Er liegt splitternackt auf dem Rasen vor dem brennenden Haus seiner Eltern in Dauchingen und wälzt sich auf dem Rücken. Mit blutverschmierten Händen hält sich der 32-jährige Micha G. die Ohren zu und stammelt etwas von Dämonen, der Hölle, und dass der Teufel im Spiel sei. Ein Feuerwehrmann aus Niedereschach, der nur zufällig in der Nähe und als Mitglied der Führungsgruppe alarmiert war, trifft zuerst auf den merkwürdigen unbekleideten Mann am Brandort. Er befindet sich sichtlich in einem Ausnahmezustand. „Haut alle ab, ihr Teufel!“, soll G. geschrien haben.

„Ich habe mich zu ihm runtergebeugt und als Feuerwehrmann zu erkennen gegeben“, schildert der Niedereschacher am Dienstag beim Prozessauftakt zur Familientragödie von Dauchingen am Konstanzer Landgericht. „Plötzlich hat er sich umgedreht und mich mit dem Fuß am Kinn erwischt, aber es war kein gezielter Tritt.“ Der Brandbekämpfer warnt die eintreffenden Rettungssanitäter, dass der am Boden liegende Mann aggressiv sei. Von den Nachbarn kommt der Hinweis, dass der nackte Verwirrte das Haus angezündet habe, in dem noch Menschen seien.
Tritt gegen Notfallsanitäter
In einem unerwarteten Moment steht Micha G. plötzlich auf und tritt einem Notfallsanitäter aus Villingen-Schwenningen in den Rücken. Auch dieser sagt vor Gericht als Zeuge aus. „Meine Kollegin hat ‚Vorsicht‘ gerufen, ich habe gemerkt, dass er mich treten will und stand zum Glück weit genug weg – es war nicht stark“, sagt der Villinger im Schwurgerichtssaal.

Zu diesem Zeitpunkt wussten die Einsatzkräfte noch nicht, dass der harmlos wirkende Micha G. kurz zuvor seine 72-jährige Mutter umgebracht und das Elternhaus, in dem er selbst noch lebte, in Brand gesteckt hat. Genau eine Woche später stirbt sein 81-jähriger Vater an den schweren Verbrennungen und einer Rauchgasvergiftung in einer Spezialklinik. Doch wie konnte es soweit kommen?
Ein gescheitertes Leben
Micha G. wird 1989 in Bremen geboren und sehr christlich erzogen. Mit seinen Eltern übersiedelt er später nach Dauchingen in ein schmuckes Einfamilienhaus. Er findet Freunde und spielt in einer Band. Doch sein Leben bekommt er nicht in den Griff. Der schüchtern wirkende Mann beginnt zahlreiche Ausbildungen und Studien, aber bricht alle nach einigen Monaten wieder ab. Nach einer studienbedingten Übersiedlung nach Darmstadt zieht er wieder zurück zu seinen Eltern nach Dauchingen, welche ihn finanziell unterstützen.
Seine Mutter fährt ihn regelmäßig nach Trossingen, wo er ein Praktikum absolviert, das er aber nach kurzer Zeit wieder aufgibt. Mit 30 bricht er nach vier Monaten eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei einer Supermarktkette ab. Die vergangenen zwei Jahre wohnt der 32-Jährige zu Hause, ohne eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten, was für Konfliktstoff mit den Eltern gesorgt haben dürfte.
Kampfgeschehen im Kinderzimmer
Als ihn der Vorsitzende Richter Arno Hornstein nach gemeinsamen Ausflügen und Spaziergängen mit seinen Eltern fragt, was Micha G. bejaht, beginnt dieser kurz darauf zu weinen. Der schmächtige Mann steht schon länger in psychiatrischer Behandlung, eine Woche vor der Tat hörte er auf, ein verschriebenes Antipsychotikum einzunehmen.
Am 22. Juni betritt die Mutter zur Mittagszeit das Zimmer ihres Sohnes im Obergeschoss des Einfamilienhauses. Was sie zu ihm gesagt haben könnte, weiß nur Micha G. Jedenfalls kommt es plötzlich zu einem wilden Kampfgeschehen zwischen Mutter und Sohn. Laut dem Konstanzer Oberstaatsanwalt Egon Kiefer schlägt Micha G. seiner Mutter „ohne rechtfertigenden Grund“ mit den Händen und Fäusten mehrfach gegen den Kopf, den Rumpf und die Arme.
Er soll sie an den Oberarmen gepackt und so stark gewürgt haben, dass sie für eine gewisse Zeit keine Luft mehr bekommt. Mit einem unbekannten, harten Gegenstand habe der 32-Jährige dann seiner Mutter auf den Hinterkopf geschlagen. Die 72-Jährige versucht sich mit hochgehobenen Unterarmen und Händen vor den Schlägen zu schützen – ohne Erfolg. Sie erleidet dabei schmerzhafte Hämatome, Rippenbrüche und eine Rissquetschwunde am Hinterkopf.

Schließlich soll Micha G. sein Klappmesser der Marke „Columbia“ gezogen und seiner 72-jährigen Mutter zunächst mehrere tiefe Schnitte am rechten Ohr zugefügt haben. Am Ende habe er ihr das Messer laut Staatsanwaltschaft Konstanz mit einer solchen Wucht in den Hals gestoßen, dass selbst der Griff des Messers noch mehrere Zentimeter tief eindrang. Die Mutter sackte zusammen und kam bäuchlings auf dem Sofa zu liegen.
Sofa mit Mutter darauf in Brand gesteckt
Daraufhin soll Micha G. das Sofa mit einem Feuerzeug in Brand gesteckt haben – wie Oberstaatsanwalt Kiefer vermutet, um die Spuren zu verwischen. Wenige Minuten später sei die Mutter an den Folgen an dem Halsstich sowie an den schweren Hautverbrennungen gestorben. Während Micha G. – ohne seinen 81-jährigen Vater im Erdgeschoss zu warnen – das Haus verlässt, greift das Feuer vom Sofa auf die Holzbretterdecke über.
Eine Nachbarin bemerkt den Brand im Obergeschoss aufgrund des dichten Rauchs, der sich durch die Fenster drückt, und informiert die Feuerwehr und Micha G.s Vater. Dieser eilt die Treppe hinauf und versucht verzweifelt, seine Frau aus dem Zimmer des gemeinsamen Sohnes zu bergen, was ihm jedoch nicht gelingt. Er erleidet dabei starke Brandverletzungen im Gesicht, an den Händen und im Bereich der Atemwegsschleimhäute sowie eine Rauchgasvergiftung.
Diagnose: paranoide Schizophrenie
Ein 40-jähriger Feuerwehrmann aus Dauchingen geht mit Kollegen und schwerem Atemschutz in das stark verrauchte Gebäude. „Es war nichts zu sehen, aber ich habe ein Stöhnen gehört und eine Hand ertastet. Per Schultergriff konnte ich eine Person rausziehen und über die Wendeltreppe nach unten tragen. Leider hat es der Mann nicht geschafft, wir haben das Bestmögliche getan, was wir konnten“, schildert der Feuerwehrmann vor Gericht.

Micha G. lässt während der zahlreichen Zeugenbefragungen seinen Kopf hängen und blickt starr auf den Boden, er wirkt abwesend. Seit der Tat, bei der er laut eigenen Angaben Stimmen gehört haben will, ist er im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Reichenau untergebracht, wo er die meiste Zeit im Bett verbringt und keinerlei Eigeninitiative zeigt, wie sein behandelnder Arzt Peter Gabriel vor Gericht erklärt.
„Er weiß nicht, was er mit der Welt anfangen soll und kann sich zu nichts aufraffen“, sagt der Mediziner. Für ihn sind die Kriterien einer paranoiden Schizophrenie erfüllt. „Ich halte es für undenkbar, dass er zukünftig keine Medikamente einnimmt“, sagt Gabriel auf die Frage des vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachters Aleš Svetlik, Chefarzt am Vinzenz von Paul Hospital in Rottweil.
Lebenslange Einweisung?
Die Hände hat der 32-jährige mutmaßliche Täter während der gesamten Befragung mit Richter Hornstein auf seine Oberschenkel gelegt. Auf die Frage, was er mit seinem Leben anfangen möchte, weiß er zunächst keine Antwort. „Ich möchte frei kommen und eine Ausbildung machen, vielleicht zum Physiotherapeuten“, sagt Micha G. „Glauben Sie, dass Sie hier einfach rausmarschieren?“, fragt Hornstein behutsam. „Das wäre schön“, sagt der Beschuldigte.
Doch da vom diesem „erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist“, wird Oberstaatsanwalt Egon Kiefer für den nicht schuldfähigen Micha G. eine dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt beantragen, die auch lebenslang sein kann.