinen Beitrag zu leisten, eine gute Behandlung der Krankheit zu finden. „Das ist eine Herausforderung und die ist nicht immer schön“, sagt er. Lange Zeit verzichtete Bremer auf sein Privatleben. Der 50-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Auch wenn es zwischenzeitlich schwierig gewesen sei, an ausreichend Schutzausrüstung zu kommen, „von irgendwoher haben wir dann immer noch Material bekommen“, sagt Bremer. Inzwischen sei alles wieder ausreichend vorhanden. Er selbst ist bislang von der Krankheit verschont geblieben. Er lässt sich nicht ständig testen, aber wenn es einen Verdacht gibt. Zuletzt war das vor zwei Monaten der Fall.

Der Einsatzplan der Klinik steht. Derzeit würden zehn Betten freigehalten, es gibt einen Belegungsplan, welche Abteilungen bei steigenden Patientenzahlen zurückgefahren werden müssen und wie man auf der Intensivstation vorgeht.

Eine Krankenschwester deckt ein leeres Krankenbett in der Schwarzwald-Baar-Klinik in Donaueschingen ab.
Eine Krankenschwester deckt ein leeres Krankenbett in der Schwarzwald-Baar-Klinik in Donaueschingen ab. | Bild: Moll, Mirjam

Noch ist es ruhig in dem Krankenhaus. „Die Zahlen steigen nicht schlagartig. Man hat Zeit, zu reagieren“, sagt er. Derzeit sei ein Fall stationär in Behandlung, sagt der Internist. Doch Bremer blickt mit Sorge auf die bevorstehende kalte Jahreszeit. Wenn die Schleimhäute ohnehin schon angegriffen seien, sei die lokale Abwehr geringer. Eine Doppelinfektion wäre ein deutlich größere Belastung für den Körper.

Bremer appelliert an die Menschen, die Hygieneregeln zu beherzigen. „Wenn Hygienemaßnahmen eingehalten werden, ist das Ansteckungsrisiko auch bei direktem Umgang mit infizierten Personen äußerst gering“, betont Bremer.

Die Bürger sollten weiter Masken tragen und Abstand halten, fordert er. „Jeder kann eine Maske tragen. Ich finde es unsäglich, dass es Ärzte gibt, die dagegen Atteste erstellen“, schimpft er. „Die Maske ist ein hochwirksames Mittel“, betont Bremer.

In dieser Station sollen Patienten mit Covid-19 untergebracht werden. Im Moment sind die Betten noch fast alle leer.
In dieser Station sollen Patienten mit Covid-19 untergebracht werden. Im Moment sind die Betten noch fast alle leer. | Bild: Moll, Mirjam

Auf die „Querdenker“ und Maskenverweigerer angesprochen, kann Bremer nur den Kopf schütteln. „Was man über Google findet, ist nicht immer richtig“, stellt Bremer klar. „Es stimmt nicht, dass wir durch das Tragen der Masken verstärkt Kohlendioxid einatmen, hält er fest – „noch, dass Kinder dadurch Entwicklungsstörungen bekommen“.

Vielmehr wiesen Studien eindeutig nach, dass der Schutz durch das Tragen von Masken acht Mal höher sei als ohne. „Es steht jedem frei, seine Meinung zu vertreten“, sagt Bremer: „Aber ich darf dadurch nicht andere gefährden.“

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Dann muss Bremer weiter. Der Pneumologe strafft seinen Kittel, geht mit schnellen Schritten aus dem Besprechungszimmer. Der nächste Patient wartet.