Maria-Lena Weiss (CDU) hat ihre Tochter Clara beim Interview mit im Gepäck. Später soll es noch in die Stadt gehen, eine Trompete kaufen. Manchmal dürfen ihre drei Töchter mit auf Termine. Manchmal nicht, nämlich dann, wenn die Mama volle Konzentration benötigt. Zehn, sieben – halt, fast acht, wie Tochter Clara ins Gespräch ruft – und anderthalb Jahre alt sind die Töchter der CDU-Bundestagsabgeordneten für den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen. Lina Seitzl, ihre SPD-Kollegin aus Konstanz, ist im Dezember Mutter einer Tochter geworden.

Beide Frauen zählen zu den 204 weiblichen Abgeordneten, die es nach der vergangenen Bundestagswahl ins Parlament geschafft haben. Dort ist der Frauenanteil wieder gesunken, auf 32,4 Prozent. Ob die Emanzipation im Bundestag damit wieder abgenommen hat? Zumindest ist nicht alles dort familienfreundlich, sagen Seitzl und Weiss.

Die Kinder pendeln mit nach Berlin

Lina Seitzls Tochter kennt den Arbeitsplatz ihrer Mama in Berlin schon. Seitdem ihr Mutterschutz Mitte Januar endete, wird sie von ihrem Baby begleitet. Und auch Elisa, die jüngste Tochter von Maria-Lena Weiss pendelt immer mit nach Berlin. Das werde laut Weiss „nie richtig normal“, aber eine gewisse Gewohnheit stellt sich ein.

Seit ihre Tochter im Dezember zur Welt gekommen ist, ist der Kinderwagen ihr ständiger Begleiter – auch nach Berlin in den Bundestag.
Seit ihre Tochter im Dezember zur Welt gekommen ist, ist der Kinderwagen ihr ständiger Begleiter – auch nach Berlin in den Bundestag. | Bild: privat

Direkt neben dem Plenarsaal, so erzählen beide, gibt es einen Wickelraum mit Spielzimmer. Seitzls Tochter verbringt auch viel Zeit in ihrem Büro, „da sind wir eingerichtet“, sagt sie.

Laut offiziellen Angaben der Bundestags-Pressestelle ist man „bestrebt, in seinen Liegenschaften eine familienfreundliche Infrastruktur anzubieten“. Auch hat der Bundestag eine Kindertagesstätte für rund 140 Kinder, diese sei aber in erster Linie für die Kinder der Beschäftigten in der Verwaltung. Seitzls Tochter wird die Kita nicht kennenlernen, sagt sie. Wenn es so weit ist, wird sie in Konstanz in den Kindergarten gehen.

Im Plenarsaal sind Kinder übrigens verboten. Oder zumindest nicht gern gesehen. Offiziell heißt es dazu in der Hausordnung des Bundestags: Der Plenarsaal darf nur von Abgeordneten und durch die Verfassung mit Zutrittsrecht ausgestatteten Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesrats betreten werden, so die Pressestelle. Ausnahmen sind streng geregelt und nur nach vorheriger Absprache mit dem sitzungsleitenden Präsidenten.

„Darüber muss man mal sprechen“, sagt Lina Seitzl. Und auch darüber, dass namentliche Abstimmungen teilweise abends oder sogar nachts passieren, dann sind nämlich Betreuungspersonen schwieriger zu organisieren. Beides Punkte, an denen gearbeitet werden müsse, um den Bundestag für junge Mütter attraktiver und insgesamt familienfreundlicher zu machen.

„Man ist recht hart mit sich selbst“

Mit Kind und Mandat ist Organisation alles, sagt Seitzl. Die SPD-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Konstanz hat ein gutes Betreuungssystem, sieht sich privilegiert im Vergleich zu Frauen mit Kindern in anderen Branchen. Ihr Kind kann sie immer mitnehmen zu ihrer Arbeitsstelle, ihre Arbeitszeiten sind, abgesehen von Sitzungswochen, flexibel gestaltbar und mit ihrem Einkommen ist es auch einfacher, sich Unterstützung zu holen.

Bei Maria-Lena Weiss sorgen ihre 70- und 90-jährigen Eltern für die Betreuung ihrer jüngsten Tochter Elisa. Die kommen immer mit nach Berlin. Die älteren Töchter Clara und Paula bleiben zu Hause. Ihr Mann hat sein Arbeitspensum dafür reduziert.

Maria-Lena Weiss wurde wieder in den Deutschen Bundestag gewählt.
Maria-Lena Weiss wurde wieder in den Deutschen Bundestag gewählt. | Bild: Michael Kienzler

Einfach ist es für die 43-Jährige trotzdem nicht. „Ich bin nur eine Mama, wie alle anderen auch“, sagt Weiss. Bis zum Tag vor der Geburt ihrer jüngsten Tochter habe sie noch Termine wahrgenommen, fünf Wochen nach der Geburt stand sie bereits in Berlin wieder am Rednerpult. „Man ist hart zu sich selbst und hinterfragt sich, ob man beidem gerecht werden kann“, sagt Weiss.

Auch für die Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen gibt es Situationen, in denen ihre Kinder sie benötigen, sie aber im entfernten Berlin sitzt. „Dann muss es das Telefon oder der Videochat richten“, sagt sie, „da komme ich auch an meine emotionale Grenze, das Mama-Herz wäre immer gerne zu Hause.“

Es braucht einen diversen Bundestag

Ob Frauen für ihre politische Karriere auch auf eine eigene Familie verzichten, das vermag Lina Seitzl nicht zu sagen, glaubt aber, dass es Fälle gibt. „Ich glaube nicht, dass darüber so offen gesprochen wird“, sagt die 35-Jährige. Ob es auch möglich ist, als Alleinerziehende in die Politik zu gehen?

Seitzl lacht und erwähnt Andrea Nahles (SPD), die es als Alleinerziehende sogar bis zur Ministerin brachte. „Es muss gehen!“, sagt Seitz. Sie selbst will vermitteln: Junge Frauen, lasst euch nicht beeindrucken, geht euren Weg und lasst euch nicht einschüchtern.

Dass Mütter im Bundestag sitzen, ist für Seitzl aber nicht selbstverständlich. Dankbar ist sie den „Pionierinnen in der Politik“, die mit dem Thema Kind und Karriere vorangegangen seien, sie nennt Namen wie Franziska Brantner (Grüne), Dagmar Schmidt (SPD) oder Dorothee Bär (CSU). Es brauche einen möglichst diversen Bundestag, sagt Seitzl. Unterschiedliche Abschlüsse, Altersgruppen, Familienmodelle müssten repräsentiert sein, um möglichst viele Lebensrealitäten abzudecken.

Dass der Frauenanteil nach der jüngsten Bundestagswahl wieder gesunken ist, liege laut Seitzl an den Fraktionen CDU/CSU und AfD, „das ist das offensichtlichste“, sagt die 35-Jährige. Tatsächlich ist der Frauenanteil bei der AfD-Fraktion im Bundestag am niedrigsten mit 11,8 Prozent (2021: 13,3 Prozent), bei der CDU liegt der Frauenanteil bei 22,6 Prozent (2021: 23,8 Prozent). Am höchsten ist der Frauenanteil bei den Grünen mit 61,2 Prozent (2021: 58,5 Prozent).

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Friedrich Merz kennt die Sache mit den Kindern

Trotzdem hat sich, zumindest nach der Wahrnehmung von Maria-Lena Weiss, etwas verändert. Sie merkt, dass ein Umdenken passiert, auch mal Väter in einer Sitzungswoche fehlen und das Verständnis da ist, wenn man bei Sitzungen aus familiären Gründen nur digital teilnehmen kann. „Friedrich Merz kennt das selbst“, sagt Weiss über den CDU-Vorsitzenden, „auch er hat Kinder und Enkel und er ermöglicht das alles.“

Weiss findet ebenfalls, dass es Eltern in der Politik braucht. Mit Kindern habe man die Belange der nachfolgenden Generationen immer im Blick, ist anders geerdet. „Wenn ich in Berlin eine Entscheidung treffe, werde ich im Kindergarten und in der Schule darauf angesprochen. Das kann man nicht abschütteln. Sobald ich zu Hause bin, holt mich das ganz normale Leben ein“, sagt Weiss.

Auch Seitzl spürt „diese andere Dringlichkeit“, mit der sie jetzt an ihre Arbeit im Bundestag rangeht, seit ihre Tochter da ist. Sie erinnert sich an den 75. Geburtstag des Grundgesetzes im vergangenen Jahr, damals war sie schwanger mit ihrer Tochter. „Da habe ich den Auftrag gespürt, dass meine Tochter auch noch den vielleicht 100. oder 115. Geburtstag des Grundgesetzes miterleben kann.“

Lina Seitzl beim Redaktionsgespräch mit dem SÜDKURIER. Für sie sind junge Mütter im Bundestag unabdingbar.
Lina Seitzl beim Redaktionsgespräch mit dem SÜDKURIER. Für sie sind junge Mütter im Bundestag unabdingbar. | Bild: Marina Schölzel

„Da bin ich feministisch“

Ob Seitzl und Weiss es eigentlich unfair finden, dieses Gespräch über Kind und Karriere jetzt zum Internationalen Frauentag führen zu müssen, mit Fragen, über die sich ihre männlichen Kollegen wohl eher weniger den Kopf zerbrechen? „Ja“, sagt Seitzl. „Nein“, sagt Weiss.

Aus Seitzls Sicht hat sich zwar das Familienbild geändert, und es gibt viele Frauen, die ihren Beruf nicht aufgeben wollen. Eine politische Frage sei das aber trotzdem, daran und am gesellschaftlichen Wandel müsse weiter gearbeitet werden, es brauche Betreuung und Beratungsnetzwerke. Dass Stereotypen in der Gesellschaft immer noch vorhanden seien, merkt sie schon in der Werbung: „Es gibt immer noch rosa und blaue Ü-Eier“, sagt sie, „das ärgert mich.“

Für Weiss zeigt das Gespräch zum Frauentag einfach nur, dass Frauen alles erreichen können und alle Möglichkeiten haben und es insbesondere für Frauen möglich ist, diese Doppelbelastung von Kind und Karriere zu stemmen. „Wir haben dazu die Gene“, schmunzelt sie und fügt an: „Da bin ich überzeugte Feministin.“