Sabrina P. wird in Stockach von ihrem Ex-Partner mit einem Kabel erwürgt. Sebastiana F. wird in Markdorf an ihrem Arbeitsplatz, dem Megamix-Markt, vor ihrer Kundschaft erschossen. Jennifer T. wird vor ihrem Haus in Bonndorf-Ebnet von ihrem Ex-Partner mit Stichen getötet.

Eine Frau aus Sachsen wird nach ihrer Flucht in ein Singener Frauenhaus von ihrem gewalttätigen Ehemann auf offener Straße mit einem Kopfschuss umgebracht und von der Eigeltingerin Jasmin M. fehlt nach wie vor jede Spur.

Femizide, oder auch Intimizide, also das Töten in einer (Ex-)Partnerschaft schockierten die Region, immer wieder kam die Frage auf: Hätte diese Tat denn nicht verhindert werden können?

Ein Forschungsprojekt der Psychologischen Hochschule Berlin, der Deutschen Hochschule der Polizei und dem Polizeipräsidium Ravensburg beweist: Bei den Taten gibt es ein Muster, Einzelfälle sind es definitiv nicht.

Tatankündigungen sind ein Warnsignal

Zweieinhalb Jahre lang forschten die Psychologische Hochschule Berlin, die Deutsche Hochschule der Polizei und das Polizeipräsidium Ravensburg mit dem federführenden Projektkoordinator und Polizeipräsidenten Uwe Stürmer. Sie wälzten sich durch Akten von vergangenen Mordfällen und untersuchten die „roten Flaggen“, mögliche Warnsignale, die es ermöglichen sollen, potenzielle Femizide zu erkennen und zu verhindern.

Die Psychologin Rebecca Bondü der Psychologischen Hochschule Berlin war Teil des Forschungsprojekts für die Prävention von Intimiziden ...
Die Psychologin Rebecca Bondü der Psychologischen Hochschule Berlin war Teil des Forschungsprojekts für die Prävention von Intimiziden und Femiziden. | Bild: Marina Schölzel

Besonders wurde hier das „Leaking“, also beobachtbare Tatankündigungen, die etwa auch vor Amokläufen oder Terroranschlägen beobachtet wurden, untersucht.

„Beim Leaking geben Täter oder Täterinnen zu erkennen, dass eine Gewalttat drohen könnte“, erklärt die Psychologin Rebecca Bondü von der Psychologischen Hochschule in Berlin. Dazu gehören laut ihr Drohungen oder Äußerungen gegenüber Dritten, Androhungen von Suiziden oder ähnliche Verhaltensweisen.

„Leaking“ gab es auch bei Femiziden in der Region

Im Fall der getöteten 24-jährigen Sabrina P. soll der Täter vor der Geburt des gemeinsamen Kindes geschrieben haben, dass er hoffe, sie und das Kind würden sterben. Und auch beim Fall der im Megamix erschossenen Sebastiana F. aus Markdorf habe der Täter nach Aussagen der ältesten Tochter des Opfers mehrfach davon gesprochen, der Mutter etwas antun zu wollen.

Bei der Frau, die nach dem Aufenthalt im Singener Frauenhaus getötet wurde, hatte der einstige Partner und spätere Täter gedroht: ‚Wenn du mich verlässt, erschieß‘ ich dich.‘

„Früher nannte man diese Art von Tötungsdelikt Beziehungsdrama“, sagt Projektleiter und Polizeipräsident Uwe Stürmer. „Es geht aber bei ...
„Früher nannte man diese Art von Tötungsdelikt Beziehungsdrama“, sagt Projektleiter und Polizeipräsident Uwe Stürmer. „Es geht aber bei den Taten nicht um Liebe, es geht um Macht und patriarchale Muster.“ | Bild: Marina Schölzel

„Die häufigsten Zeugen von Leaking sind das Opfer selbst, Freunde, Familie und Kinder“, so Bondü. Ein Ziel des Forschungsprojekts: Die Gesellschaft, das soziale Umfeld dafür sensibilisieren und so die Meldebereitschaft zu erhöhen.

„Nehmt die Dinge ernst, schaltet Institutionen ein und hört dem Opfer zu“, sagt Stürmer, „das Opfer hat eine gute Einschätzung, ob eine Gefahr besteht oder nicht, allein die Angst des Opfers muss dazu führen, dass man sich der Sache annimmt – und nicht denkt, ein Hund beißt nicht, nur weil er bellt.“

Opferschutz braucht einheitlichen Standard

Das Forschungsergebnis umfasst nun 14 wissenschaftlich gesicherte Kriterien. Wenn diese Kriterien vorliegen, besteht ein erhöhtes Risiko für einen Intimizid. Acht davon thematisieren das „Leaking“, weitere Beispiele sind etwa ein sozialer Rückzug der gefährdenden Person und das Ende der Beziehung. Durch die Kriterien soll das Tatrisiko besser eingeschätzt werden können, dann kann sich polizeilich um die Entschärfung des Falls gekümmert und Schutz organisiert werden, so Stürmer.

Doch laut Stürmer sei es wichtig, die Thematik rund um häusliche Gewalt nicht allein bei der Polizei zu lassen. Auch andere Berufsgruppen wie Mitarbeiter vom Jugendamt, Frauenhäuser oder aus dem medizinischen Sektor sollen dafür sensibilisiert werden.

Das soll durch ein auf Grundlage des Forschungsprojekts entwickeltes Schulungskonzept passieren. Der Schutz der Opfer soll professionalisiert werden und das auch bereits in der Ausbildung von werdenden Polizeibeamten.

Opfer sollen Öffentlichkeit herstellen

Ganz klar sagt Stürmer: „Früher nannte man diese Taten etwa ‚Beziehungsdrama‘. Es geht bei diesen Taten aber nicht um Liebe, es geht um Macht und patriarchale Strukturen.“

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Stürmer appelliert aber auch an die Opfer, sich zu äußern und Öffentlichkeit herzustellen, zum Arzt zu gehen und die Verletzungen zu dokumentieren. „Auch bei häuslicher Gewalt handelt es sich um eine Straftat“, sagt der Polizeipräsident. „Auch hinter der Wohnungstür ist es ein Tatort.“