Felix Cramer von Clausbruch ist frisch gewählter Bürgermeister von Rietheim-Weilheim, einer knapp 3000 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Tuttlingen. Mit einem Bachelor in Politik- und Verwaltungswissenschaften und einer Menge Lebenserfahrung auch in anderen Jobs gilt der 39-Jährige als gut ausgebildeter Rathaus-Chef. Doch die sind inzwischen Mangelware in Deutschland. Woran liegt das? Und: Was muss sich ändern, damit genügend gute Leute in die Kommunalpolitik gehen?

Neue Generation von Rathaus-Chefs wird laut

Mit dieser Fragestellung hatte die Zeppelin-Universität (ZU) in Friedrichshafen fünf Stadtoberhäupter zu einer Podiumsdiskussion eingeladen – keiner älter als 40 Jahre. Sie stehen für eine neue Generation von Rathaus-Chefs, die ihre Sorgen und Nöte auch laut formulieren. Allen voran Michael Salomo (SPD), seit 2021 Oberbürgermeister von Heidenheim, der Bundesvorsitzender und Sprecher des „Netzwerks junger Bürgermeister:innen“ ist.

Mit ihm saßen zwei weitere Oberbürgermeister (OB) aus dem Nachbarland Bayern auf dem Podium: Dr. Claudia Alfons (parteilos) war bei ihrem Amtsantritt in Lindau 2020 mit 37 Jahren Deutschlands jüngste Oberbürgermeisterin. Aktuell ist es Jan Rothenbacher (SPD), der seit wenigen Wochen OB in Memmingen ist. Die Runde komplettierte Wolfram Bernhardt (parteilos), seit 2019 Bürgermeister von Adelsheim (Neckar-Odenwald-Kreis), der wie Felix Cramer von Clausbruch (FDP) Alumnus der Zeppelin-Universität ist.

„Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht.“
Aus einem Positionspapier des Gemeindetags

Was aus seiner Sicht schief läuft, brachte Wolfram Bernhardt am eindrücklichsten auf den Punkt. Er zitierte aus dem Positionspapier, das der Gemeindetag Baden-Württemberg im September 2022 unter dem Titel „Kein Weiter-so“ verabschiedet hat. „Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht.“ Die Kommunen befänden sich im Dauerkrisenmodus. Allein den Ist-Zustand zu sichern, sei ein Kraftakt. Geltende Rechtsansprüche seien nicht mehr erfüllbar. Man brauche eine „ernsthafte Aufgaben- und Standardkritik“, forderte der Gemeindetag, und dies „beherzt und schnell“. Besser habe man das nicht formulieren können, so Bernhardt.

Der jüngste OB in Deutschland ist aktuell Jan Rothenbacher (Mitte), Rathaus-Chef in Memmingen. Claudia Alfons (links), ...
Der jüngste OB in Deutschland ist aktuell Jan Rothenbacher (Mitte), Rathaus-Chef in Memmingen. Claudia Alfons (links), Oberbürgermeisterin in Lindau am Bodensee, war davor die Jüngste. | Bild: Lena Reiner

Während die Politik in Berlin Großprojekte wälze, die oft „Selbstbeschäftigung ohne Ergebnis“ sei, werde es in den Kommunen konkret, erklärte Jan Rothenbacher, der unter anderem vier Jahre lang Inhouse-Berater im Bundesverteidigungsministerium war. „Da werden von der Bundespolitik Erwartungen geweckt, und die Kommunen sollen es machen.“ Nirgends sei die Gestaltungsmacht so groß wie in den Städten und Gemeinden. Doch Berlin versuche, über Fördertöpfe die Kommunen zu lenken. „Wir wissen selber, wo wir das Geld brauchen“, so der OB von Memmingen.

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch die Hintertür zum Zentralstaat werden.“
Michael Salomo, OB von Heidenheim

In die gleiche Kerbe schlug Michael Salomo. Immer öfter greife die Bundespolitik in Aufgaben ein, für die die Kommunen zuständig sind. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch die Hintertür zum Zentralstaat werden“, sagte der OB von Heidenheim. Genau genommen brauche es im Bundesrat eine dritte Kammer, die die kommunalen Interessen vertrete.

Michael Salomo (rechts) ist seit 2021 OB in Heidenheim sowie Bundesvorsitzender und Sprecher des „Netzwerks junger ...
Michael Salomo (rechts) ist seit 2021 OB in Heidenheim sowie Bundesvorsitzender und Sprecher des „Netzwerks junger Bürgermeister:innen“, die alle unter 40 sind. Das trifft auch auf Jan Rothenbacher zu, frisch gewählter OB in Memmingen (links). | Bild: Lena Reiner

Die Rathäuser hätten bereits mit immensen Herausforderungen zu kämpfen. „Im Großen und Ganzen läuft es. Die Frage ist nur, wie lange noch“, so Salomo. So treibt die Digitalisierung die Verwaltungen vor sich her. Entscheidungswege würden immer länger, was auch am Drang zur Bürgerbeteiligung liegt, die „Projekte oft bremst statt schärft“. Offene Stellen lassen sich immer schwieriger besetzen, immer weniger Menschen fürs Ehrenamt gewinnen, was gerade in den Kommunen unverzichtbar sei.

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Kein Wunder für ihn: Die Ansprüche der Bürger haben sich ebenso geändert wie die Streitkultur. „Oft wird die sachliche mit der politischen Ebene vermischt“, so Salomo. Wer im Licht der Öffentlichkeit steht, müsse auch damit fertig werden, dass er angespuckt wird oder die Reifen an seinem Auto zerstochen werden. Politik fürs Gemeinwohl sei eben „mehr als die Summe von Einzelinteressen“.

Trotzdem „das Beste, was man machen kann“

Und trotzdem machen die fünf Rathaus-Chefs ihren Job gern, werben bei den ZU-Studenten darum, sich selbst auf dieses „Spielfeld vor Ort“ zu begeben. „Hier geht es direkt an den Ball, hier wird es konkret“, sagt Claudia Alfons. Genau deshalb sollte jeder Berufspolitiker in spe „erst einmal auf den Bolzplatz und sich hier dreckig machen“, schlug Felix Cramer von Clausbruch vor. Der Adelsheimer Bürgermeister hat eine ganz eigene Antwort darauf gefunden, warum er sich den Job als Bürgermeister antut. „Weil es das Beste ist, was man machen kann, und ich jeden Tag mit dem Anspruch aufstehe, die Welt zu retten.“