Industrieatmosphäre auf 200 Quadratmetern. Penibel schichten sich Paletten unter hohen Decken, daneben Kartonagen. In der Etage darüber hocken Dosen, zu Hunderten sortiert und aufgeschichtet, fertig für Verpackung und Abtransport.

Gefriergetrocknetes Basilikum, Linsen, sogar Schokolade sammelt sich hier in dieser Lagerhalle in Rielasingen als Notvorrat für Menschen, die das Schlimmste befürchten. Krieg, die Inflation, mindestens aber den Versorgungsengpass. Denn aus diesem Kalkül macht ein Schweizer Unternehmen Profit.

SicherSatt sitzt in Wald in der Schweiz und in Rielasingen

Der Mann, der Menschen auf die Not vorbereitet, sitzt mit einem Lächeln am Tisch. Philipp Nater, 54, schlank, Arbeitsmontur, ist einer der Geschäftsführer der SicherSatt AG mit Hauptsitz in Wald im Kanton Zürich. Der Schweizer hat das Unternehmen mit aufgebaut. Die Idee dahinter aber geht auf einen anderen zurück: Stefan Schätti, ebenfalls aus der Schweiz.

Sortiert und aufgeschichtet: die Dosen von SicherSatt in der Lagerhalle in Rielasingen.
Sortiert und aufgeschichtet: die Dosen von SicherSatt in der Lagerhalle in Rielasingen. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Er sei ein Visionär, erzählt Philipp Nater über seinen Freund und Kollegen. Schätti kommt wie Nater aus dem Finanzbereich. Schon vor Jahren hätte er gesehen, dass die Geldpolitik unweigerlich in die Krise führen muss. Mit dieser Gewissheit wuchs in den Köpfen der beiden das Geschäftskonzept. Zu dritt – gemeinsam mit Reto Schätti, dem Bruder des Visionärs – fand SicherSatt im Jahr 2010 seinen Anfang. Zwei Jahre später ließ sich das Unternehmen auch auf deutscher Seite nieder.

Neu, das sagt auch Nater, ist das Prinzip des Notvorrats nicht. Im Grunde genommen basiert es auf Vorratskellern, die Menschen schon seit Jahren und Jahrhunderten bestücken. Holzregale mit Einmachgläsern und Birnen und Bohnen. Pfirsiche und Rotkohl. Sauerkraut. Diesen Vorrat aber musste man bisher noch umschlagen, sagt Philipp Nater. Die alte Marmelade aufbrauchen, bevor man neue einkocht. Ansonsten, erklärt der 54-Jährige, würde die alte Marmelade verderben.

SicherSatt hievt dieses Prinzip nun in die Neuzeit. Wie aber sieht so etwas aus? Ein Beispiel aus dem Menüplan für den Krisentag 29, beiliegend im Set „Notvorrat Classic“ für 320 Euro, 46.011 Kalorien für 30 Tage:

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Zum Frühstück gibt es ein Glas Milch – Vollmilchpulver und Wasser, nach Belieben verdünnt. Dazu acht Würfel NR-72, eine hochkalorische Notration mit Kaba-Geschmack. Mittags dann Risotto-Reis mit roten Linsen und Gemüsemischung. Abends sieht der Plan Kartoffelpüreepulver vor, mit Wasser und Kidneybohnen zu einer Suppe vermengt. Mindesthaltbarkeit der Zutaten: zehn Jahre.

SicherSatt füllt inzwischen mehr als 60 Produkte ab

Diese langhaltbaren Lebensmittel sind es auch, die SicherSatt auf den Markt gebracht habe, sagt Nater. Inzwischen füllt das Unternehmen mehr als 60 Produkte selbst ab. Dabei handelt es sich nicht um Astronautennahrung, wie viele denken, sondern um gefriergetrocknete Früchte, um Linsen, Dinkelschrot oder luftgetrocknetes Gemüse. Keine Konservierungsstoffe.

In Paketen – ohne Logo, ohne Firmenname – werden die Notvorräte von SicherSatt versandt.
In Paketen – ohne Logo, ohne Firmenname – werden die Notvorräte von SicherSatt versandt. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Weil Menschen lieber an einem Ort einkaufen, hat das Unternehmen sein Portfolio inzwischen um andere Produkte erweitert – Wasserfilter etwa, Gaskocher, aber auch Lampen, Messer und Mühlen. Hier offenbare sich die Achillesferse des Konzepts, sagt der 54-Jährige. Notkocher seien wegen Lieferengpässen derzeit schwer zu bekommen. Die Notvorräte hingegen würden zwar stark nachgefragt, lieferbar aber seien sie immer. „Wir müssen die Bestellungen nur abarbeiten, das Zusammenstellen benötigt am meisten Zeit.“

Je nach Auftragslage kümmern sich zwölf bis 15 Mitarbeiter darum. Sie füllen die Produkte per Hand ab und verpacken sie eigenständig. Nur das Verschließen der Dosen unter Schutzatmosphäre, das übernehmen Maschinen. In Paketen, auf Paletten – so gehen die Produkte dann raus. Allerdings ohne Logo, ohne Markennamen. SicherSatt will diskret sein. „Wir fahren inkognito. Niemand will seinen Notvorrat publik machen.“

Breit aufgestellt, auch mit Ratgebern: das Schweizer Unternehmen SicherSatt rüstet Menschen für die Not.
Breit aufgestellt, auch mit Ratgebern: das Schweizer Unternehmen SicherSatt rüstet Menschen für die Not. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Wer heute bei SicherSatt bestellt, muss mit Wartezeiten von bis zu vier Wochen rechnen. Das liegt mitunter am Coronavirus, das sich seit Pandemiebeginn in den Unternehmenszahlen abzeichnet.

Corona ließ die Umsatzzahlen von SicherSatt steigen

Es war im Februar 2020, ein Sonntag. „Das werde ich mein Leben nicht mehr vergessen“, meint Philipp Nater. Da war das Virus in Europa angekommen. Und Bestellungen rieselten ein. Erst eine, dann zwei, dann im Minutentakt. „Das war schon sehr cool.“

Wellenartig pendelte sich der Umsatz auf immer höheren Ebenen ein. Seit Kriegsbeginn aber hat das Unternehmen eine andere, eine neue Dimension erreicht. Konkrete Zahlen will Nater nicht nennen. Nur soviel: Während SicherSatt im vergangenen Jahr mit bis zu 80 Bestellungen an Spitzentagen rechnen konnte, sind es mittlerweile bis zu 1000.

Auch langhaltbares Wasser können Kunden von SicherSatt ordern.
Auch langhaltbares Wasser können Kunden von SicherSatt ordern. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Die Vorbereitung auf Katastrophen, das entspricht also dem apokalyptischen Zeitgeist. Wer diese Leute sind, die bei ihm einkaufen, kann der Geschäftsführer zumindest mit Blick auf deren Biografien aber nicht genau sagen.

Das Alter sei divers, meint er, Bestellungen kämen von 80-Jährigen wie von Menschen in den 20ern, Männer und Frauen, vor allem aus der Schweiz, weniger aus Deutschland, vereinzelt aus Österreich und dem europäischen Umland. „Zu 99 Prozent sind es Privatpersonen.“

Für Philipp Nater ist SicherSatt eine Berufung

Der 54-Jährige weiß, dass der Verkauf von gefriergetrockneten Erbsen nach Bunker-Panik klingt. Er wählt einen sehr ambitionierten Vergleich: „Es ist ein bisschen wie Noah, als er die Arche in der Wüste gebaut hat.“ Ähnlich habe man auch SicherSatt vor zehn Jahren die Spinnerei attestiert. Im alttestamentarischen Fall Noahs kam die Flut. Und damit die Not.

Philipp Nater ist Optimist – seine Arbeit könnte Anderes vermuten lassen.
Philipp Nater ist Optimist – seine Arbeit könnte Anderes vermuten lassen. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Macht SicherSatt ein Geschäft aus der Angst der Menschen? Für ihn sei das Unternehmen eine Berufung, sagt Nater, keine Geschäftsidee. Man wolle die Menschen aufklären, ihnen zeigen, was passieren wird. Dass schon jetzt Lieferketten zerreißen, technische Teile fehlen. Öl und Mehl. Klopapier. „Wir wollen den Menschen keine Angst machen. Wir wollen sie vorbereiten.“

Philipp Nater berät sie am Telefon. Sagt ihnen, dass sie so viel Notvorrat aufrüsten sollen, wie sie können. Minimum drei Monate. „Man muss bedenken, dass im Fall einer Krise Lebensmittel wertiger als Geld sein können.“ Er selbst hat für seinen Notvorrat Räume angemietet.

Einer, der sich mit so etwas beschäftigt – mit der Katastrophe – der sollte Pessimist sein, könnte man glauben. Philipp Nater aber ist nicht pessimistisch. Er habe großes Vertrauen, betont der mehrfache Familienvater. Dass die Krise kommen muss, wie der Herbst. Danach erst kann es wieder Frühling geben.