Vier Tage nach der Brandkatastrophe bei Deutschlands größtem Reifenhändler Bruno Göggel in Gammertingen hat die Feuerwehr noch immer eine Reihe von Glutnestern unter Brandschutt entdeckt und abgelöscht. Der dabei entstehende Wasserdampf samt aufsteigenden Rauchwolken versetzte einige Anwohner der direkt an das riesige Betriebsgelände angrenzenden Wohnsiedlung erneut in Unruhe. In der Nacht auf Donnerstag soll laut Bürgermeister Holger Jerg zum letzten Mal Brandwache gehalten werden, der Feuerwehreinsatz am Morgen endgültig beendet sein.

So sah es am Montag am Betriebsgelände von Reifen Göggel aus. Inzwischen sind große Teile des Brandschutts beseitigt.
So sah es am Montag am Betriebsgelände von Reifen Göggel aus. Inzwischen sind große Teile des Brandschutts beseitigt. | Bild: René Laglstorfer

Mehrere Feuerwehrmänner, die seit Samstagnacht im Einsatz standen, aber anonym bleiben wollen, sagen deutlich, dass das Hochzeitsfeuerwerk der Auslöser für das Brandinferno gewesen sei. Auch ein Ermittler machte Andeutungen in diese Richtung. Doch noch gilt ein Zusammenhang zwischen Feuerwerk und Großbrand als nicht erwiesen.

Augenzeuge erhebt schwere Vorwürfe

„Wie immer gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, sagt Ronny Stengel von der zuständigen Staatsanwaltschaft Hechingen dem SÜDKURIER. Der beauftragte Brandsachverständige werde noch ein paar Tage oder gar Wochen benötigen. Hintergrund dürfte eine aufwendige Analyse der Brandproben sein.

Das Feuerinferno hatte erschreckende Ausmaße, wie diese Luftaufnahme aus der Brandnacht zeigt.
Das Feuerinferno hatte erschreckende Ausmaße, wie diese Luftaufnahme aus der Brandnacht zeigt. | Bild: IMAGO/Simon Adomat

Auffällig ist jedenfalls, dass es beim Großbrand laut Feuerwehr Gammertingen zwei deutlich voneinander entfernt liegende Brandherde gab. Ein anonymer Augenzeuge will beobachtet haben, wie sich das Feuer an einem Stapel mit Reifen, die in Plastikfolie verpackt waren, entzündet habe.

Er erhebt den Vorwurf, die Brandwache mit sechs Gammertinger Feuerwehrleuten sei da schon abgezogen gewesen. „Die haben gar nicht mehr mitbekommen, dass es anfängt zu brennen“, sagte der Beobachter dem Schwarzwälder Boten und spekuliert, dass das Ausmaß der Katastrophe geringer ausfallen hätte können, hätte sich die Brandwache nicht entfernt.

Feuerwerk verspätete sich wegen DJ Ötzis Zugabe

Wütend widerspricht Daniel Zeiler, Kommandant der Feuerwehr Gammertingen, im Schwarzwälder Boten. Gegenüber dem SÜDKURIER schickte er Bürgermeister Jerg vor. Die Entstehung des Brandes sei laut Zeiler direkt nach Ende des Feuerwerks bemerkt worden – allerdings an einer Stelle, wo sich die Brandwache nicht aufhielt. Laut Augenzeugen startete das Pyrotechnik-Spektakel wegen der Zugabe von Schlagersänger DJ Ötzi nicht wie geplant um 22.30 Uhr, sondern mit etwas Verspätung und dauerte etwa zehn bis 15 Minuten.

Holger Jerg, Bürgermeister der Stadt Gammertingen.
Holger Jerg, Bürgermeister der Stadt Gammertingen. | Bild: René Laglstorfer

Noch während der Brandbekämpfung habe sich innerhalb kürzester Zeit ein zweiter Feuerherd gebildet. Bürgermeister Jerg sagt, es sei kurz nach 23 Uhr Alarm geschlagen worden. Unklar bleibt, warum laut Polizei erst gegen 23.30 Uhr die ersten Notrufe eingegangen sein sollen.

„Persönliche Existenz und Unternehmen in Riesengefahr“

Laut einer Anwohnerin hätten mehrere Mitarbeiter der Luxus-Hochzeit kurz nach Beginn des Großbrands „sehr erschreckende“ Schilderungen zum Ort abgegeben, von dem der staatlich geprüfte Pyrotechniker das Feuerwerk zündete. Nach SÜDKURIER-Informationen handelte es sich dabei um den geteerten Innenhof des Logistikzentrums, wo auch Reifen aufgestapelt lagen – laut dem Gammertinger Stadtchef allerdings nur in den Randbereichen.

Mit dieser Vorrichtung eines Innenhofs am Betriebsgelände zündete der Pyrotechniker das möglicherweise folgenschwere Groß-Feuerwerk.
Mit dieser Vorrichtung eines Innenhofs am Betriebsgelände zündete der Pyrotechniker das möglicherweise folgenschwere Groß-Feuerwerk. | Bild: DPA/Thomas Warnack

„Der Abschussort war deutlich abgerückt, der Pyrotechniker muss wissen, wo er sein Feuerwerk abschießen kann, sonst bringt er seine persönliche Existenz und sein Unternehmen in Riesengefahr“, sagt Bürgermeister Jerg. Seien die Voraussetzungen für ein Feuerwerk nicht erfüllt, dann müsse der Pyrotechniker so viel Mut haben, seinem Auftraggeber (Bruno Göggel, Anm.) zu sagen, „ich feuere mein Feuerwerk nicht ab.“

„Feuerwerk nach allen Regeln korrekt durchgeführt“

Der SÜDKURIER sprach mit jenem Pyrotechniker aus dem Landkreis Esslingen, der das Hochzeitsfeuerwerk in Gammertingen am Samstag entzündete. Er wirkte am Telefon niedergeschlagen und verwies auf die laufenden Ermittlungen. Einem Boulevard-Medium sagte er: „Wir haben das Feuerwerk nach allen Regeln korrekt durchgeführt.“

Ein vom Großbrand völlig zerstörtes Ausliefer-Fahrzeug von Reifen Göggel.
Ein vom Großbrand völlig zerstörtes Ausliefer-Fahrzeug von Reifen Göggel. | Bild: Stadt Gammertingen

Um eine Experteneinschätzung zu erhalten, sprach der SÜDKURIER mit drei weiteren Pyrotechnikern. Nur einer von ihnen wollte mit seinem Namen zu seinen Aussagen stehen. Armin Heurich beschäftigt sich seit 40 Jahren beruflich und privat mit Feuerwerken. Er ist seit 2015 Gerichtsgutachter und Sachverständiger für Pyrotechnik und Explosivstoffe, außerdem Gründer des Ausbildungszentrums für Pyrotechniker im südbayrischen Penzberg.

Feuerwerkteile 1000 bis 2500 Grad heiß

„Wenn die Schutzabstände eingehalten werden, kann ein Feuerwerk fast überall abgebrannt werden“, sagt Heurich. Je höher ein Feuerwerkskörper aufsteige, desto mehr Sicherheitsabstand müsse beim Zünden eingehalten werden. Eine Kugelbombe fliegt etwa 100 Meter hoch, da müsse der Schutzabstand 80 Meter betragen. „Ein Pyrotechniker berechnet das, muss etwa einen angrenzenden Wald und erntereife Felder berücksichtigen. Kommt Wind dazu, muss er den Schutzabstand vergrößern“, so der Experte.

Feuerwehrleute schieben tagelang Brandwache
Feuerwehrleute schieben tagelang Brandwache | Bild: René Laglstorfer

Reifen seien laut Heurich in einem Industriegebiet bei Feuerwerken weniger das Problem, eher ein Gas- oder Sprittank. Tatsächlich kam es bei der Brandkatastrophe in Gammertingen auch zu Gasexplosionen. Schwarzpulver in Feuerwerkskörpern erreiche beim Auslösen Temperaturen von 2000 bis 2500 Grad. Zu Boden fallende Pyrotechnikteile könnten noch bis zu 1000 Grad heiß sein. „Wenn so ein brennendes Teil herunterfällt, kann das schon etwas entzünden, wie eine Zigarette“, sagt der Fachmann und Ausbilder.

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Große Waldbrandgefahr, Feuerwerk erlaubt

Am 19. Juli hatte die Stadt Gammertingen auf ihrer Webseite vor Waldbrandgefahr gewarnt, Rauchen sowie Feuer machen in Waldnähe in den entsprechenden Warnstufen strengstens verboten sowie „aufgrund der anhaltenden Hitze und den fehlenden Niederschlägen (...) dringend um Vernunft und Vorsicht“ gebeten. Am 23. Juli fand Bruno Göggels Hochzeit samt Riesenfeuerwerk nahe eines großes Waldes statt.

Die Einsatzkräfte am Ort des Großbrands.
Die Einsatzkräfte am Ort des Großbrands. | Bild: Stadt Gammertingen

Die Anzeige des Pyrotechnikers war fristgerecht im Mai eingegangen. Hat die Stadt schlicht vergessen, das Feuerwerk abzublasen? Bürgermeister Jerg, der selbst Gast auf der Luxus-Hochzeit war, widerspricht. Laut ihm sei die Waldbrandgefahr im Landkreis Sigmaringen auf die niedrige Stufe zwei gesunken. „Ab Stufe 3 wird es kritisch“, sagt Pyrotechnik-Experte Heurich. Ab Stufe 4 oder 5 müsse man nicht mehr über ein Feuerwerk nachdenken, wobei es Spezialisten gebe, die in so einem Fall den Wald bewässern würden.

„Vielleicht steht die Kripo vor der Tür“

Wie Staatsanwalt Ronny Stengel dem SÜDKURIER auf Anfrage bestätigte, hat die Kripo Unterlagen sowohl beim Pyrotechniker, der das Feuerwerk zündete, als auch bei der Stadt Gammertingen sichergestellt. „Zwangsmaßnahmen, wie eine Hausdurchsuchung, hat es nicht gegeben, es war auf freiwilliger Basis“, präzisierte Stengel.

Ronny Stengel, Staatsanwalt in Hechingen
Ronny Stengel, Staatsanwalt in Hechingen | Bild: CDU Stadtverband Hechingen

Bürgermeister Jerg sagt, die Polizei habe Unterlagen angefordert. „Die haben wir gerne bereitgestellt. Wir haben nichts zu verheimlichen“, so der Gammertinger Stadtchef. Vernommen habe ihn die Kripo noch nicht. „Aber vielleicht stehen sie draußen vor der Tür“, scherzte Jerg.

„Pyrotechniker nicht in Brandstifter-Ecke stellen“

Laut ihm ermittelt die Kripo neben fahrlässiger Brandstiftung auch in Richtung vorsätzlicher, was offiziell nicht bestätigt wurde. Es könnte auch ein technischer Defekt oder höhere Gewalt die Brandursache gewesen sein, sagt Staatsanwalt Stengel.

Zwei Pyrotechniker sagten, dass auch eine von einem Hochzeitsgast in das Betriebsgelände geworfene brennende Zigarette oder mit Feuer auf der Hochzeit spielende Kinder theoretisch den Brand auslösen hätten können. „Man darf Pyrotechniker nicht in die Brandstifter-Ecke schieben. Vielleicht war er‘s gar nicht“, sagt der Gerichtsgutachter Heurich.