Frau Lang, Sie gelten als links und wollen Parteivorsitzende werden. Müssen die Grünen linker werden?
Die Grünen müssen in ihrer Regierungszeit jetzt das umsetzen, was zur Klimakrise und zur sozialen Gerechtigkeit mit dem Koalitionsvertrag beschlossen wurde. Und gleichzeitig müssen wir noch mehr Menschen erreichen. Das ist die Aufgabe, vor der die Grünen stehen – und zwar als gesamte Partei.
Das klingt jetzt sehr allgemein. Aber speziell für kleine Einkommen haben die Grünen doch wenig im Angebot.
Im Gegenteil. Dass die Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag steht und in den nächsten Jahren umgesetzt wird, liegt daran, dass wir sie da reingekämpft haben. Den höheren Mindestlohn haben wir vor drei Jahren schon auf einem Parteitag beschlossen – jetzt ist er Regierungshandeln. Und klar: Der Wandel unserer Industrienation hin zur Klimaneutralität ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit.
Entscheidend ist, dass wir es schaffen das sozial gerecht zu gestalten und Menschen mit geringem Einkommen oder Familien abzusichern. Zum Beispiel wie mit dem gerade von Anne Spiegel auf den Weg gebrachten Sofortzuschlag für Kinder in ärmeren Familien. Ich weiß selbst wie es ist, in einer Familie mit wenig Geld aufzuwachsen. Deshalb wird es auch für mich als Parteivorsitzende, sollte ich denn gewählt werden, selbstverständlich sein, den sozialen Ausgleich im Blick zu behalten.
Wollen Sie die SPD links überholen?
Soziale Themen sind ja nicht von der SPD gepachtet. Ich bin wegen der Gerechtigkeitsthemen zu den Grünen gekommen, das sind für mich urgrüne Anliegen.
Den Grünen haftet das Etikett an, eine Bevormundungs- und Verbotspartei zu sein. Wie wollen Sie das loswerden?
Wir müssen als Gesellschaft darüber sprechen, was wir unter Freiheit verstehen. Für mich ist Freiheit etwas anderes als Egoismus und Regellosigkeit. Ein Schulkind kann unbeschadet die Straße überqueren, weil es Ampeln gibt, weil Autofahrer sich also an Regeln halten, die den Straßenverkehr für alle sicherer machen. Darauf beruht unser gesellschaftliches Zusammenleben. Das müssen wir jetzt auch über Generationen hinweg denken.
Heißt: Was müssen wir tun, damit die Generation nach uns auch frei leben kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil zum Klimaschutzgesetz bestätigt. Nur, wenn wir heute handeln, werden wir auch in Zukunft Freiheit haben. Klimaschutz und Freiheit sind für mich deshalb zwei Seiten einer Medaille.
Harter Themenwechsel: Ist Boris Palmer ein Grüner?
Aus meiner Sicht hat der Landesvorstand dazu alles Relevante gesagt. Nun wird das Landesschiedsgericht entscheiden.
Palmer thematisiert, dass Menschen, die in ihrer Gesinnung nicht dem Zeitgeist hinterherrennen, ausgegrenzt werden. Müssen hier gerade die Grünen toleranter werden?
Es gibt ein spannendes Bild des Soziologen Aladin El-Mafaalani. Er beschreibt einen Tisch, an dem über die Jahre immer mehr Menschen Platz nehmen. Unterschiedliche Gruppen kommen hinzu und wollen mitdiskutieren, wie es in der Gesellschaft weitergeht. Damit das Gespräch funktioniert, sollten wir uns gegenseitig nicht beleidigen oder diskriminieren – aber gleichzeitig auch darauf achten, dass wir anderen nicht gleich immer das Schlechteste unterstellen.
Es braucht gegenseitiges Verständnis. Da haben wir als ganze Gesellschaft Nachholbedarf und natürlich auch als Partei noch einiges zu lernen. Ich würde den meisten Menschen, gerade in den sozialen Medien, zu mehr Gelassenheit raten.
In der Außenpolitik haben Sie Ihren grünen Wertekompass. Wie passt dazu Ihr Umgang mit Nord Stream 2 in der Ampel?
Wir haben immer gesagt, dass Nord Stream 2 energie- und klimapolitisch falsch ist. Und natürlich hat es eine geopolitische Dimension, das ist kein unpolitisches Projekt. Die Vorgängerregierung hat das Projekt vorangetrieben. Ob die Pipeline ans Netz geht, unterliegt leider nicht mehr einer politischen Entscheidung der Ampelkoalition. Klar ist, wenn die Aggressionen von russischer Seite weitergehen, und wir über wirtschaftspolitische Antworten reden müssen, dann gehört alles auf den Tisch.
Bestimmt Kanzler Scholz eigentlich die Außenpolitik?
Die Außenpolitik liegt zuallererst im Außenministerium. Und wir sehen doch jetzt bereits, wie wichtig es ist, dass wir dieses Ministerium besetzen.
Was unterscheidet das Duo Ricarda Lang/Omid Nouripour von Annalena Baerbock/Robert Habeck?
Die Partei hat durch die Regierungsbeteiligung eine neue Rolle. In den letzten Jahren ging es darum, die Partei breiter aufzustellen. Das haben Annalena und Robert angestoßen.
Die Aufgabe der neuen Parteivorsitzenden wird es nun sein, einerseits Regierung, Bundestagsfraktion und Partei miteinander zu verzahnen und andererseits über die Legislatur hinauszudenken. Wir stehen alle gemeinsam auf dem Spielfeld, in unterschiedliche Rollen, aber geeint im Ziel.