Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich kritisch zum Parteiausschlussverfahren der Grünen gegen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer geäußert. „Der Parteitag hat das Ausschlussverfahren beschlossen und Boris Palmer hat selbst zugestimmt. Aber dass das Verfahren nicht der Weisheit letzter Schluss war, zeigt sich inzwischen ja immer deutlicher“, sagte Kretschmann am Montag gegenüber dem SÜDKURIER. „Wer soll am Ende was dabei gewinnen? Die Frage muss man sich doch stellen.“
Palmer hatte an diesem Sonntag seine Kandidatur als unabhängiger Kandidat für die am 23. Oktober anstehende OB-Wahl in Tübingen erklärt, nachdem innerhalb einer Woche bei einem Spendenaufruf zur Unterstützung seiner unabhängigen Kandidatur nach Angaben Palmers bereits über 100.000 Euro zusammengekommen sind. Mit dieser Summe könne laut Palmer auch ein von den Grünen offiziell unterstützter Kandidat in Tübingen rechnen.
„Kann Ihnen gar nicht genug Dank sagen“
„Ihre Wertschätzung lässt mich staunen vor Glück: Mehr als 800 Wahlberechtigte haben einen Aufruf unterzeichnet, der mich darin unterstützen will, erneut für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren. Eine ähnlich große Zahl von Menschen hat mit einer Geldspende diese Unterstützung schon geleistet“, teilte Palmer auf seiner Homepage mit. „Ich kann Ihnen gar nicht genug Dank sagen für diese Ermutigung. Sie haben damit den Ausschlag gegeben: Ich werde mich um eine dritte Amtszeit bewerben.“
Palmer räumt ein, „ernste Zweifel“ gehegt zu haben. „In fast 16 Jahren im Amt musste ich auch Entscheidungen treffen, die Enttäuschungen verursacht haben. Mancher Streit hinterlässt persönliche Spuren. Hinzu kam der Konflikt mit meiner Partei. Es fällt mir schwer, ohne die Unterstützung der Partei zu kandidieren, der ich aus Überzeugung seit 25 Jahren angehöre“, so Palmer weiter. „Meine politische Heimat sind und bleiben die Grünen in Baden-Württemberg. Ich möchte zu ihrem Erfolg und dem der Regierung Kretschmann beitragen.“
Auf einer Unterstützer-Homepage hatten Stand Montagnachmittag 894 Tübinger Bürger namentlich für Boris Palmer geworben und seine Verdienste für die Stadt gewürdigt. Weil einige wenige Namen darunter laut der Betreiber der Homepage allerdings gefälscht gewesen sein sollen, wurde am Montagnachmittag kurzfristig die Möglichkeit gesperrt, sich ohne weitere Prüfung als Unterstützer anzumelden.
Zudem hatten bereits vor zwei Wochen rund 600 Parteimitglieder aus Baden-Württemberg und dem gesamten Bundesgebiet, darunter mehrere Gründungsmitglieder der Südwest-Grünen, dafür plädiert, das Verfahren gegen Palmer einzustellen.
Die Tübinger Grünen wollen in einer Urwahl im April über ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin entscheiden. Palmer hatte wegen des gegen ihn laufenden Parteiausschlussverfahrens bereits auf die Teilnahme an der Urwahl verzichtet und erklärt, er werde nicht erneut für die Grünen antreten. Der 49-Jährige ist seit 2007 Oberbürgermeister in Tübingen.
Verfahren wegen Tabubrüchen
Ihm droht der Ausschluss, weil ihm die Grünen kalkulierte Tabubrüche vorwerfen, die mit den Grundsätzen der Partei nicht vereinbar seien. Im Mai vergangenen Jahres hatte ein Landesparteitag der Südwest-Grünen das so genannte Parteiordnungsverfahren gegen Palmer beschlossen. Das Verfahren hat nachmonatelangem Vorlauf allerdings erst vor Kurzem Fahrt aufgenommen, mit einer Entscheidung ist nicht zeitnah zu rechnen.
Über den Ausschluss soll nun ein parteiinternes Schiedsgericht entscheiden, nachdem das eigentlich zuständige Tübinger Kreisschiedsgericht sich als nicht handlungsfähig bezeichnet und das Verfahren an den Landesverband zurückgegeben hatte.