Es klang erst einmal beruhigend: Vor einer Woche hatte die Umweltbehörde im Landratsamt Sigmaringen teilweise Entwarnung gegeben, was die Schadstoffbelastung nach dem Großbrand am 23. Juli bei Deutschlands größtem Reifenhändler Bruno Göggel in Gammertingen anbelangt. Außerhalb des Firmenareals hätten mehrere Bodenmessungen keine Auffälligkeiten ergeben, sagte Umweltdezernent Adrian Schiefer, um gleichzeitig weiter vor dem Verzehr von ungewaschenem Obst und Gemüse aus dem Garten zu warnen.

Mit keinem Wort erwähnt wurde jedoch, wie groß die Schadstoffbelastung innerhalb des Firmenareals von Reifen Göggel ist. Dort halten sich täglich rund 250 Mitarbeiter auf. Und bis zu 400 Feuerwehrleute aus 27 Gemeinden und fünf Landkreisen kämpften am Betriebsgelände gegen teilweise Dutzende Meter hohe Flammen, die gigantische Rauchwolken in die Umgebung absonderten.
Wie zwei Feuerwehrleute den Einsatz erlebten
Zwei dieser 400 Feuerwehrleute, die in Gammertingen im Einsatz standen, sind Hans-Peter Rullmann aus Gammertingen und Lutz Marquardt aus dem benachbarten Trochtelfingen, mit denen der SÜDKURIER ausführlich sprechen konnte.

Rullmann ist seit mehr als 40 Jahren bei der Feuerwehr, aber einen größeren Einsatz als am 23. Juli hat er noch nie erlebt. Er stand mehr als 45 Stunden im Einsatz. Marquardt war früher Berufsfeuerwehrmann am Flughafen Stuttgart und ist es nun bei der Stadt Reutlingen. Auch er, der als Abteilungskommandant der Feuerwehr Steinhilben rund 14 Stunden am Gelände von Reifen Göggel im Einsatz war, sagt: „So ein Riesending hat man nicht alle Tage.“
Zwei Kilometer lange Leitung bis zur Lauchert
Beide loben die Einsatzleitung des Gammertinger Kommandanten Daniel Zeiler, der Dutzende Feuerwehren „kaskadenartig“ nachalarmierte. „Dass die Nachbargebäude alle gehalten haben (der Brand nicht übergriff, Anm.), war sehr gut“, so Feuerwehrprofi Marquardt.

„Wir waren immer ausreichend mit Löschwasser versorgt, auch wenn es ein wenig braucht, bis man eine zwei Kilometer lange Leitung zur Lauchert legt“, sagt Rullmann. Da das verunreinigte Löschwasser komplett aufgefangen und mehrfach wiederverwendet wurde, sei nichts in die Umwelt ausgetreten, wie auch die Behörden bestätigten.
„Feuerwehrkameradschaft ist ein sensibles Ding“
Die überwiegende Mehrheit der Feuerwehrleute sei zurecht stolz auf sich und ihre geleistete Löscharbeit. Andere seien geschockt über das Ausmaß des Infernos und knabbern je nach mentaler Stärke daran.

Fünf Feuerwehrleute mussten am Abend des dritten Einsatztages von Notfallseelsorgern betreut werden. Doch sich kritisch äußern wollen nur die wenigsten Brandbekämpfer, wie auch ein SÜDKURIER-Rundruf ergab. „So eine Feuerwehrkameradschaft ist ein sensibles Ding. Niemand will Kritik üben und dann als Außenseiter gelten“, sagt Rullmann.
Nicht genug Atemschutz am Brandort?
Er war 15 Jahre als Ortschaftsrat im Gammertinger Stadtteil Bronnen aktiv und will sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Ihn stört, dass über die möglicherweise hohe Gesundheitsgefahr, die während des Großbrands für knapp 400 Feuerwehrleute bestanden haben könnte, kaum informiert werde.

Seinen Schilderungen zufolge gab es für alle Feuerwehrleute vor Ort nicht ausreichend Atemschutzmasken und Aufschraubfilter, die man auch ohne Sauerstoffflaschen verwenden kann. Manche Brandbekämpfer sollen sich in der Not mit medizinischen und FFP2-Masken vor dem giftigen Rauch geschützt und diesen eingeatmet haben.
Vize-Kreisbrandmeister: „Ausreichend Equipment“
Dem widerspricht der stellvertretende Kreisbrandmeister Marcus Siber aus Schwenningen, der der dem Gammertinger Einsatzleiter Daniel Zeiger beim Großbrand beratend zur Seite stand. „Die Versorgung mit Atemschutzequipment war über die komplette Einsatzdauer gewährleistet, Erkenntnisse zu mangelhafter Ausstattung liegen nicht vor“, so Siber.

Dies weist Hans-Peter Rullmann zurück: „Wäre er (Siber, Anm.) in der Zeit und in dem Brandabschnitt gewesen, als ich dort war, hätte er das sehen können und in seiner Funktion auch abstellen müssen.“ Der 59-Jährige, der als Wasser- und Schlauchtrupp eingesetzt war, sei wie viele andere Feuerwehrleute die gesamte Zeit über ohne Atemschutz im Einsatz gewesen. „Aber was machen die, die im Rauch stehen?“, fragt Rullmann.
Per Zufall habe er einen Karton mit Aufschraubfiltern entdeckt, die aber nicht aktiv angeboten worden seien. Auch die Maschinisten, die direkt am Brandobjekt eingesetzt waren, sollen keinen Atemschutz getragen haben. „Hierfür wären ABC-Schutzmasken mit entsprechenden Filtern notwendig gewesen, die jedoch nicht oder zumindest nicht in ausreichender Anzahl vor Ort verfügbar waren“, sagt Rullmann.
Gewaschene Haut soll Ruß ausgeschieden haben
So gut wie jeder am Betriebsgelände von Reifen Göggel eingesetzte Brandbekämpfer sei im Gesicht verrußt gewesen sein. „Ich hab zu meinem Kollegen gesagt: ‚Wie siehst du denn aus?‘“, erzählt der langjährige Feuerwehrmann. Die verrußte Einsatzkleidung habe in der Not bei den Brandwachen mehrfach getragen werden müssen, weil es keine Wechselkleidung gegeben habe.

Von eingesetzten Feuerwehrleuten benützte Duschen und Bäder seien hinterher pechschwarz gewesen. Doch auch die gewaschene Haut habe nachts noch schwarzen Ruß abgegeben, der sich in der Bettwäsche und in der Kleidung ablagerte.
E-Mail an Landratsamt und Bürgermeister
Umwelttoxikologin Beate Escher sagte dem SÜDKURIER über eine mögliche Gesundheitsbelastung für in Gammertingen eingesetzte Feuerwehrleute: „Solange Atemschutzmasken getragen wurde sollte die Exposition (Fachausdruck für Belastung mit Schadstoffen, Anm.) nicht bedenklich sein, da die Aufnahme über die Haut viel geringer ist. Aber nur Messungen können das verifizieren“, so die habilitierte Wissenschaftlerin.

Als Reaktion lassen sich nun einzelne besorgte Feuerwehrleute untersuchen, um die gesundheitlichen Auswirkungen des Brandinfernos zu erfahren. Darunter ist auch der Gammertinger Hans-Peter Rullmann, der sein Blut und seine Lungenfunktion untersuchen lässt: „Unsere Gesundheit ist mindestens so viel Wert, wie ein verzehrbarer oder nicht verzehrbarer ‚Salatkopf‘“, schrieb er in einer E-Mail, die dem SÜDKURIER vorliegt, an das Landratsamt Sigmaringen und den Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg.
Landratsamt will Fragen nicht beantworten
Darin regt Rullman auch an, dass allen beim Großbrand eingesetzten Feuerwehrleuten ein freiwilliges Untersuchungsangebot gemacht werden sollte. Die Frage, warum das Landratsamt Sigmaringen nicht allen Einsatzkräften des Großbrandes medizinische Untersuchungen anbietet, wird von Sprecher Fabian Oswald, wie eine Reihe weiterer kritischer SÜDKURIER-Fragen, nicht beantwortet.

„Sie setzen eigene Gesundheit für andere ein“
Der Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg scheint hier besser informiert zu sein: Ein Nachsorge-Untersuchungsangebot für alle Einsatzkräfte stehe laut ihm bereits seit Ende des Einsatzes am 27. Juli fest.
Einsatzleiter Daniel Zeiler habe bei allen Kommandanten-Kollegen nachgefragt, „damit nicht nur die Schläuche, Gerätschaften und Fahrzeuge gereinigt werden, sondern auch die gesundheitlichen Themen angesprochen werden“, sagt Jerg.
Hälfte der Feuerwehrleute will Untersuchung
Später sagt er jedoch, jeder Kommandant müsse selbst die Nachsorgemaßnahmen treffen. In Gammertingen hätten sich jedenfalls bereits etwa 50 bis 60 von rund 135 aktiven Feuerwehrleuten für eine Nachsorgeuntersuchung ausgesprochen.
Die einfachen Feuerwehrleute, wie Hans-Peter Rullmann, aber auch Abteilungskommandanten, wie Lutz Maquardt, hat diese Information fast zwei Wochen später noch nicht erreicht. „Wenn so ein Angebot da wäre, dann gebe ich das selbstverständlich an meine Kameraden weiter“, sagt der Berufsfeuerwehrmann, der keine Kritik üben möchte. Er und Hans-Peter Rullmann sind sich jedoch über eines einig: „Die Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen.“