Markus L. verschanzt sich in seinem Wohnzimmer, als die Spezialkräfte eintreffen. Dann liefert er sich einen Schusswechsel mit den Beamten. Einem Polizisten durchschießt er den Arm, später ergibt er sich. Am 22. März durchsuchte die Polizei 19 Personen in Deutschland und der Schweiz mit Verbindungen zu einem Reichsbürger-Netzwerk, darunter auch Zeugen in Singen und in Reutlingen. Der Reutlinger Zeuge ist Markus L.

Dem mutmaßlichen Schützen attestiert Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) nach einem Tatortbesuch ein „perverses Waffenarsenal“ und fordert ein schärferes Waffenrecht. Bei den illegalen Waffen, die L. wohl besaß, hätte das wenig geholfen – einige waren aber auch erlaubt. Wie kam Markus L. an seine vielen legalen Waffen?

Wie viele legale Waffen besaß Markus L.?

In den Medienberichten nach der Razzia war meist von 22 erlaubten Schusswaffen im Besitz von Markus L. die Rede. Dem SÜDKURIER liegen nun exklusiv detaillierte Informationen über dessen legales Waffenarsenal vor. L. besaß laut der zuständigen Reutlinger Ordnungsbehörde 14 Schusswaffen und 15 Waffenteile wie sogenannte Wechselsysteme, also zum Beispiel andere Läufe. Unter den vollständigen Waffen: Sieben Büchsen, zwei Flinten, drei Pistolen und zwei Revolver.

Selbst für einen ambitionierten Hobbyschützen sind das ziemlich viele. Das Waffengesetz geht von einem Regelbedarf von zwei Kurz- und drei Langwaffen aus. Normalerweise sollen Sportschützen nur eine Waffe je Disziplin besitzen, mehr bekommen eigentlich nur Athleten im professionellen Bereich, die zum Beispiel an nationalen Meisterschaften teilnehmen.

Hat Markus L. einen Jagdschein?

Davon kann bei L. keine Rede sein – er taucht in keinen Ergebnislisten großer Wettkämpfe auf. Aus den Resultaten verschiedener Kreismeisterschaften und vergleichbaren Wettbewerben geht hervor, dass er wohl hauptsächlich fünf Disziplinen geschossen hat: Pistole 9mm, Revolver .357 Magnum, Pistole .45 APC sowie Selbstladergewehr mit und ohne Zielfernrohr. Ein sportliches Bedürfnis für sieben Büchsen und zwei Flinten lässt sich daraus nicht ableiten.

Jäger ist Markus L. auch nicht, wie das Reutlinger Ordnungsamt bestätigt. Ein Jagdschein hätte weitere legale Waffen rechtfertigen können.

Schlupflöcher für legale Waffen

Es gibt aber Schlupflöcher, um legal an mehr Waffen zu kommen. Auf eines macht ein Funktionär eines Sportschützenverbandes den SÜDKURIER hinter vorgehaltener Hand aufmerksam: Schützen könnten sich bei mehreren der insgesamt neun Sportverbände Bedürfnisse für gleiche Waffentypen ausstellen lassen und doppelte Erlaubnisse kriegen.

Laut der Reutlinger Waffenbehörde hat Markus L. Bedürfnisbescheinigungen von zwei verschiedenen Schützenverbänden, dem Deutschen Schützenbund und dem Bund deutscher Sportschützen. Beide weisen auf Nachfrage darauf hin, dass eine Überprüfung von Bescheinigungen anderer Verbände weder vorgesehen noch möglich sei. Die Verbände haben schlicht keine Berechtigung dafür und keine Daten über weitere Mitgliedschaften ihrer Mitglieder.

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So sehen es auch die Gerichte: Es sei nicht Aufgabe der Verbände, die Rechtmäßigkeit eines schießsportlichen Bedürfnisses zu kontrollieren, Waffenbehörden sollen „bei Zweifeln im Einzelfall die Bedürfnisvoraussetzungen eigenständig überprüfen“, so ein Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichts von 2021.

Gibt es eine Lücke im System?

Dabei tritt eine mögliche Lücke des Systems zutage: Die Sportverbände entscheiden, wem sie überhaupt ein Bedürfnis für eine eigene Waffe bescheinigen, das aber nur behördenseitig genehmigt werden kann. Dieses Bedürfnis besagt, dass der jeweilige Schütze die Waffe zur Ausübung seines Sports braucht. In der Praxis muss jede Waffenbehörde also auch ein Stück weit auf die Glaubwürdigkeit solcher Bedürfnisse und die Verbände auf ihre Mitglieder vertrauen, dass diese die Sportbünde nicht gegeneinander ausspielen.

Die Rechtmäßigkeit von Waffenbesitz zu überprüfen, obliegt aber schlussendlich allein den Behörden. Auf die Frage, ob und wie das Ordnungsamt Reutlingen solche sich überschneidenden Waffenbesitzanträge prüft, äußert sich die Stadt auf Anfrage nicht konkret.

„Wie bekomme ich mehr Kurzwaffen?“

In der Szene ist dieses Schlupfloch keineswegs unbekannt: Auf Internetforen oder Online-Waffenmagazinen wird ausschweifend darüber philosophiert, wie die eigene Sammlung über den Regelbedarf hinaus vergrößert werden kann. Der Blogger „tactical-dad“ erörtert die Frage: „Wie bekomme ich mehr Kurzwaffen auf meine WBK (Waffenbesitzkarte, d. Red.) als die zwei Stück des Regelbedürfnisses?“

Nach eigenen Angaben hat es jener Bericht zu einem der meistgelesenen auf dem Blog gebracht. Anderen Schützen sind solche Methoden ein Dorn im Auge. Der Verbandsfunktionär sagt, ihm wäre es recht, wenn solche Möglichkeiten abgeschafft würden.

Spielraum Wechselsysteme

Auch ein weiterer Spielraum wird gerne genutzt. Auf der Webseite ballerkalle.de findet sich ein Beitrag mit dem Titel „Wettstreit der Wechselwunder“, der seinen Inhalt wie folgt ankündigt: „Im Normalfall dürfen deutsche Sportschützen nur zwei Kurzwaffen erwerben. Was liegt also näher, als eine Großkaliber-Sportpistole mit passendem Wechselsystem zu kaufen? Denn trotz der kurzgehaltenen Waffenrechtsleine verschenkt man so auf der grünen Waffenbesitzkarte keinen kostbaren Eintragungsplatz für andere Objekte der Begierde und kann dennoch verschiedene Kaliber in der Praxis einsetzen.“

Wie die Liste von Markus L.s Waffen zeigt: Wechselsysteme waren ihm nicht fremd. Mit seinen Wechselläufen konnte er mehrere Waffen desselben Typs zusammensetzen.

Auf die Frage, wie der Umfang von L.s Waffensammlung zu erklären ist, gibt es unter Verweis auf das laufende Verfahren keine Antwort aus Reutlingen. Markus L. wurde wegen versuchten Mordes verhaftet. Laut Generalbundesanwaltschaft dauern die Ermittlungen an.