„Ey, Dad, ich glaube, da hinten brennt es.“ Mit diesen Worten verständigte eine 16-Jährige am späten Samstagabend ihren Vater. Der Feuerwehrmann wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der wohl größte und gefährlichste Einsatz seines Lebens unmittelbar bevorstehen sollte.

Diese 16-Jährige aus Veringenstadt wurde selbst aus großer Entfernung noch Augenzeugin des Großbrands.
Diese 16-Jährige aus Veringenstadt wurde selbst aus großer Entfernung noch Augenzeugin des Großbrands. | Bild: René Laglstorfer

Selbst aus dem etwa zehn Kilometer entfernten Veringenstadt war laut Augenzeugen trotz Dunkelheit ein orange-rotes Leuchten und eine riesige Rauchsäule am Himmel mit bloßem Auge zu erkennen. „Wir dachten zuerst an ein Bauwagenfest, aber sahen, dass es komplett weit weg ist. Irgendwie schaute das sehr komisch aus“, schildert die jugendliche Augenzeugin dem SÜDKURIER ihre Eindrücke.

Reaktionen zum Großbrand Gammertingen Video: Julia Becker/René Laglstorfer

Kunstflieger, DJ Ötzi und die Katastrophe

Unsicherheit machte sich bei der 16-Jährigen und ihrem Freund breit. Kurz darauf erhielt ihr Vater, der eigentlich erst am nächsten Tag Dienst gehabt hätte, eine Einsatzwarnung und musste wie rund 380 weitere Feuerwehrleute aus fünf Landkreisen auch mitten in der Nacht ausrücken. Ziel war das weitläufige Firmenareal des 61-jährigen „Reifen-Königs“ und Multimillionärs Bruno Göggel in Gammertingen, wo sich direkt angrenzend auch sein privates Anwesen befindet.

Sänger Gerhard Friedle alias DJ Ötzi trat auf der Hochzeit von Bruno Göggel in Gammertingen auf.
Sänger Gerhard Friedle alias DJ Ötzi trat auf der Hochzeit von Bruno Göggel in Gammertingen auf. | Bild: Patrick Seeger/dpa

Dort ging für den größten Reifenhändler Deutschlands, seine 38-jährige Braut Corinna und rund 300 geladene Gäste ein Luxus-Hochzeitsspektakel über die Bühne, wie es Baden-Württemberg wohl noch nie erlebt hat: Die Red-Bull-Kunstfliegerstaffel zeichnete Dutzende Figuren in den Himmel, darunter auch ein Herz.

Stargäste waren etwa der Kabarettist Dave Davis und der Tiroler „DJ Ötzi“, welcher unter anderem „Hey Baby“ und „Ein Stern“ trällerte. Höhepunkt der Ausnahmefeier sollte jedoch ein riesiges Feuerwerk werden, das gegen 22.30 Uhr gezündet wurde.

Gasflaschen dürften Explosionen ausgelöst haben

Etwa eine Stunde später gingen laut Polizei die ersten Notrufe ein. In jenem Innenhof des Logistikzentrums, von dem das Feuerwerk laut SÜDKURIER-Informationen gezündet worden war, sowie bei einer größeren Lager- und Werkstatthalle soll es laut der Stadt Gammertingen zu brennen begonnen haben.

Joachim Pfänder vom Kreisfeuerwehrverband Sigmaringen sagte, in Folien verpackte Reifen im Außenlager unter freiem Himmel, Teile einer Lagerhalle, Fahrzeuge sowie auch Gasflaschen seien in Flammen aufgegangen. Augenzeugen berichteten von mehreren Explosionen und heftigem Knallen.

Holger Herg, Bürgermeister der Stadt Gammertingen.
Holger Herg, Bürgermeister der Stadt Gammertingen. | Bild: René Laglstorfer

Vier Feuerwehrleute beziehungsweise Mitarbeiter des Reifenhändlers Göggel erlitten leichte Rauchgasvergiftungen, konnten jedoch laut dem Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg bereits am darauffolgenden Tag wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden – ebenso wie eine Person, die sich bei einem Sturz in Folge des Großbrands eine Platzwunde am Kopf zuzog.

Trotz Trockenheit Wasser aus dem Fluss gepumpt

Die Hitze war so groß, dass sie sogar den Lack von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr aufplatzen ließ. Die Flammen türmten sich Dutzende Meter hoch auf, wie zahlreiche Fotos und Videos in sozialen Netzwerken zeigen. Anwohner in Gammertingen wurden laut Polizeiangaben per Lautsprecher-Durchsage dazu aufgefordert, Türen und Fenster vorerst geschlossen zu halten. Ähnliche Warnungen gab es per App für den gesamten Landkreis Sigmaringen.

Ein Blick auf das Firmengelände.
Ein Blick auf das Firmengelände. | Bild: René Laglstorfer

Um den Großbrand unter Kontrolle zu bekommen, reichten die Löschbehälter am Firmengelände mit etwa 50.000 Liter Wasser nicht aus. Die Feuerwehren mussten trotz akuter Trockenheit Wasser aus dem Fluss Lauchert sowie von der Trinkwasserversorgung der 6500-Einwohner-Stadt Gammertingen im großen Stil entnehmen.

Gammertinger konnten vorübergehend nicht duschen

Mehrere Bewohner haben daraufhin wegen des immensen Druckabfalls im Hochbehälter der Trinkwasserleitung vorübergehend nicht duschen oder die Toilettenspülung betätigen können.

Laut Bürgermeister Jerg sei die Trinkwasserversorgung Gammertingens jedoch nicht gefährdet. „Wir haben trotz Trockenheit genug Wasser“, so der Stadtchef. Landwirte schafften mit Traktoren zusätzliches Löschwasser in Behältern herbei und am Montag stark verunreinigtes Wasser zu zwei Kläranlagen.

Die Feuerwehr pumpt Wasser.
Die Feuerwehr pumpt Wasser. | Bild: René Laglstorfer

„Das Löschwasser konnte komplett aufgefangen werden, nichts ist in die Natur gelangt“, sagt Adrian Schiefer, Umweltverantwortlicher beim Landratsamt Sigmaringen, dem SÜDKURIER. Er sei selbst am Brandort gewesen. Die Feuerwehren hätten es geschafft, einen Wasserkreislauf herzustellen, um nicht endlos Frischwasser verbrauchen zu müssen. „Im Moment gehen wir von keinen größeren Umweltschäden aus“, sagt Schiefer.

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Im Kontrast dazu warnt die Stadt Gammertingen, bis zum Abschluss von weiteren Untersuchungen und Bodenproben in der Gemeinde und in der Region kein Gemüse oder Obst aus dem Garten zu essen. „Den Salat würde ich heute (Montag, Anm. d. Red.) und morgen noch im Garten lassen und danach wie sonst auch gut waschen“, sagt Bürgermeister Jerg.

Viel blieb von der abgebrannten Lagerhalle nicht übrig. Sieben weitere Hallen blieben unbeschädigt.
Viel blieb von der abgebrannten Lagerhalle nicht übrig. Sieben weitere Hallen blieben unbeschädigt. | Bild: René Laglstorfer

Augenzeugen berichten, von der Brandhitze aufgestiegene Gummipartikel seien nach ihrer Abkühlung vom Himmel regelrecht heruntergeregnet. Auch zwei Tage nach dem Großfeuer ist um das Firmengelände noch deutlich der Geruch von verbranntem Gummi zu riechen. Aus einigen verformten Metallgestängen, die einmal die völlig zerstörte Lagerhalle stützten, stiegen am Montagnachmittag noch vereinzelt dunkle Rauchwolken auf.

Schadstoffwolke zog in den Süden

Bei Schadstoffmessungen der Feuerwehr in der Nacht auf Sonntag sowie am Sonntagvormittag in den benachbarten Wohngebieten sowie im nördlichen Landkreisteil im Laucherttal seien keine überhöhten Grenzwerte festgestellt worden.

Dabei zog die riesige Rauchsäule laut Stadtchef Jerg und Umweltdezernent Schiefer nicht in den Norden, sondern in den Süden des Landkreises in Richtung der Kreishauptstadt Sigmaringen. „Nach 20 bis 30 Kilometern war die Rauchwolke nicht mehr feststellbar“, so Schiefer.

Der Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg beim TV-Interview vor dem Firmengelände.
Der Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg beim TV-Interview vor dem Firmengelände. | Bild: René Laglstorfer

Die Kripo Sigmaringen ermittelt nun wegen fahrlässiger Brandstiftung – und ob es einen Zusammenhang zwischen dem Hochzeitsfeuerwerk und dem Großbrand gibt, wie mehrere Feuerwehrleute und Ermittler hinter vorgehaltener Hand andeuteten.

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass in Zeiten von vielen Hitzetagen, akuter Trockenheit und beträchtlicher Waldbrandgefahr ein Großfeuerwerk gezündet werden darf?

Grillen verboten, Feuerwerk erlaubt

Zwar hat die Stadt Gammertingen am 19. Juli mit Verweis auf die hohe Waldbrandgefahr verboten, in und um einen Wald zu grillen. Das Großfeuerwerk, das in unmittelbarer Nähe eines großen Waldstücks gezündet worden war, wurde jedoch nicht untersagt, was aber möglich gewesen wäre, wie Bürgermeister Jerg einräumt.

„Wenn wir die Brandlage gewusst hätten, hätten wir anders reagieren können. Aber es gab im Vorfeld keine Erkenntnisse“, sagt der Stadtchef dem SÜDKURIER. Er gehörte selbst zum illustren Kreis der Hochzeitsgäste und erlebte das Inferno vor Ort mit. Zu den Gästen gehörte auch Mike Hummel, Sprecher des Reifen-Großhändlers Göggel. Er beziffert den Brandschaden gegenüber dem SÜDKURIER auf mindestens zehn Millionen Euro.

Mike Hummel, Sprecher und Marketingchef des Reifen-Großhändlers Göggel im Gammertingen.
Mike Hummel, Sprecher und Marketingchef des Reifen-Großhändlers Göggel im Gammertingen. | Bild: René Laglstorfer

Eine formelle Genehmigung sei laut dem Gammertinger Bürgermeister nicht nötig gewesen, sondern lediglich eine Anzeige eines zertifizierten Pyrotechnikers, das ein Feuerwerk durchgeführt werde. Weil es vom Landkreis Sigmaringen keine Allgemeinverfügung wegen Waldbrandgefahr gegeben habe, könnten auf privaten Grundstücke auch keine Feuerwerke verboten werden. Laut Deutschem Wetterdienst gilt im Kreis Sigmaringen derzeit eine erhöhte Waldbrandwarnstufe.

Die Stadt habe jedoch Auflagen wie einen Schutzabstand und eine Brandwache mit sechs Feuerwehrleuten erlassen, laut dem Stadtchef seien auch mehrere Ortswechsel für die Abschussvorrichtung diskutiert worden. Während die Stadt die Verantwortung beim eingesetzten Pyrotechniker sieht, verweist das Landratsamt auf die „alleinige Zuständigkeit“ der Stadt. „Natürlich muss man sich die Frage stellen, inwieweit man so etwas genehmigen kann“, sagt Umweltdezernent Adrian Schiefer.