Ein Jahr, zwei Leben. Für Alexander Stenzel gibt es das Sommerleben und das Winterleben. Nur von März bis Oktober arbeitet er, von November bis Februar ist er unterwegs – meist auf Reisen. Viel Geld hat er dafür nicht. Wie das funktioniert? Der 34-jährige zuckt mit den Schultern und lächelt: „Indem man sich einfach nicht so viel Sorgen macht und hofft das alles gut wird.“
Stenzel verdient sein Geld mit dem, was für andere ein Ausflug ist. Er ist Fährmann auf dem Bodensee. Während er davon erzählt, sitzt Stenzel entspannt auf seinem kleinen Solarboot: eine Hand am Steuer, die andere am Geländer. Sein Blick schweift langsam über den See.
Zwischen Risiko und Abenteuer
Sein Tag beginnt um 09:30 Uhr mit einer Tasse Kaffee – serviert von Kollege Christian Rieck. Danach: ein Blick aus dem Fenster, einer aufs Handy. Denn ob sein Solarschiff heute ablegt, entscheidet das Wetter. Bei normalen Bedingungen arbeitet Stenzel sieben Tage in der Woche.
Doch das Wetter sorgte bei ihm schon oft für Probleme. Vom Hochwasser im vergangenen Jahr bis hin zum niedrigen Pegelstand in diesem Jahr. Die Wetterextreme wirken sich direkt auf sein Einkommen aus. Regnet es, bleibt das Boot im Hafen. Ist der Wasserstand zu niedrig, wird das Anlegen zur Herausforderung.
So wechselhaft wie das Wetter, ist auch das Leben von Alexander Stenzel. „So richtig arbeiten musste ich noch nie“, erzählt er. Sein Geld habe er stets mit dem verdient, was ihm Spaß gemacht habe. Der Lohn selbst sei dabei nicht entscheidend gewesen.
Schon in seiner Kindheit war Geld Mangelware. Damals brachte die Großmutter Lebensmittelkörbe vorbei, wenn das Geld für Essen für ihn und seine vier Geschwister nicht gereicht hat. Seine Vergangenheit habe ihm zu hohem Fleiß verholfen, den er nun für die arbeitsintensive Sommersaison brauche.
„Geld macht das Leben leichter, aber nicht glücklicher“
Wie so vieles in Alexanders Leben, war auch der Beruf als Fährmann nicht geplant. Der gelernte Motorradmechaniker kam erst 2018 durch seinen besten Freund zur Schiffsbranche. Seitdem ist Stenzel auf dem Bodensee unterwegs und seit fünf Jahren auch mit seinem eigenen Solarboot.
Rund 6000 Passagiere steigen jedes Jahr auf sein Boot und zahlen dafür sechs bis neun Euro. Hin und wieder kommen exklusive Touren für 300 Euro dazu. Viel bleibt am Saisonende trotzdem nicht übrig. Nach Abzug von Steuern, Versicherungen und laufenden Kosten bleiben ihm weniger als 25.000 Euro – für sich und seinen fast dreijährigen Sohn Nelio.
Das Geld reiche aber, so Stenzel. Im Sommerleben, wie er es nennt, brauche er etwas mehr als 1000 Euro im Monat und im Winterleben weniger. Sein Geheimnis: keine Restaurantbesuche, günstige Urlaube im Camper oder in Bungalows – und die Vermietung seines Zimmers, solange er unterwegs ist.
„Ich komme immer auf null raus“, erklärt er. Und wenn das Geld mal knapp wird, helfen Freunde und Familie aus. Schulden habe er bei ihnen aber nicht.
Mit Kreativität, Mut und Urvertrauen
Nach der Trennung von seiner Frau ist Stenzel mit Nelio zu seinem Bruder in eine Genossenschaftswohnung gezogen. Sein stabiles Umfeld gebe ihm die nötige Sicherheit, die er für ein Leben zwischen Reisen und Arbeiten braucht. „Bis jetzt bin ich noch nicht auf die Schnauze gefallen“, sagt Stenzel.

Lange will er dieses Leben aber nicht mehr führen. Sobald sein Sohn in die Schule kommt, haben die langen Reisen ein Ende. Bis dahin lebt der junge Vater weiterhin auf Risiko. Große Themen wie Rente oder Altersvorsorge nimmt er gelassen. „Wird schon funktionieren“, sagt er.
Ist das nicht leichtsinnig? Er zuckt mit den Schultern: „Ich habe keine Lust mich mit potenziellen Ängsten zu beschäftigen, wenn ich es nicht muss“. Ein Lebensmodell, das nicht für jeden passt – das weiß auch er. „Ich will mich weiter voll ausleben und das auch meinem Sohn mitgeben. Nur eben mit weniger Risiko“, sagt er, während sein kleines Boot ruhig den Hafen der Reichenau verlässt.