
Vor zwei Jahren hat Russland die Ukraine angegriffen und seither tobt der Krieg. Westliche Länder reagieren mit Sanktionen. Rohöl aus Russland darf nicht mehr importiert werden, Finanzmittel wurden eingefroren und bestimmte Produkte dürfen nicht mehr nach Russland verkauft werden. Unternehmen zogen sich aus Russland zurück. Inzwischen hat die EU schon das dreizehnte Sanktionspaket beschlossen. Doch dem Land scheinen die Waffen und das Geld nicht auszugehen und in russischen Raketen wurden elektronische Bauteile von Firmen aus der Region gefunden. Trotz Ausfuhrbeschränkungen. Die New York Times und die ukrainische Zeitung Kyiw Independent berichten von Luxusautos aus Europa, die eigentlich nicht in Russland landen sollten und dort weiterhin verkauft werden. Das wirft die Frage auf: Gehen die Sanktionen nicht weit genug oder werden sie umgangen?
Keine Daten zu Verstößen
Zahlen zu registrierten Verstößen gegen die Ausfuhrbeschränkungen scheint es nicht zu geben. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) verweist an den Zoll, der verweist an die Justizbehörden und im Bundesjustizministerium wird vorgeschlagen, das Bafa zu fragen. Das Landesjustizministerium Baden-Württemberg berichtet von fünf eingestellten Ermittlungsverfahren und einem Strafbefehl im Zeitraum von 2014 bis Mai 2022. Andere und neuere Daten konnte keine der aufgezählten Behörden nennen.
Umwege über Drittstaaten
Nicht jedes Produkt ist von Beschränkungen betroffen. Und nicht jedes von den Beschränkungen betroffene Produkt, das in Russland landet, ist ein Verstoß gegen die Ausfuhrbeschränkungen. Unternehmen können Ausnahmen für den Export beantragen.
Laut Experten, nehmen viele nehmen aber einen Umweg. „In Nachbarstaaten von Russland sehen wir massive Steigerungsraten von Importen, die wir nicht mit einem erhöhten Bedarf in den Ländern selber erklären können“, sagt von Christian von Soest vom German Institute for Global and Area Studies. Auffällig in der deutschen Exportstatistik sind vor allem Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion. „Wenn in eines dieser Länder exportiert wird, kann von dort ohne Grenzkontrollen nach Russland weiter exportiert werden“, erklärt von Soest. Das betrifft viele verschiedene Warengruppen, auch Mikrochips und andere elektronische Teile, die in der Ausfuhrstatistik unter dem Kürzel Wa84 zusammengefasst werden.

Die Umwege der Produkte sieht man zum Beispiel an den Exporten von Wa84-Waren von Deutschland nach Kasachstan:
In einem Mitglied der eurasischen Wirtschaftsunion ist der Wert der Waren zwar nicht so hoch wie bei den Exporten nach Kasachstan, aber die Steigerung ist ebenfalls auffällig:
Kirgisistan hatte vor der russischen Invasion in der Ukraine kaum Bedeutung für die Ausfuhr von Wa84-Waren. Nach Beginn des Krieges stieg der Warenwert stark an, Ende des Jahres 2023 lag er bei über zehn Millionen Euro.
Tochterunternehmen dürfen nach Russland exportieren
Einige Produkte nehmen laut Experten einen noch kürzeren Weg. Auf ihnen stehen deutsche und andere westliche Firmennamen, aber produziert werden sie in anderen Ländern, zum Beispiel in China oder Malaysia. In Produktionsstätten der Unternehmen. „Das können deutsche Behörden kaum direkt kontrollieren, weil das Werk außerhalb Deutschlands liegt und die Waren nicht aus deutschem Staatsgebiet exportiert werden“, so von Soest.
Nicht nur Produktionsstätten, auch Tochterunternehmen können westliche Produkte nach Russland exportieren. Ein Sprecher des Bafa erklärt: „Unternehmen, die nach dem Recht eines Drittlandes gegründet wurden, unterliegen nicht den Beschränkungen von EU-Sanktionsverordnungen. Dies gilt auch für selbstständige Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen.“ Eine Ausnahme gäbe es aber: Wenn die Tochtergesellschaft nur gegründet wurde, um die Sanktionen zu umgehen.
Nicht alle haben sich den Maßnahmen gegen Russland angeschlossen
Aber nicht nur die Umgehungen schwächen die Maßnahmen gegen Russland ab. „Die Sanktionen, die gegen Russland erlassen wurden, sind keine UN-Sanktionen. Sie sind also nicht völkerrechtlich bindend. Mindestens 45 Staaten sanktionieren Russland, mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft. Aber zahlreiche Länder wie China und die Türkei haben sich ihnen nicht angeschlossen“, sagt von Soest.
Andere Länder profitieren von den Sanktionen
Diese Länder dienen nicht nur als Zwischenstopps oder Produktionsstandorte von westlichen Waren. Sie können auch an anderen Stellen von den Sanktionen profitieren. Von Soest nennt als Beispiel: „Duma-Abgeordnete. Mitglieder des Sicherheitsapparates und sanktionierte Oligarchen dürfen nicht mehr in Europa und die USA einreisen, stattdessen reisen einige in die Golfstaaten und kaufen sich dort Wohnungen und andere Immobilien.“
„Die Sanktionen treffen Russland durchaus hart“
Es gibt also mehrere Möglichkeiten zur Umgehung und Länder, die weiter mit Russland Geschäfte machen und von den Sanktionen profitieren. Bringen die Maßnahmen überhaupt irgendetwas? „Man darf aber das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren, die Sanktionen treffen Russland durchaus hart. Die Preise für wichtige Güter sind gestiegen und es ist beispielsweise schwieriger, an genug elektronische Bauteile zu kommen“, sagt von Soest.
Die Sanktionen alleine könnten Russland nicht vom Krieg abbringen, sagt von Soest. Wer das erwarte, werde enttäuscht. Die Maßnahmen könnten aber die Handlungsfreiheit Moskaus einschränken und „Sanktionen wirken immer im Zusammenspiel mit anderen Mitteln. Vor allem mit der Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen und wirtschaftliche und humanitäre Hilfe.“