Die Frau, die an diesem Tag zum Gespräch mit dem SÜDKURIER ins Café gekommen ist, möchte ihre Geschichte gern erzählen. Menschen sollen erfahren, was es wirklich bedeutet, in Todesangst vor dem eigenen Mann zu leben, dann zu fliehen. Und neu anzufangen.

Sätze, die wehtun wie ein Stich

Das kann jeder Frau passieren, ist sie überzeugt. Auch studierten Frauen, selbstständigen Frauen, wie sie eine ist. Frauen aus dem Frauenhaus, findet sie, werden oft abgestempelt. ‚Unterschichtenproblem‘, ‚Selbst Schuld, wer sich verprügeln lässt‘ – Sätze, die mancher so leicht daher sagt. Die wehtun wie ein Stich. Bis heute prägt sie die Flucht aus der häuslichen Gewalt. Es ist ein Grund, warum sie sich nun als Lokalpolitikerin in der Region rund um den See engagiert.

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Lange hat sie überlegt, ob sie ihren Namen preisgeben soll. Am Ende entschied sie sich dagegen. Die Kinder wollten es nicht. Und dann ist da weiterhin die Angst vor dem Mann, die sie bis heute, einige Jahre nach der Flucht, mit sich trägt.

Die Geschichte der Frau wurde von uns so weit möglich überprüft, zu den Rahmenbedingungen wurden die Frauenhäuser befragt. Sie soll zum Großteil in ihren eigenen Worten wiedergegeben werden und beschreibt ihre Sicht auf die Hilfesysteme in Baden-Württemberg. Und sie wirft ein Schlaglicht auf die Frage: Wird im Land genug getan, um Frauen und Kinder in Not zu unterstützen?

Die häusliche Gewalt: „Es ist besser, wenn ich sterbe“

„Eigentlich haben wir uns alle Träume erfüllt, mein Mann und ich. Wir waren verheiratet, lebten an einem schönen Ort und wollten eine Familie gründen. Manchmal brüllte er, wenn er sauer war. Ich dachte: ‚Wenn wir Kinder kriegen, wird es besser.‘ Wir bekamen also die Kinder. Es wurde nur schlimmer, richtig schlimm. Ich sagte: ‚Bitte mach eine Therapie!‘, er sagte: ‚Du bist Schuld, dass ich so reagiere.‘ Heute weiß ich, dass das ein Standardsatz ist, mit dem Täter ihre Gewalt rechtfertigen.“

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„Ich war am Ende, ich dachte: ‚Es ist besser, wenn es mich nicht mehr gibt. Es ist besser, wenn ich sterbe.‘ Nur die Kinder hielten mich am Leben. Er schlug auch sie. Das hat mich hauptsächlich motiviert, den ersten Schritt raus zu tun.“

„Vorher wusste keiner, dass unsre Ehe Schrott war“

„Ich hatte einen Freund in der Nähe des Bodensees. Ich rief ihn an und erzählte ihm alles. Vorher wusste keiner, dass unsere nach außen perfekte Ehe so ein Schrott war. Er brachte mich dazu, zur Beratung zu gehen. Beim ersten Termin bekam ich einen Piepser, der ganz schrillen Lärm macht. Den sollte ich nehmen, wenn ich bedroht und geschlagen werde.“

An dieser Stelle im Gespräch hält die Frau kurz inne, lacht auf und schüttelt den Kopf: „Das gibt‘s doch gar nicht, dass man sowas machen muss, oder?“

Der erste Schritt raus: Sicherheit durch Beratung

Dann erzählt sie weiter:

„Mein Ex-Mann hat den Piepser gesehen. Er wurde wütend, bedrohte mich. Ich aber hatte durch die Beratung neue Sicherheit. Ich sagte einfach: ‚Ok, ich gehe jetzt.‘ Er packte mich. Ich löste mich, nahm die Kinder, setzte mich in unser Auto und fuhr einfach los. Wir hatten gar nichts dabei, so spontan war das. Nur Schlüssel, Geldbeutel, Bankkarte, meine Handtasche eben. Immer wieder schaute ich, ob er hinter uns ist, klammerte mich ans Lenkrad. Wir hatten Angst um unser Leben. Aus dem Auto rief ich eine gute Freundin an, die im Landkreis Calw lebt. Ich dachte, wir kämen da schon unter. Aber sie verneinte, aus Angst.“

Die Frau tippt mit den Fingernägeln auf die Kaffeetasse aus weißem Porzellan, bleibt mit ihrem Blick daran hängen. „Schön Kaffee trinken, dafür brauche ich Freunde nicht“, sagt sie, „sondern, wenn ich in Not bin.“

Sie hat nie wieder mit der Freundin gesprochen.

Der Weg ins Frauenhaus: Keiner geht ran, kein Platz

„Wir gingen in ein Hotel, von dort aus rief ich im Frauenhaus bei Calw an. Es war Spätnachmittag. Es klingelte, keiner ging ran. Als Politikerin kenne ich die andere Seite heute, Personalmangel, Finanznot. Aber damals fühlte ich mich einfach im Stich gelassen. Am nächsten Tag durften wir kommen. Zu viert schliefen wir in Doppelstockbetten, die Fenster waren vergittert. Wie im Gefängnis. Ich glaube, wir haben dort zwei Nächte geschlafen, als mein Ex-Mann anrief, er wollte die Kinder. Wir mussten fort. Mir fiel nur eine Adresse ein: Der Freund am Bodensee. Das Frauenhaus dort war voll, das nächste auch. Wir landeten schließlich in Singen.“

Das Frauenhaus stellt wichtige Weichen

Sechs Wochen blieb sie dort. Die Helferinnen vom Frauenhaus gingen mit ihr zur Polizei, zum Einwohnermeldeamt, organisierten Unterlagen und schulten die Kinder ein. Sie schafften, dass der Ex-Mann der gemeinsamen Wohnung verwiesen wurde. Etwa 800 Euro Eigenbeteiligung musste sie für die Zeit im Frauenhaus zahlen, erinnert sie sich.

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„Ich war nicht in der Lage, die Formalien selbst zu machen. Die Hilfe war super gut. Die anderen Frauen und ich wurden zu einer Schicksalsgemeinschaft, eine Gemeinschaft von Menschen, die sehr viel Leid und Schmerz erfahren haben. Die Kinder fangen an zu spielen, wir feierten Geburtstage. Aber es gab keine Kinderbetreuung: Sie müssen sich überlegen, diese Frauen, die da hinkommen, sind total gebrochen. Die sind am Ende mit ihren Kräften, ihren Nerven. Und auch, wenn sie sich stark präsentieren, du kannst ja nicht ständig weinen, weil die Kinder Angst haben, wenn die Mama weint. Sie brauchen ja auch diese zwei Stunden am Tag, wo sie sich ins Bett kauern und weinen können: ‚Ok, ich bin weg, ich bin sicher.‘ Ja, die Kinder, auch meine, waren total verstört.“

Kinderbetreuung im Frauenhaus: In Baden-Württemberg zumindest ist das nicht die Regel. Das liegt vor allem an der unsicheren Finanzierung.

Das neue Leben: Die Angst verblasst

Die Kinder, sagt sie – und bestellt noch einen Tee, denn sie spricht schon viel länger, als sie dachte, dass sie könnte und wollte. Die Kinder hatten Angst, sie hatte Angst. Im Frauenhaus spielten sie Normalität. Angst – das Wort fällt oft in diesem Gespräch. Die Angst ist immer dabei, sie spricht über sie wie eine stetige Begleiterin in ihrem Leben. Manchmal brodelt die Angst, wenn sie von Weitem jemanden sieht, der ihrem Mann in Statur und Gang ähnelt. Manchmal ist die Angst ganz klein. Aber sie ist nie weg. Wäre sie weg, würde ihr das doch auch Angst machen.

„Mit den Jahren ist die Angst manchmal fast weg, ich weiß nicht, ob es töricht ist und er irgendwann da stehen wird und ich auch nicht mehr leben werde. Aber ich glaube, man muss zur Normalität zurückkehren, sonst kann man nicht leben. Nach sechs bis acht Wochen im Frauenhaus sind wir zurück, erst zu meiner Schwester, dann in unsere Wohnung, der mein Ex-Mann verwiesen wurde. Und irgendwann fragte mich der alte Freund, der mir so sehr geholfen hatte, ob ich mir vorstellen könnte, zu ihm zu ziehen.“

Die beiden wurden ein Paar – und er ein guter Vater für die drei Kinder.

An dieser Stelle könnte die Geschichte enden. Ein Happy End. Für sie ist es das aber nicht. Da sind die anderen Frauen, an die sie immer wieder denken muss. Die es nicht geschafft haben.

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„Ich habe Frauen kennengelernt, im Frauenhaus, die von ihrem Partner mit dem Auto überfahren wurden. Nach dem Frauenhaus sind sie trotzdem zu ihm zurück. Es ist wie eine Abhängigkeit. Nicht nur emotional, vor allem finanziell. Finde mal am Bodensee mit zwei oder drei Kindern nach dem Frauenhaus eine bezahlbare Wohnung. Und dann gehen sie eben zurück und lassen sich weiter schlagen, für ihre Kinder. Das bricht mir das Herz.“