Die Theorie kursiert seit wenigen Wochen im Internet: Immun werden gegen Covid-19 durch das Tragen eines Mund-und-Nasen-Schutzes. Das klingt absurd, aber die zwei Wissenschaftler in den USA, die sie aufstellten, sind davon überzeugt – und stießen damit eine Debatte unter Immunologen und Medizinern an. Was aber ist dran an der Theorie?

Fahrgäste am Bahnhof tragen Gesichtsmasken. In Ländern, in denen Maskenpflicht herrscht, gibt es deutlich weniger schwere Erkrankungen. ...
Fahrgäste am Bahnhof tragen Gesichtsmasken. In Ländern, in denen Maskenpflicht herrscht, gibt es deutlich weniger schwere Erkrankungen. Zudem verläuft die Erkrankung in diesen Ländern öfter asymptomatisch. Für die US-Forscher sei das einer der Gründe für ihre Annahme, dass das Tragen des Mundschutzes zur Immunisierung gegen Covid-19 führen könnte. | Bild: Vesa Moilanen, dpa

In dem renommierten wissenschaftlichen Magazin „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Monica Gandhi und George Rutherford eine steile Hypothese: „Während Sars-Cov-2 sich weiter global ausbreitet, ist es möglich, dass eine der Säulen der Covid-19-Pandemiebekämpfung – die universelle Gesichtsmaske – dazu beitragen könnte, die Schwere der Krankheit zu verringern und dafür zu sorgen, dass ein größerer Anteil der Neuinfektionen asymptomatisch verläuft.“ Die Maskenpflicht wurde ursprünglich eingeführt, damit Menschen ohne Symptome, die das Virus unwissentlich in sich tragen, andere nicht anstecken. Ein Schutz vor Ansteckung ist die Maske dagegen nicht.

Spannende Theorie

Doch genau darauf fußt die Theorie der beiden Wissenschaftler: Weil die Maske Partikel aus der Luft nicht vollständig aufhalten kann, könnten auch die Viren in den Körper gelangen. Allerdings in einem deutlich geringeren Maße als ohne den Schutz der Maske. Die geringe Menge von Viren könnte nach Meinung der beiden Wissenschaftler ausreichen, um eine Immunreaktion im Körper auszulösen, ohne dass der Betroffene Krankheitssymptome zeigt. So gäbe es in Ländern mit Maskenpflicht deutlich weniger schwere Erkrankungen oder Todesfälle als in Ländern ohne diese Pflicht, schreiben die Forscher in ihrem Artikel – zugleich sei die Zahl der asymptomatischen Krankheitsverläufe in solchen Ländern höher.

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Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention: Demnach verlaufe die Krankheit bei 40 Prozent der Infizierten asymptomatisch, dort, wo Maskenpflicht herrsche, aber sogar bei 80 Prozent. Kurzum: Die Menschen, die sich infizierten, aber eine Maske trugen, zeigten demnach häufig keine Symptome.

Skepsis in Deutschland

In Deutschland sehen Wissenschaftler die Theorie aber eher skeptisch. Martin Stürmer, Virologe und Leiter eines Privatlabors in Frankfurt, sagt dem SÜDKURIER: „Bislang konnte man nur bei Tests mit Hamstern eine solche Korrelation herstellen: Also je mehr Viren man ihnen verabreichte, desto kränker wurden sie. Das ist aber beim Menschen noch nicht geprüft worden“, erklärt der Experte.

Die Vermutung der beiden Wissenschaftler sei aber „nicht ganz von der Hand zu weisen, das kennen wir von anderen Erregern auch“, ergänzt Stürmer. So habe man sich bei Pocken diese Erkenntnis sogar zunutze gemacht. „Das ist ein historisches Beispiel, bei dem solche Versuche gemacht wurden. Mit milden Dosen sollte ein milder Krankheitsverlauf erzeugt werden.“ Damit wurde der Körper fertig, eine Immunreaktion sorgte für entsprechende Abwehr und verhinderte einen schwereren Verlauf der Krankheit.

Martin Stürmer, Virologe und Leiter des IMD Labors in Frankfurt. Er sieht die Theorie der Amerikaner mit Skepsis.
Martin Stürmer, Virologe und Leiter des IMD Labors in Frankfurt. Er sieht die Theorie der Amerikaner mit Skepsis. | Bild: privat

Das Problem: Bei Covid-19 ist die Frage der Immunität noch nicht geklärt: weder, wann sie sich entwickelt, noch, wie lange sie bestehen bleibt. Stürmer sagt abschließend: „In unserem Land ist das keine Neuerung, weil wir uns gut daran gewöhnt haben, die Maske zu tragen. Für die Amerikaner mag es ein Grund sein, die Masken doch zu tragen“, sagt er.

Theorie beruht auf Annahmen, die noch nicht erforscht sind

Auch Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sieht die Theorie eher kritisch: Sie sei skeptisch, da die Hypothese der beiden Wissenschaftler auf zwei Annahmen beruhe, „die wissenschaftlich für SARS-CoV-2 noch nicht belegt sind: Erstens, dass eine geringere Dosis an Virus weniger starke Symptome oder Krankheit auslöst und zweitens, dass milde oder asymptomatische Infektionen einen langlebigen Immunschutz auslösen.“

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Diese Theorien seien noch Gegenstand von aktuellen Forschungen, betont Brinkmann weiter. Zwar bestätigt sie, dass „eine Immunantwort bei Menschen mit milden Verläufen“ sichtbar sei, „aber die große Frage ist ja, wie langlebig sie ist – also wie lange sie geschützt sind.“ Kurzum: Mehr als eine spannende Theorie ist die Hypothese der beiden Wissenschaftler derzeit nicht.