Elmar Braun kam nicht, wie viele andere, an der Universität zu den Grünen, sondern am Ufer der Dürnach. An diesem hageren Bach, der durch Maselheim rinnt, mitten in Oberschwaben, hat er erst zum Naturschutz gefunden – und dann zur Politik.
Am 2. Mai 1991 zog der bärtige Biologielaborant ins Rathaus derselben Viereinhalbtausend-Seelen-Gemeinde. Dort blieb er 32 Jahre lang, als erster grüner Bürgermeister Deutschlands. Für seine Partei hat Braun also Geschichte geschrieben, jetzt ging der 67-Jährige in den Ruhestand. Wie sieht er zurück?
Elmar Braun hat Parteigeschichte geschrieben
Braun sagt: „Ich habe mich immer als Forrest Gump der Kommunalpolitik verstanden.“ Eine Filmfigur, gutmütig, die sich auf bemerkenswerte Weise durch 40 Jahre US-Geschichte schlägt. „Ich weiß nicht, ob der gescheit war oder nicht“, meint Braun. „Jedenfalls ist er durch die Welt gestolpert und hat Schönes erlebt. Das war bei mir auch so.“
Einer, der Glück hat. Braun war sicher mehr als das. Ein Politiker, der wie andere im Schatten grüner Leuchttürme stand, Winfried Kretschmann etwa und Petra Kelly und Joschka Fischer. Leute, die ihm ähnlich waren und doch anders sind. Aber ein Mensch, an dem sich vielleicht zeigen lässt, was die Verbindung ist, die das Land mit den Grünen eingegangen ist. Und warum sie von manchen Ideen vorübergehend abweichen mussten.

Zwei Gründe führten Braun in die grüne Richtung. Grund eins: die malerische Dürnach. Sie fließt vor dem Bauernhaus, in dem der Politiker aufgewachsen ist und heute lebt. Irgendwann in den 70er Jahren, sagt er, sollte der Bach begradigt, die Flur bereinigt und mit Steinen befestigt werden. „Das hat das Wasser und den Bach wesentlich verändert.“ Von vormals neun Fischarten waren am Ende nur zwei, drei übrig, „es war kein vernünftiges Habitat mehr für sie“. Braun, der mit der Landwirtschaft groß geworden ist, bedauert das. Noch heute.
Grund zwei: das Jugendzentrum. Es sollte geschlossen werden, womit die Jungen in der Gemeinde nicht einverstanden waren. Braun kandidierte mit ein paar anderen für den Ortschaftsrat, um den Schuppen, so hieß das Jugendzentrum, zu retten. „Das hat mich zur Kommunalpolitik gebracht.“ Schon damals, so erzählt es Braun, sei er immer wieder als Grüner beschimpft worden, obwohl er offiziell noch keiner war.
Wie der frisch politisierte Elmar Braun waren auch die Grünen ein Produkt dieses Jahrzehnts, der 70er Jahre. Sie seien zu diesem Zeitpunkt ein Sammelsurium aus Menschen gewesen, die Frieden forderten, sich für Umweltschutz und Feminismus einsetzten oder gegen Atomkraft mobilisierten. Diese vier Schwerpunkte, sagt der 67-Jährige, hätten dazu geführt, dass die Grünen ständig gewachsen seien. „Sie haben sich zusammengerauft und zusammengefunden.“
Mitte der 1970er waren in vielen Bundesländern auf diese Weise erste grüne Listen entstanden. Im Januar 1980 formierte sich die bundesweite Partei, bis sich die Grünen 1993 mit dem ostdeutschen Bündnis 90 zusammenschlossen. So weit die Chronik.
1991 wurde Braun überraschend Bürgermeister von Maselheim
Was Braun betrifft, der lernte die Partei bei einem Besuch im Landtag kennen, wo er bei der Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft landete. Die Leute da gefielen ihm. Die waren wir er. Oder ähnlich. „So bin ich ein Grüner gewesen und geworden.“ Recht zügig ging es für ihn in den Landesvorstand. Braun war ab dann bei Versammlungen, bei Parteitagen gesetzt.
Zu jener Zeit, meint der Grüne, sei man freundschaftlich verbunden gewesen. Heißt: als politische Freunde, nicht als Gegner. Dieses Klima wollte er später im Gemeinderat aufrechterhalten. „Ein Klima, das fördert, dass jeder seine Meinung offen sagen und seine Meinung in einer Sitzung ändern kann. Auch der Bürgermeister.“
Das Amt kam 1991. Dabei schien es aus der Brille der Vergangenheit eher unwahrscheinlich, dass Elmar Braun irgendwann das Rathaus von Maselheim leiten könnte. Der Biologielaborant, damals freigestellter Betriebsrat, 35, ein uneheliches Kind, war grün und trat gegen einen Verwaltungsbeamten an, verheiratet, zwei Kinder, konservativ – im tiefschwarzen Kreis Biberach. „Er war der ideale Kandidat. Statistisch gesehen stand alles gegen mich.“

Braun sagt: „Dass ich gewählt werde, war nie ein Gedanke.“ Trotzdem warf er kurz vor Fristende den Zettel mit seinem Namen in den Kandidatenhut. Da hatte er nicht einmal ein Foto für den Wahlkampf von sich. „Ich hab das von Tag zu Tag entwickelt.“ An Valentinstag verteilte er Blumen, er machte Hausbesuche, redete gern mit den Leuten. „Am Ende war es einfach so, dass ich zufällig vieles richtig gemacht habe.“
Braun, der Mann, der fast immer Hut trägt, gewann im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit.
Dann wurde er wiedergewählt. Und wiedergewählt. Drei Mal. Nicht immer lief alles einwandfrei, sagt er, einiges mühsam, aber doch ganz gut für den Grünen. Braun baute ein neues Rathaus, führte die vier Ortsteile zusammen, achtete auf ein friedliches Miteinander, war sparsam mit dem Haushalt der Gemeinde. Und nebenbei ist Maselheim natürlich grün geworden.
Das sieht heute so aus: Das Rathaus wird mit einer Brennstoffzelle geheizt, auf dem Dach liegen Photovoltaik-Module. Öffentliche Gebäude sind energetisch saniert, zum Teil zwei Mal. Es entsteht ein CO2-neutrales Baugebiet, die Grünfläche vor dem Rathaus ist eine Insektenwiese. Es gibt einen Lärmaktionsplan. Und: Maselheim ist Trägerin des European Energy Awards.
Der 67-Jährige wollte als Bürgermeister authentisch sein
Braun ist zufrieden. „Als Bürgermeister wollte ich authentisch sein und mich nicht leugnen müssen.“ Vom Programm seiner Partei hat er sich auf diesem Weg nicht leiten lassen. Die ist inzwischen mehr als ein Studentenphänomen – aber auch von Idealen abgerückt. Die Invasion Russlands hat viel in der Umweltpartei verändert.
Wirtschaftsminister Robert Habeck muss nun mit autoritären Regimen wie Katar über die Lieferung klimaschädlichen Flüssiggases verhandeln. Die Grünen, die ihre Wurzeln auch in der Friedensbewegung haben, dringen auf die Lieferung schwerer Waffen an die ukrainische Armee.
Elmar Braun sagt: „Ich bin in einer Partei, wegen der Idee einer umweltbewussten Welt – so wie ich in einer Kirche bin wegen einer Idee.“

Es mag deshalb wenig erstaunen, dass es Punkte gibt, in denen er mit seiner Partei nicht ganz im Reinen ist: „Was wir heute für den Klimaschutz machen, müsste man auch machen, wenn es keinen Klimawandel gäbe.“ Um dieses Ziel zu erreichen, hätte sich die Partei ihm zufolge auch mehr mit der Frage auseinandersetzen müssen, die letzten drei Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen – für die Energiewende. Der Abfall, meint Braun, der sei sowieso da.
Nicht die klassische Linie eines Alt-Grünen. Und dann ist er es wieder doch, im Kern. Nämlich dann, wenn es um seinen Ruhestand geht. „Ich habe Bienen, um die ich mich kümmern muss, einen Gemüsegarten, Hühner, eine Katze, ich will meine Motorräder auf Vordermann bringen, angeln, Kunst aus Holz machen und zig andere Sachen.“ Der Politik will er nebenbei auch verbunden bleiben. Will neugierig bleiben und interessant, sagt er. „Das ist mir wichtig.“