Thomas Marwein freut sich. Der grüne Landtagsabgeordnete ist zugleich Lärmschutzbeauftragter des Landes, was ein mühsames Amt ist. Eine ruhige Kugel schiebe er auf diesem Posten nicht, sagt er am Telefon. Zusammen mit 29 Bürgermeistern gründete er vor elf Monaten die Initiative Motorradlärm. Inzwischen versammeln sich 105 Gemeinden in Baden-Württemberg in dem Bündnis. Marwein freut sich, denn soeben hat auch der Gemeinderat von Elzach beschlossen, die Initiative gegen Getöse zu verstärken. Die Motorräder werden gefühlt immer lauter, ob im Kinzigtal oder im Kaiserstuhl.
Der Geduldsfaden reißt irgendwann
Dass auch Elzach am Rande des Schwarzwalds der Geduldsfaden reißt, ist kaum Zufall. Die Liste der 105 Städtchen und Dörfer liest sich wie ein Bildband über Baden-Württemberg. Die 105 Orte liegen alle in ausgesucht sehenswerten Landschaften, die sonst eher von Wanderern, Radlern oder Faulenzern aufgesucht werden, um dort Ruhe zu finden. Am Bodensee ist beispielsweise Bodman-Ludwigshafen beigetreten, dann zahlreiche Gemeinde in der Ortenau oder auf der Schwäbischen Alb. Die Landkreise Lörrach und Waldshut sind gesammelt Mitglied. Die beiden Kreise decken weite Teile des Südschwarzwaldes ab, der für viele Fahrer attraktiv ist.

Auch das Donautal ist vertreten. Die Gemeinde Beuron trat der Initiative früh bei. Bürgermeister Raphael Osmakowski-Miller sieht dafür auch guten Grund. „Der Schutz der Bevölkerung sollte Vorrang haben“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Viele Bürger von Beuron und Hausen im Tal hätten sich bei ihm beschwert. Das Tal ist schmal, viele Häuser liegen direkt an der Straße. In einschlägigen Kreisen gilt die Flusslandschaft mit ihren Landstraßen und den weißen Kalkfelsen als besonders interessantes Ziel.
„Da sind 110 Dezibel überhaupt kein Problem“
Der Teilzeit-Bürgermeister – im Hauptberuf Polizist – versteht die Leidenschaften der Biker. Er saß früher selbst auf seiner Enduro und hat diese Variante der Freiheit schätzen gelernt. Aber die technische Entwicklung der letzten Jahre sieht er mit Skepsis: Die Geschwindigkeit nehme zu, ebenso der Geräuschpegel. Eine Verordnung empfiehlt 80 Dezibel. Doch diese Grenze wird von den meisten Motorräder leicht übertroffen. „Da sind 110 Dezibel überhaupt kein Problem“, sagt der Bürgermeister. Auf ein Motorrad sitze man nicht, um leise zu sein.

Außerdem weiß er von Paketen zum Nachrüsten, um Lautstärke und Klangaufbau zu manipulieren. Lauter, röhriger, kerniger soll es sein. Den Kult des Rasens und Röhrens wolle die Gemeinde Beuron nicht länger hinnehmen. Der Schultes sagt es in seiner markanten Art so: „Man kann Freiheit auch genießen ohne dass man zum postumen Organspender wird.“
Drängeln im Donautal – vom Wanderer bis zum Triker
Eines ist klar: Das Donautal ist an schönem Wetter dicht frequentiert. Auf den engen Kreisstraßen, oft ohne Mittelstreifen, drängen sich Rennräder, Pedelecs und die unförmigen Triker. Dazu kommen die Motorräder, Campingwagen. Hier und da versucht ein Wanderer, die Straße zu überqueren. Mit der Ruhe ist es dann nichts.

Treffpunkt vieler Biker ist der große Parkplatz bei Beuron. An diesem sonnigen Freitag ist er zugeparkt. Der dicke Automat spukt einen Parkschein nach dem anderen aus. Unter einer Esche stehen drei Motorradfahrer in gut sitzenden Lederanzügen. Mit ihren zwei BMW sind sie von Sigmaringen und von Tengen (Hegau) gestartet, um sich in Beuron zu treffen. Die beiden Maschinen glänzen. „Den Dämpfer würde ich nie rausnehmen“, sagt Dennis Maier. Er habe noch die Schultüte drin. Schultüte? „Das ist der serienmäßige Auspuffanlage ab Werk“, schmunzelt der junge Mann. Auch Motorradfahrer haben ihre eigene Sprache.
Viele ärgern sich über die Feuerstühle
Die Dinger lauter machen als sie sind? Das würde er nie tun, sagt Maier treu. Laut Fahrzeugschein kann seine BMW bis auf 93 Dezibel aufdonnern. Aber so hoch würde er nicht aufdrehen, zumal seine Sozia Franziska hinter ihm sitzt. „Nur Verrückte machen das.“ Für die genervten Bürger hat er Verständnis. Er akzeptiert, dass das Getöse eines Feuerstuhles nicht bei jedem Glücksgefühle auslöst.
Sein Kompagnon André Werner nickt zustimmend. „Motorradfahren ist für uns Freiheit“, sagt er. Heute legen sie beispielsweise etwa 150 Kilometer zurück. Warum das verwinkelte Tal, der bergige Schwarzwald? „Die Landschaft ist für uns wichtig,“ meint Werner. Sonst könnten sie gleich Autobahn fahren, aber das sei langweilig. Die Natur nehmen sie hinter dem getönten Visier wohl wahr. Sie steigen ab, pausieren, machen Fotos. Das Tal der jungen Donau mit seinen weißen Felsen und den plötzlich auftauchenden Burgen sei für sie ein Traum. Hochtöniges Rasen im roten Bereich? Nicht ihre Sache.
Die Hersteller haben es in der Hand
Das mag stimmen. 90 Prozent der Fahrer halten sich daran. Doch genügt das den genervten Bürgern und ihren Bürgermeistern nicht. Der Lärmschutzbeauftragte Marwein will dem Problem auf den Grund gehen – und auf die Industrie einwirken. „Die Hersteller haben es in der Hand,“ sagt Marwein. Sie könne auch den klanglichen Aufbau von Motorengeräuschen regulieren. „Die Tonalität hat sich geändert. Ich höre immer mehr hohe statt tiefer Tön. Gerade das ist anstrengend“, sagt er. Gegen den Genussfahrer habe er nichts einzuwenden.

Die Grünen bringen schon Fahrverbote ins Spiel
In der Bundespolitik werden inzwischen raue Töne angeschlagen. Die Bundestagsabgeordnete Daniele Wagner (Grüne) bringt Fahrverbote für Sonn- und Feiertage ins Spiel. Für definierte attraktive Bereiche könne man dann Verbote aussprechen, um die Lautstärke zu senken. Die FDP hält dagegen: „Es genügt, die wenigen schwarzen Schafe herauszunehmen“, sagt Oliver Luksic, der verkehrspolitische Sprecher der FDP im Bundestag. Es sei nicht richtig, dass man alle Biker unter Generalverdacht stelle.

Thomas Marwein will es dagegen im Guten versuchen. Fahrverbote für die heißen Öfen hört er nicht gerne. In seiner Jugend fuhr er selbst Motorrad, berichtet er nebenbei. Ein Freund habe ihm damals Löcher in den Auspuff gebohrt. Damit es besser klingt.
Beliebte Strecken
- Schwarzwald: Er gilt als Paradies in der Zweirad-Szene. Beliebt sind die Täler und Passfahrten, zum Beispiel Wehratal, Wiesental oder die gewundene Strecke von Freiburg hoch zum Schauinsland. Auch die B 500 (Schwarzwaldhochstraße) zieht Motorräder an, zumal sie gut und breit ausgebaut ist.
- Donautal: Die urige Landschaft zwischen Tuttlingen und Sigmaringen ist Ziel vieler Gruppen von Zweirädern. Beuron hat sich der Initiative angeschlossen, weil es Ausgangs- und Treffpunkt vieler Besucher ist – und der Ort in de Hochsaison überfordert ist.
- Schwäbische Alb: Das Große Lautertal (Kreis Reutlingen) hat sich zum Brennpunkt entwickelt – zum Leidwesen der Anwohner. Vor zwei Jahren zog der Landrat die Notbremse und verhängte ein Tempolimit, das nur für Motorradfahrer gilt: Sie müssen bereits 500 Meter vor einer Ortschaft auf 50 km/h bremsen und dürfen erst 500 Meter nach der Ortschaft aufdrehen. Grund: Bis zu 1800 heiße Öfen wurden täglich gezählt.
- Randen: Der Randenaufstieg der B 314 ist bei Motorradfahrern wegen der kurvenreichen Bergstrecke sehr beliebt. Seit Jahren beschweren sich Anwohner. (uli)