Es ist kurz nach 13 Uhr, als der Zirkusdirektor nicht mehr kann. Der 52-Jährige steht auf, sein Gesicht rot, seine Bewegungen fahrig. Er stolpert über zwei Stühle, hält sich die Brust. Gerade lief im Sitzungssaal des Amtsgerichts Lörrach ein Video – aufgenommen von der Bodycam eines Polizisten.

Es zeigt jenen Nachmittag im Januar vor eineinhalb Jahren, als der Zirkusdirektor zu Boden gebracht wurde, direkt vor dem Eingang seines Zirkuszelts im Lörracher Grüttpark. Drei Beamte knien auf ihm. Im Hintergrund läuft: „It‘s the most wonderful time of the year“.

Der Angeklagte verlässt fluchtartig den Saal, sein Verteidiger folgt ihm, ruft Sekunden später in den Raum: „Können Sie bitte einen Notarzt rufen?“ Minutenlang steht der Zirkusdirektor draußen vor den Toiletten, die Hand an der Brust, am kranken Herz. Eine Notärztin kommt – und gibt 15 Minuten später Entwarnung: Kein Befund, der eine Unterbrechung rechtfertige. Der Angeklagte selbst habe in der Pause erklärt, weitermachen zu wollen. Auch wenn sein Verteidiger Kolja Prieß das anders sieht.

Ein Streit, zwei Welten

Darum geht es in dem Lörracher Zirkusprozess: Es ist der Gipfel eines langen Streits zwischen Aktivisten für Tiere und denen, die sie in der Manege zeigen.

Es ist der 23. Dezember 2023, als Tierrechtsaktivisten – so wie bei jeder Vorstellung – vor dem Lörracher Weihnachtscircus demonstrieren. Der Zirkus zeigt Ponys, Pferde, Kamele – alles Tiere, deren Einsatz in Deutschland nach wie vor zulässig ist. Für die Aktivisten ist das Ausbeutung. Sie halten eine Kundgebung, verteilen Flyer.

Der Zirkusdirektor stellt sich ihnen entgegen, platziert sich direkt vor ihre Lautsprecher. Dann, so schildern es Zeugen, kommt es zum Kopfstoß gegen den Mann mit dem Mikrofon in der Hand, der zu Boden fällt – und beinahe von einem Auto erfasst wird. Die Polizei wird eingeschaltet. Ein Video davon ist noch immer online.

Vier Verletzte beklagte die Polizei, der Zirkus wiederum acht. Am Donnerstag wurde die Schlägerei vor dem Amtsgericht aufgearbeitet.
Vier Verletzte beklagte die Polizei, der Zirkus wiederum acht. Am Donnerstag wurde die Schlägerei vor dem Amtsgericht aufgearbeitet. | Bild: Screenshot/Instagram/vegan_aktiv_ssw

Am 3. Januar eskaliert die Lage erneut. Es ist kurz vor 16 Uhr, wieder stehen Aktivisten vor dem Zelt. Direkt im Eingangsbereich. Das hatte die Behörde vorher genehmigt. Diesmal ist es die Lautstärke der Musik der Grund, weshalb die Polizei kommt. Es kommt zu einem Gerangel vor dem Kassenwagen.

Ein Beamter wird geschubst, vier weitere verletzt, einer dienstunfähig. Der Zirkusdirektor, so sagen die Polizisten, habe einen Bodycheck gegen einen der Einsatzkräfte ausgeführt. Auf dem Video sieht man eine Berührung. Dann wird es brutal. Drei Polizisten ringen den kleinen Mann nieder.

Ein wuchtiger Schlag mit dem Ellenbogen trifft die hintere Schulter des herzkranken Mannes. Als Familienangehörige das sehen, greifen sie ein. Der Tumult eskaliert, Pfefferspray wird eingesetzt. Wieder wird gefilmt – und wieder landet das Video im Netz. Der Zirkusdirektor wird kurzzeitig befreit.

„Ich bin Zirkusmann“

Der Angeklagte ist für den Prozess aus Kärnten angereist, wo sein Zirkusbetrieb aktuell gastiert. Er stammt aus einer alten Zirkusfamilie, sagt er. „Achte Generation.“ Gelernt habe er wenig, Schule bis zur dritten Klasse, Lesen und Schreiben nur mit Hilfe, erklärt sein Anwalt. Der Zirkusdirektor gibt den Kopfstoß zu.

Auch die Drohung gegen eine Aktivistin, die ihn danach filmte. Er wolle keinen zweiten Prozesstag, könne sich das finanziell nicht leisten. Die Vorwürfe wiegen schwer: Körperverletzung, Beleidigung, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Widerstand.

Tierschützer demonstrieren regelmäßig vor dem Zirkus. Rechts zu sehen: Die Schlägerei mit der Polizei vor dem Zirkuszelt.
Tierschützer demonstrieren regelmäßig vor dem Zirkus. Rechts zu sehen: Die Schlägerei mit der Polizei vor dem Zirkuszelt. | Bild: Screenshots/SK

Und doch ist da auch der Versuch einer Erklärung: Er, der sonst auch als Clown in der Manege steht, sei überfordert gewesen. Immer wieder würden die Aktivisten ihm „Tierquälerei“ vorwerfen, ihn und seine Familie als „Tiermörder“ beschimpfen.

„Dabei kämpfen wir um jeden Cent“, sagt er. Dann hebt er den Zeigefinger. „Wenn einer provoziert und der andere reagiert: Wer ist dann schuld?“ Die Richterin antwortet: „Das wird am Ende das Gericht beurteilen.“

Ein turbulenter Prozess

Auch der Gerichtstag selbst verläuft nicht konfliktfrei. Der Verteidiger des Zirkuschefs attackiert und unterbricht die Vorsitzende mehrfach, kündigt Strafanzeige an, weil Handyvideos von Aktivisten in die Verhandlung eingeführt wurden. Die Richterin mahnt ihn zur Ordnung. Immer wieder. Prieß bleibt unbeeindruckt. Doch es dauert fast zwei Stunden, bis die erste Zeugenaussage beginnen kann.

Der zweite Akt dieses Tages beginnt gegen 14.30 Uhr: Ein junger Mann betritt den Saal, freundlich, allein, ohne Verteidiger. Es ist der Neffe des Zirkusdirektors. Auch er war am 3. Januar dabei, mischte sich ein.

Er stieß eine Beamtin weg, weil er sich bei der Festnahme an den Tod von George Floyd erinnerte. „Er ist doch herzkrank“, sagt er unter Tränen. Das Gericht urteilt am späten Nachmittag: Er sei schuldig wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Es bleibt aber bei einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten.

Wie geht es weiter?

Der Zirkusdirektor muss derweil wieder nach Lörrach fahren. Am 17. Juli wird der Prozess fortgesetzt. Die Polizisten wurden nach dem Notarzt-Einsatz abgeladen. Diese sollen dann aussagen. Ob es ein Urteil gegen den Zirkusdirektor geben wird, ist offen. Eines aber zeigt sich schon jetzt: Die Manege ist nicht nur im Zelt, sie ist längst in den Gerichtssaal gewandert.

Auch 2025 gastierte der Zirkus wieder in Lörrach. Wieder waren Tiere in der Manege. Wieder gab es Proteste. Es blieb ohne größere Zwischenfälle.