Der Fall Kaspar Hauser ist einer der größten Krimis der Geschichte. Seit das mysteriöse Findelkind im Mai 1828 in Nürnberg für Aufsehen sorgte, wird über Hausers Herkunft gerätselt.
Früh machte das Gerücht die Runde, der seltsam entrückte Junge, der kaum ein Wort sprach, sei Opfer einer königlichen Intrige. Die Spur führe an den badischen Hof nach Karlsruhe. So glaubten viele – manche bis heute.
Uni Innsbruck bringt Licht ins Dunkel
Die bekannteste Verschwörungstheorie zu Kaspar Hauser ist nun aber widerlegt. Für eine internationale Studie unter der Führung des Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck wurden hochsensitive DNA-Analysemethoden eingesetzt.
Studienleiter Walther Parson sagt dazu: „Eine mütterliche Verwandtschaft zum Haus Baden und damit die weitverbreitete Prinzentheorie kann so mit nahezu 100-prozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden.“

Kaspar Hauser war demnach definitiv kein verstoßener Prinz von Baden. Er kann es nicht gewesen sein, weil die in Haarproben sichergestellte „mitochondriale DNA-Sequenz“ des Findelkinds keine biologische Verwandtschaft zu seiner angeblichen Mutter Stephanie de Beauharnais (1789-1860) aufweist – der Gattin von Großherzog Karl Friedrich (1728-1811).

Glaubt man aber der Verschwörungstheorie, hat sich in Karlsruhe ein ungeheuerlicher Kriminalfall zugetragen: Kaspar Hauser soll am 29. September 1812 als badischer Erbprinz zur Welt gekommen sein.
Doch der wenige Tage alte Säugling sei gegen ein sterbendes Arbeiterkind ausgetauscht und verschleppt worden. Offiziell wurde der badische Thronfolger für tot erklärt.

Weil Karl Friedrich aber keinen weiteren männlichen Nachkommen hatte, profitierte sodann ein Familienzweig, der bei der Erbfolge schon aus dem Rennen schien – und bei dem damals mancher Royalist die Nase rümpfte.
Die Rede ist von der „nicht standesgemäßen“ zweiten Ehe des hoch angesehen ersten badischen Großherzogs Karl Friedrich mit der jungen Hofdame Luise Karoline Geyer von Geyersberg – 1796 zur Reichsgräfin von Hochberg ernannt (1767-1820).

Luise galt vielen als Hauptverdächtige im Kaspar-Hauser-Krimi. Sie habe den Säugling gegen das sterbende Kind vertauscht, um ihren eigenen Söhnen die Thronfolge zu sichern. Womöglich war es die geringe Reputation der „nicht standesgemäßen“ Reichsgräfin, die derlei Gerüchte nährte.
Tatsächlich wurde Luises Sohn Leopold im Jahr 1830 der Großherzog von Baden. Bis heute stellt der Zweig die Chefs des Hauses Baden – bis hin zum heutigen Bernhard Markgraf von Baden (54), der das Familienzepter 2022 nach dem Tod seines Vaters übernahm und in Schloss Salem lebt.

Der Nachfahre des Herrscherhauses soll die Studie aus Innsbruck mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Ein Sprecher des Hauses Baden erklärte in dieser Woche auf Anfrage: „Es ist grundsätzlich interessant, wenn neuste naturwissenschaftliche beziehungsweise DNA-Analysen zur Lösung historischer Rätsel beitragen.“ Im Fall Kaspar Hauser gelte dies in besonderem Maß, denn die Frage nach dessen Herkunft polarisiere seit fast 200 Jahren.
„Mit der Widerlegung der Prinzentheorie ist die Akte für das Haus Baden nun geschlossen. Die Tragik des Lebens und Sterbens Kaspar Hausers lässt sich jetzt nicht mehr verschwörungstheoretisch instrumentalisieren“, sagte der Sprecher des Markgrafen.
Auch Erleichterung im Karlsruher Schloss
Im Karlsruher Schloss, der ehemaligen Residenz, reagiert man ebenfalls positiv. „Eine gewisse Genugtuung kann ich mir nicht verkneifen“, sagt Oliver Sänger vom dortigen Badischen Landesmuseum.
Die Hauser-Geschichte sei doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen gewesen, so der Baden-Experte. Mit der nun eindeutigen Studienlage sei diese Mär endgültig vom Tisch. Schon vor den jetzt veröffentlichten DNA-Analysen hatte der Großteil der Kaspar-Hauser-Forscher eine Verbindung ins badische Herrschergeschlecht ausgeschlossen.
Unter Historikern galt schon eine Arbeit des Oberstaatsanwalts Otto Mittelstädt von 1876 („Kaspar Hauser und sein badisches Prinzenthum“) als definitive Widerlegung der Kindestaus-Theorie. Aber die Mediziner stritten noch. DNA-Analysen ab den 1990er-Jahren sollen widersprüchliche Ergebnisse erzielt haben.
Das Vorbild für „Professor Börne“
Nach einer Untersuchung von Haarlocken und Blutflecken am Institut für Rechtsmedizin der Universität Münster erklärte der damalige Studienleiter Bernd Brinkmann: „Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es unverantwortlich, einen Ausschluss zu formulieren, sodass immer noch die Möglichkeit besteht, dass Kaspar Hauser ein biologischer Verwandter des Hauses Baden ist.“
Jener Münsteraner Rechtsmediziner – er gilt übrigens als reales Vorbild der „Tatort“-Kultfigur Professor Boerne – ist heute 85 Jahre alt und im verdienten Ruhestand. Dass Professor Brinkmann oder ein anderer seriöser Wissenschaftler die neuen DNA-Analysen bezweifelt, ist nicht zu erwarten. Ob nun alle Verschwörungsgeschichten zu Kaspar Hauser ihr Ende finden? Zumindest die Frage, wer Kaspar Hauser wirklich war, bleibt offen.
War der Unbekannte ein begabter Hochstapler?
Experten glauben, es handelte sich bei dem später Kaspar Hauser genannten Mann schlicht um einen begabten Hochstapler. Ein mittelloser Junge (er war bei seinem Auftauchen 16), der nichts zu verlieren hatte und mit seinem kryptischen Gebaren zur Sensation wurde.
Kaspar Hauser starb 1833 im fränkischen Ansbach an den Folgen einer Stichverletzung. Mancher wähnte ein Attentat – und die Auftraggeber im Karlsruher Schloss. Trotz einer gigantischen Belohnung von 10.000 Gulden, ausgesetzt vom bayerischen König Ludwig I., wurde nie ein Täter gefasst.
Als am wahrscheinlichsten gilt heute, dass Hauser sich selbst verletzte, um das nachlassende Interesse an seiner Person wieder anzufachen. Fast 200 Jahre später muss man konstatieren: Das ist ihm gelungen.