Ob es ein gutes oder schlechtes Jahr war, dieses 2020? Leicht zu beantworten: Es war ein mieses Jahr für mich, vielleicht das schlechteste in meinem bisherigen Leben.
Daran schuld sind natürlich auch die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie, die ganzen Entbehrungen, die man sich – anfangs widerwillig, dann aus notwendiger Solidarität heraus – selbst auferlegt hat.
Es hätte schlimmer kommen können
Und doch hat dieses Virus, so widersprüchlich es klingen mag, dazu beigetragen, dass dieses Jahr für mich nicht noch schlechter geworden ist.
An Silvester hält man für gewöhnlich inne, reflektiert, was gut war und formuliert stille Hoffnungen für das neue Jahr. Am letzten Tag des Jahres 2019 herrschte bei mir grenzenlose Zuversicht. Trotz vieler Verletzungen. Trotz der Rückschläge.
Ziel: die Spiele in Tokio
Alles war klar abgesteckt: akribische Vorbereitung den Winter hindurch, um die Form aufzubauen, Wettkämpfe im Frühjahr, um die Qualifikation zu schaffen und in den Rhythmus zu kommen. Für mich stand fest: Wenn nichts Übles passiert, wird mein Traum wahr, bei den Olympischen Spielen an den Start zu gehen.

Bis Ende Februar sah alles noch gut aus. Deutscher Meistertitel in der Leipziger Halle über 1500 Meter – Tokio war zum Greifen nahe. Eine Woche später ging es dann los. Erste Wettbewerbe wurden abgesagt, wegen eines Virus aus China, den ich anfangs nicht so recht ernst nehmen wollte. Zu einem riesigen Popanz wird das aufgeblasen, dachte ich damals noch. Heute sehe ich es anders, bin vorsichtiger geworden, vor allem, um meine Eltern nicht zu gefährden.
Trainingslager abgesagt
Die Deutschen Crossmeisterschaften Mitte März in Sindelfingen wurden irgendwie noch ins Trockene gebracht. Doch schon am Wettkampftag war mir klar, dass dieses Jahr nicht wie geplant laufen würde. Als mein Trainer das Trainingslager in Cervia absagte, herrschte endgültig Gewissheit.
Die Woche in Italien war bisher eine feste Größe für mich in jedem Jahr, ein Fixpunkt. Nicht nur in sportlicher Hinsicht, sondern auch ganz privat, um aus dem Alltag zu fliehen, lieb gewonnene Freunde zu treffen, um Kraft zu tanken, für das, was kommen mag.
Der große Traum platzt
Im Autoradio habe ich dann später die Nachricht gehört: Olympia wird verschoben! Mein großer Traum geplatzt! Seltsamerweise war das kein Riesenschock. Als Sportler muss man Rückschläge hinnehmen, wieder aufstehen, wenn man fällt. Das war das eine.
Zum anderen habe ich auch gleich versucht, ohne Emotionen an die Sache heranzugehen, habe Pläne geschmiedet, um das Beste aus der neuen Situation zu machen. Dann eben volle Konzentration auf das Studium und die anschließende Jobsuche, bevor dann wieder Olympia 2021 im Fokus steht.
Die Schmerzen waren immer da
Doch dann kamen die Schmerzen. Schuld daran ist eine Verkalkung im Achillessehnen-Ansatz. Wahrscheinlich von einer leichten Fehlbelastung über die Jahre als Leistungssportler. So genau konnte mir das keiner sagen. Ist aber auch egal. Sie waren da. Jeden Tag, schon morgens zur Begrüßung beim Aufstehen.
Ich habe mich durchgequält trotz der Schmerzen. Dauerlauf war irgendwie noch zu schaffen. Aber ein Tempolauf mit Spikes? Ein Start bei einem Wettkampf gegen hochkarätige Gegner? Keine Chance.
Da bleibt nur Cortison
Wenn Olympia stattgefunden hätte in diesem Jahr, hätte ich trotzdem alles versucht, um an den Start zu gehen. Wirklich alles. Wahrscheinlich hätte ich mir Cortison spritzen lassen.
Trotz der Risiken, trotz der Gefahr, dass die Sehne dadurch hätte reißen können. Olympia hätte ich mir auf keinen Fall nehmen lassen. Gute Platzierungen bei Welt- oder Europameisterschaften, schön und gut. Aber allein der Start bei Olympischen Spielen ist für mich mehr wert als jede WM-Medaille.
Verzicht gehört zum Alltag
Um diesen Traum zu verwirklichen, muss man bereit sein, ihm alles unterzuordnen. Das ganze Leben wird darauf abgestimmt. Verzicht gehört zum Alltag. Wenn es bei Geburtstagsfesten richtig losgeht, sagst du Tschüss. Wenn dir am Tisch jemand den Teller noch mal vollmachen will, sagst du Nein.
All diese Entbehrungen nimmt man hin. Deshalb hätte ich auch das Risiko einer Cortison-Behandlung akzeptiert. Und deshalb war die Pandemie in diesem Jahr, so schlimm sie auch sein mag, gut für meinen Körper.
Jetzt gibt es eine schonendere Therapie
Seit Anfang Oktober versuche ich nun, das Problem auf schonendere Weise in den Griff zu bekommen. Mit einer Therapie, bei der mir alle ein bis zwei Wochen Eigenplasma gespritzt wird. Das ist sicherlich besser für den Körper als Cortison. Aber kein Spaß, da direkt in die Achillessehne injiziert wird.
In diesem Jahr werde ich an Silvester nur nach vorne schauen. Auf ein Jahr mit vielen Entbehrungen, aber weniger Schmerzen. Und auf ein Jahr, in dem hoffentlich mein Traum von Olympia wahr wird.