Die Bahnsteige am Stuttgarter Hauptbahnhof – oder vielmehr dessen, was derzeit davon übrig ist – sind völlig verwaist. Kein einziger verirrter Reisender ist weit und breit zu sehen. Aus den Lautsprechern schallt unablässig dreisprachig – deutsch, englisch, französisch – die Ansage, dass wegen eines Streiks heute keine Züge fahren.

Zwei Männer mit orangenen Warnwesten mit der Aufschrift „DB Services“ halten eine Frau an, die durch den menschenleeren Ankunftsbereich radelt. „Ist doch überhaupt niemand hier“, sagt sie protestierend, aber die Bahnmitarbeiter wollen trotzdem, dass sie absteigt und ihr Rad schiebt. „Das ist unsere Aufgabe“, sagt einer der beiden.

Ein junger Mann läuft mit einem Trolley vorbei. Doch ein Fahrgast, der den Streik nicht mitbekommen hat? „Ich suche nur ein Schließfach“, schüttelt der junge Mann den Kopf. Dass gestreikt werde, wisse er. „Finde ich in Ordnung“, sagt er, „volles Verständnis.“

Die Imbissbuden am Ende der Bahnsteige haben die Rollläden geschlossen. Mit Ausnahme des Croissant-Backshops, in dessen Auslage sich Backware, belegte Brötchen und Baguettes türmen. Aber seit dem frühen Morgen, als drei Dutzend streikende Mitarbeiter der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ihre kleine Kundgebung hier an den Gleisen beendeten, war praktisch kein Kunde mehr da.

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Auch bei den Taxifahrern, die vor der Bahnhofsbaustelle warten, herrscht keine erhöhte Aktivität, obwohl in Stuttgart weder Nah- oder Fernverkehrszüge, weder S- und Regionalbahnen noch Straßenbahnen oder Busse fahren. Auch die Straßen sind für die Verhältnisse der Landeshauptstadt eher leer, die befürchteten zusätzlichen Staus im Berufsverkehr sind ausgeblieben, meldet die Polizei. Es scheint, dass an diesem Montag zuhause geblieben ist, wer nicht unbedingt nach Stuttgart musste.

Neben rund 7000 Beschäftigten der Dienstleistungsgesellschaft Verdi haben landesweit rund 3000 Mitarbeitende der EVG die Arbeit nieder- und damit Teile des öffentlichen Verkehrs lahmgelegt. Neben dem Schienen- und öffentlichen Nahverkehr ruht in Stuttgart auch der Flugverkehr – am Landesflughafen streiken neben öffentlichem Dienst auch Bodenverkehrsdienste und Sicherheitspersonal.

Mindestens 500 Euro mehr

Während die Angehörigen des öffentlichen Dienstes für die dritte Verhandlungsrunde an diesem Mittwoch nochmals den Druck erhöhen wollen, ihre Forderung von einem Lohnplus von mindestens 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro bei einer Laufzeit von nur zwölf Monaten durchzusetzen, verhandelt die EVG erst am 24. April wieder mit der Bahn und den rund 50 zugehörigen Bahn-Unternehmen. Sie fordern zwölf Prozent oder mindestens 650 Euro mehr Lohn und ebenfalls nur zwölf Monate Laufzeit.

Ein paar hundert Meter vom Bahnhof entfernt haben am Vormittag die Landesspitzen von DGB, Verdi und EVG im Gewerkschaftshaus zu einer Presserunde geladen, um ihre Positionen erneut klarzumachen. Dem DGB-Landesvorsitzenden Kai Burmeister stößt vor allem sauer auf, dass einzelne Stimmen aus der Wirtschaft das Streikrecht in Frage stellen oder einschränken wollen.

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„Wehret den Anfängen. Warnstreiks und Streiks sind Grundrecht und unser gutes Recht. Da bin ich sehr sensibel. Wer das einschränken will, der sägt an den Grundfesten der Demokratie“, sagt Burmeister und verweist darauf, dass Deutschland, was die Streiktage betreffe, im europäischen Vergleich bestenfalls im unteren Mittelfeld rangiere. „Wir gehen sehr verantwortlich mit dem Mittel Streik um“, rechtfertigt der DGB-Chef die Arbeitsniederlegung. „Aber für Arbeitgeber ist nie der richtige Zeitpunkt für eine Lohnerhöhung.“

„Da muss man sich nicht wundern“

Maike Schollenberger, Vize-Bezirksleiterin Südwest von Verdi, verweist darauf, dass der Einstiegslohn im öffentlichen Bereich im niedrigsten Sektor noch immer elf Cent pro Stunde unter dem Mindestlohn liege – „und nach dem Willen der Arbeitgeber 2024 und 2025 wohl erneut darunter“. Das sei ein „Armutszeugnis“, das für viele öffentlich Beschäftigte zugleich Armut bedeute, so Schollenberger. Insbesondere die Kommunen hätten das noch nicht verstanden.

Und auch Bodo Schwenn, der Stuttgarter EVG-Geschäftsstellenleiter, verweist darauf, dass die Beschäftigten nur knapp über dem Mindestlohn bezahlt würden. „Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Belegschaft auf Konfrontation geht.“

Im Eingangsbereich des Willi-Bleicher-Hauses sammeln sich derweil Streikende in Warnwesten, sie wollen noch ein bisschen Radau machen mit ihren Trillerpfeifen und ihre Transparente hochhalten. Nur: Auch hier ist kein Laufpublikum, der lautstarke Einsatz verhallt quasi ungehört. Ein paar Eisenbahner, die am frühen Morgen schon zwei Stunden im Bahnhof standen, sind auf den Sitzsäcken in der Lobby eingeschlafen. „Es war außer uns eigentlich niemand da heute Morgen“, berichtet EVG-Mitglied Cornelius Frommholz.

Cornelius Frommholz.
Cornelius Frommholz. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

„Fühlen uns veräppelt“

Der Stuttgarter ist Zugchef im DB-Fernverkehr und berichtet von der hohen Streikbereitschaft seiner Kollegen. „Viele sind sehr, sehr sauer, weil unsere Forderung nach zwölf Prozent Lohnerhöhung rundweg abgewiesen wird, die Bahn aber die Manager-Vergütung gerade erst um 14 Prozent erhöht hat “, sagt Frommholz. „Da fühlen wir uns veräppelt.“ Negative Rückmeldungen von Passanten seien bei ihm nicht angekommen.

Der Zugführer lässt keinen Zweifel daran, dass der Warnstreiktag am Montag nur ein Anfang ist, sollten die Arbeitgeber nichts Akzeptables vorlegen. Das ist auch für DGB-Landeschef Burmeister nicht verhandelbar. „Wir haben heute gezeigt, was möglich ist. Aber wir sind noch nicht am Ende unserer Möglichkeiten.“