Wenn Holger von Both und Sebastian Kuster von den Höhlen unter der Aachquelle sprechen, leuchten ihre Augen. Wie rätselhaft schön die Welt unter Wasser ist – eine Welt voller Kristalle und Ammoniten. Ein Labyrinth voller verzweigter Gänge, von denen manche zu einem großen See unter der Erde führen –an dessen Ecken, die Felsen wie Säulen emporragen. „Das muss man sich vorstellen, wie in einer Kathedrale“, sagt von Both. „Das ist wirklich schön.“

Zwei Kilometer unter Wasser

Und gefährlich. Denn: Manche Steinformationen seien scharf wie Rasierklingen. Und manche Gänge in der Höhle kaum einen Meter breit. „Da zu tauchen ist nichts für Anfänger“, sagt Kuster. Um ihn herum schwappt das Aachwasser – von der Strömung aufgewirbelt. Es ist früher Abend und zusammen mit Holger von Both will Kuster einmal wieder die Höhle. Weil er das Tauchen liebt, aber auch, weil es noch so viel zu erforschen gibt.

Die Aachhöhle ist eine ganz eigene Welt unter der Erde. Mit kleinen und großen unterirdischen Seen und Gängen.
Die Aachhöhle ist eine ganz eigene Welt unter der Erde. Mit kleinen und großen unterirdischen Seen und Gängen. | Bild: Sebastian Kuster

Erst vor ein paar Monaten hat er weitere Auftauchstellen und Gänge in der Höhle aufgespürt – zwei Kilometer misst der inzwischen bekannte und betauchbare Teil des Höhlensystems unter der Aachquelle. Und die neu entdeckten Gänge? „Die ziehen einen in den Bann“, sagt von Both. „Da ist alles noch so unberührt, so wie die Natur die Steine geschaffen und das Wasser sie ausgeschliffen hat.“

Wie es im neu entdeckten Teil der Höhle und in anderen Gängen aussieht, können Sie mit vielen Bilder hier betrachten.

Es ist dunkel und kalt

Im letzten Abendlicht schnallt sich von Both sein Kreislauftauchgerät um den Rücken. Es reinigt die Atemluft der Taucher. So wird sie unter Wasser nicht als Blubberblasen ausgeatmet, sondern bleibt im Kreislauf – und wird, mit etwas Sauerstoff versetzt, wieder eingeatmet.

Doch: Das ist längst nicht alles an Ausrüstung. Dutzende Lampen, pro Person zwei weitere Kreislauftauchgeräte als Ersatz und eine elektrische Heizung im Tauchanzug sind nötig. Schließlich liegt die Wassertemperatur in der Aachquelle momentan bei drei Grad.

Und schließlich ist es in der Höhle stockfinster. Schon jetzt, wo es draußen an der Aachquelle langsam dunkel wird, strahlen die Lampen der Taucher hell wie Autoscheinwerfer durchs Wasser. Und trotzdem sagt Kuster: „Mit dem Licht siehst du da unten nur wenige Meter.“ Dabei haben die Gänge in der Höhle eine Wassertiefe von bis zu 40 Metern.

Holger von Both und Sebastian Kuster (von links).
Holger von Both und Sebastian Kuster (von links). | Bild: Daniela Biehl

Noch stehen von Both und Kuster vor dem Eingang der Höhle. Und noch fällt es einem schwer, sich vorzustellen, wie sich sie gleich im Inneren der Höhle trotz starker Strömung, die einen wieder rauszieht, an Führungsleinen und eingezeichneten Pfeilen orientieren.

Oder wie sie Engstellen passieren, ohne dabei den Boden aufzuwirbeln, was ihre Sicht nur trüben würde. Oder ohne dabei durch ungewollte Bewegungen kostbare Versteinerungen und Steinformationen zu beschädigen. Denn: Eigentlich seien sie Höhlenschützer, sagt Kuster – und es klingt, als sei er sich seiner Verantwortung bewusst. Und auch der Gefahr, der er sich da aussetzt.

Selbst er hatte schon diese Momente der Unsicherheit, in denen er sich eingeschlossen fühlte, sagt der 37-Jährige. Momente, in denen das Herz gleich doppelt so schnell pochte. Und er weiß: „Hier zu tauchen ist eine Dehnung des Glücks“, so Kuster. Nicht ungefährlich. Und nur etwas für echte Profis.

Der Durchgang den die Taucher hier passieren müssen ist etwa 40 bis 50 Zentimeter breit.
Der Durchgang den die Taucher hier passieren müssen ist etwa 40 bis 50 Zentimeter breit. | Bild: Sebastian Kuster

„Es gibt eine Stelle in der Höhle, die ist kaum breiter als fünfzig Zentimeter. Da ist Geröll drin. Und wenn du da durchwillst, musst du dich durchzwängen und das Geröll zur Seite, also vor den Ausgang schaufeln. Das heißt aber auch, du brauchst starke Nerven und musst im Kopf verstehen, dass du dir den Ausgang später wieder freilegen kannst.“ Gerade in diesem Teil der Höhle verbringe er manchmal bis zu zwei Stunden. Nur um sich 30 Meter fortzubewegen.

Höhlentauchen ist vor allem eins: Kopfsache

Die meisten Unfälle, sagt Kuster – der sich auch in der Höhlenrettung engagiert – passierten nicht etwa, weil die Technik versage, sondern: „Aus reiner Panik.“ Denn: Extremtauchen ist vor allem eins: „Kopfsache.“ Und gute Planung. Zur Sicherheit tauchten die meisten nur zu zweit. Und zur Sicherheit nehmen man alles an technischem Equipment in dreifacher Ausführung in die Höhle mit. So auch drei Lampen und drei Kreislauftauchgeräte pro Person.

Sebastian Kuster in der Aachhöhle bei den Vermessungsarbeiten.
Sebastian Kuster in der Aachhöhle bei den Vermessungsarbeiten. | Bild: Sebastian Kuster

Das Wasser in der Höhle stammt zu zwei Dritteln aus der Donau, die bei Immendingen in den Boden versickert und unterirdisch auf einem Gebiet von 250 Quadratkilometern in die Aachquelle fließt – unterwegs sammelt es ein Drittel Versickerungswasser ein. „Wir nehmen an, dass ein Großteil der 250 Quadratkilometer unterhöhlt ist“, sagt Joachim Kreiselmaier vom Verein „Freunde der Aachhöhle“.

Kuster und von Both nennen ihn liebevoll den „Vater der Aachhöhle“, weil Kreiselmaier seit 25 Jahren regelmäßig aus dem pfälzischen Ludwigshafen anreist, um in der Höhle zu tauchen. Und zu forschen. Vor fünf Jahren hat er dort Europas erste höhlenbewohnende Fischart entdeckt: die Höhlenschmerle. Ein auf den ersten Blick kleiner, ja fast farbloser Fisch. Und dennoch etwas Besonderes.

Ein Fisch, der sich an ein Leben in vollkommener Dunkelheit angepasst hat. Und der bis damals unentdeckt blieb, weil das Höhlensystem so schwer zugänglich ist – und nur wenige die inzwischen bekannten zwei Kilometer überhaupt durchtauchen können.

So schreibt es sich unter Wasser: Mit Bleistift auf wasserfestem Papier werden Notizen im Rahmen der Vermessungsarbeiten gemacht.
So schreibt es sich unter Wasser: Mit Bleistift auf wasserfestem Papier werden Notizen im Rahmen der Vermessungsarbeiten gemacht. | Bild: Sebastian Kuster

Gerade deshalb sei es auch so schwer, die Höhle zu vermessen. Und einen genauen Plan zu erstellen. Doch: „Ohne die Vermessungsarbeiten, hätten wir die neuen Gänge und Auftauchstellen wahrscheinlich gar nicht aufgespürt“, sagt Kuster. In tausenden von Arbeitsstunden hat er anhand von 600 Vermessungspunkten einen detaillierten Höhlenplan von den bisher bekannten Stellen ausgearbeitet. Und zwar händisch. Unter Wasser mit Bleistift auf wasserfestem Papier.

„Der normale Taucher taucht oft einfach unten lang. Wegen der schlechten Sicht merkt man dann aber nicht, wenn 15 Meter über einem eine Abzweigung ist. Bei der Vermessung waren wir sehr genau und haben in kurzen Abständen in alle Richtungen gemessen“, sagt Kuster – und erklärt so, warum die Gänge, auf die er kürzlich gestoßen ist, solange unentdeckt blieben.

Ist die Strömung zu stark, wird Höhlentauchen gefährlich

Sie erkunden, sei dann auch nicht einfach gewesen. Denn: Aus Sicherheitsgründen hätte erst eine Leine verlegt, also in die Felsen verbohrt werden, müssen. Die sich mit der eigentlichen Führungsleine, die vom Höhleneingang ausgeht, verbindet, „sodass man jederzeit den Weg nach draußen findet“, sagt Kuster.

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Und draußen ist es inzwischen ebenso finster geworden wie im Inneren der Höhle. Die Lampen der Taucher zucken wie Laserschwerter durchs Wasser. Dass es draußen dunkel ist, stört Kuster nicht. „Ich tauche eigentlich immer nach Feierabend“, sagt er. 20- bis 30-mal im Jahr. Wie oft er tauchen kann, entscheidet die Strömung. Ist sie zu stark, sei das Höhlentauchen zu gefährlich.

Das Tauchen nach Feierabend sei seine Art zur Ruhe zu kommen, sagt von Both. „In der Höhle kann alles andere vergessen. Und muss mich auf das Hier-und-Jetzt konzentrieren.“ Auf die fremde Welt, in die er nun hinabgleitet.