Sportschießen und Schützentradition stehen in Deutschland unter Dauerbeobachtung. Es verwundert wenig, dass Schießsportler zurückhaltend sind, wenn sie öffentlich dargestellt werden sollen: „Wir sind zunächst einmal überrascht, dass die Presse uns sachlich und unvoreingenommen darstellen möchte“, schreibt ein Verein auf Anfrage. Man bleibe skeptisch.

Seit dem Attentat in Hamburg, bei dem Philipp F. sieben Gemeindemitglieder der Zeugen Jehovas mit seiner halbautomatischen Sportpistole erschoss, wird in Deutschland wieder über dieses Hobby und seine rechtlichen Voraussetzungen diskutiert. Noch mehr Fahrt nimmt das Thema auf, seit der mutmaßliche Reichsbürger Markus L. in Reutlingen auf einen Polizisten geschossen hat. Beide waren Sportschützen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will das Waffenrecht nun weiter schärfen. Die Forderungen reichen von anderer Waffenlagerung bis hin zu regelmäßigen verpflichtenden psychologischen Gutachten für alle Waffenbesitzer. Aber wie kommen Sportschützen in Deutschland überhaupt an ihre Waffen?

Eine Neun-Millimeter-Patrone, wie sie auch die Polizei verwendet.
Eine Neun-Millimeter-Patrone, wie sie auch die Polizei verwendet. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Manche Sportschützen klingen wie Juristen

Schützen wissen um ihren Ruf in der Gesellschaft. Bei der Schützengesellschaft Konstanz ist sogar alkoholfreies Bier untersagt, „weil das von Außen nicht erkennbar ist und einen falschen Eindruck erwecken kann“, sagt Hans Bächle, der Schützenmeister des Vereins. Bächle klingt die meiste Zeit wie ein Jurist, er jongliert mit allerhand Paragrafen. Aber auch die anderen Schützen hier sind sattelfest in ihren Rechten und Pflichten.

Vor dem ersten Kontakt mit einer Waffe steht die Vereinsmitgliedschaft. Die ist schon an Bedingungen geknüpft. Bei der SG Singen 04 zum Beispiel gilt ein halbes Jahr Probezeit – wer nicht aktiv am Vereinsleben teilnimmt, wird nicht aufgenommen. Das stellt eine gewisse soziale Kontrolle untereinander sicher. Die Konstanzer Schützen verlangen ein Führungszeugnis für die Mitgliedschaft. Einige disqualifizierten sich aber ohnehin selbst, berichtet Bächle: „Manchmal fragt jemand, ob er bei uns mal mit einem Maschinengewehr schießen kann. Das geht natürlich nicht, das hat mit unserem Sport auch nichts zu tun.“

Links die 50-Meter-Bahn, rechts und weit entfernt die 100 Meter.
Links die 50-Meter-Bahn, rechts und weit entfernt die 100 Meter. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Der Psychologe Ralf Brinkmann, der waffenrechtliche Gutachten erstellt und selbst Schütze ist, bestätigt das: „Man merkt sofort, wenn einer zweimal rumballert und dann gleich eine Waffe will.“ Einmal, erzählt Hans Bächle, sei ein Ehepaar ins Konstanzer Schützenhaus gekommen. „Die wollten Schießen lernen, weil angeblich bald der Bürgerkrieg ausbräche. Die haben wir natürlich weggeschickt.“

Ohne regelmäßiges Training keine eigene Waffe

Um überhaupt für eine eigene Waffe in Frage zu kommen, müssen Schützen mindestens zwölf Monate in einem Verein gewesen sein. In dieser Zeit sind wenigstens 18 Trainingseinheiten zu absolvieren, deren Umfang in der Sportordnung festgehalten ist. Eine kleine Einheit zum Beispiel umfasst 30 Schuss in verschiedenen Disziplinen, eine große 60.

All diese Einheiten werden beaufsichtigt, wie sowieso jeder Schuss am Schießstand. Es muss immer eine Aufsichtsperson dabei sein. Außerdem wird jedes Training in einem sogenannten Schießbuch dokumentiert. Dabei wird die Zeit am Stand teilweise sekundengenau festgehalten, zudem Daten zur Waffe und der Aufsichtsperson. Wer diese Vorgaben nicht erfüllt, bekommt vom Schützenverband kein „Bedürfnis zum Erwerb einer Waffe“ bestätigt.

Wann ist jemand absolut unzuverlässig?

Für die Ausstellung dieses Dokuments muss eine Waffensachkundeprüfung bestanden werden – dabei werden 100 von 600 möglichen Fragen zu rechtlichen, technischen und sportlichen Themen gestellt. 75 davon müssen richtig beantwortet werden, bei 65 Punkten oder mehr kann mündlich nachgeprüft werden. „Diese Prüfung müssen alle ablegen, die irgendwie mit Schusswaffen zu tun haben; egal ob aus beruflichen oder sportlichen Gründen oder als Sammler“, erklärt Klaus Bautz, Vizepräsident des Südbadischen Sportschützenverbands.

Klaus Bautz Vizepräsident des Südbadischen Sportschützenverbandes und Mitglied der SG Singen 04.
Klaus Bautz Vizepräsident des Südbadischen Sportschützenverbandes und Mitglied der SG Singen 04. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Wer diese Unterlagen vorbringen kann, dessen Antrag wird dann von der Waffenbehörde geprüft. Im Landkreis Konstanz ist dafür seit über zwei Jahrzehnten Gerhard Paschotta zuständig. Er erklärt: „Wir prüfen dann die Zuverlässigkeit.“ Dazu gehört eine Abfrage bei Polizei, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz.

Wer sich dabei als nicht zuverlässig herausstellt, kann das auf zwei verschiedene Arten sein: Absolut unzuverlässig können zum Beispiel verurteilte Verbrecher sein.

Andererseits gibt es die sogenannte Regelunzuverlässigkeit, die gerade auch im Kontext der Reichsbürger diskutiert wird. Denn wer Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation ist, kann, muss aber nicht als unzuverlässig gelten.

Jedenfalls können Betroffene ihrer Regelunzuverlässigkeit widersprechen und trotzdem eine Waffenerlaubnis bekommen. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) forderte nach der Razzia mit Schusswechsel, Mitglieder solcher Organisationen komplett vom Waffenbesitz auszuschließen.

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Bei positivem Bescheid dürfen Schützen dann Waffen kaufen und besitzen; allerdings nur eine für jede Disziplin. „Für zwei Waffen der gleichen Art gibt es keinen Grund und somit keine Rechtfertigung“, sagt Bautz. Aber auch wer als zuverlässig eingestuft wird, muss weiterhin regelmäßige Trainings nachweisen. Das wird erst nach drei, dann alle fünf Jahre überprüft. Wurde nicht ausreichend häufig geschossen, muss die Waffe verkauft oder vernichtet werden. Der Gebrauchtmarkt sei allerdings schlecht, sagen die Schützen. So werden viele Waffen vernichtet und zu Gullideckeln.

Wer muss ein psychologisches Gutachten erstellen lassen?

Eine Besonderheit gilt für Schützen unter 25, die Großkaliber schießen wollen und für all jene, die sich als Waffenbesitzer unzuverlässig gezeigt haben: Sie müssen ein waffenrechtliches Gutachten von sich erstellen lassen, um wieder oder überhaupt entsprechende Waffen besitzen zu dürfen.

Kleine Waffenkunde

Ein solcher Test kann zum Beispiel beim Tüv absolviert werden, beim Gesundheitsamt oder speziell ausgebildeten Psychologen wie Ralf Brinkmann. Der erklärt, wie so ein Gutachten erstellt wird: „Wir haben drei Quellen für unsere Prognose. Zum einen die Akten, aus denen etwa hervorgeht, welche Unzuverlässigkeiten sich jemand hat zu Schulden kommen lassen. Außerdem führen wir ein Gespräch, ein klinisches Interview. Und es werden verschiedene Stress- und Persönlichkeitstests am Computer absolviert.“

Darüber ergebe sich dann ein punktebasiertes Bild über die Sozialverträglichkeit einer Person, über ihre Verlässlichkeit und über ihren Umgang mit Stress. Über sogenannte Lügenskalen lasse sich auch präzise ermitteln, ob jemand bewusst versucht zu täuschen.

Die Unter-25-Jährigen würden etwa zwei Stunden getestet, so Brinkmann. Bei Waffenbesitzern, die unzuverlässig aufgefallen sind, könne so eine Begutachtung auch mal drei bis fünf Stunden dauern, manchmal seien mehrere Termine nötig. Das geht ins Geld, solche Gutachten können schnell mehrere hundert Euro kosten.

Können verpflichtende Gutachten eine Lösung sein?

Auch diese psychologischen Gutachten sind Gegenstand aktueller Diskussionen. Befürworter eines schärferen Waffenrechts fordern verpflichtende und regelmäßige psychologische Gutachten aller Waffenbesitzer, um leichter psychisch labile unter ihnen zu identifizieren, wie es der Hamburger Attentäter Philipp F. wohl war.

Brinkmann und auch Paschotta von der Waffenbehörde weisen allerdings darauf hin, dass entsprechend geschulte Gutachter rar gesät sind. Die Verantwortung für den einzelnen sei einfach sehr groß, sagt Psychologe Brinkmann. SÜDKURIER-Recherchen bestätigen das. Tüv und Gesundheitsamt haben nur begrenzte Kapazitäten und andere Gutachter sind schwer zu finden.

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Zweifel an der persönlichen Eignung eines Waffenbesitzers können durch vieles ausgelöst werden. Alkohol- und Drogenprobleme gehören dazu, aber auch einmalige Nachlässigkeiten. Gutachter Brinkmann erzählt von einem Jäger, der nach dem Schießtraining eine heruntergefallene Patrone erst spät bemerkt und dann in die Hosentasche gesteckt hat – dort vergessen blieb sie in der Hose bis zur Sicherheitskontrolle am Flughafen am nächsten Tag.

Darauf folgte ein Einsatz der Bundespolizei und das komplette Verfahren – die Behörden reagieren in solchen Fällen sehr schnell, meint Brinkmann. In der Bewertung aber eher großzügig, wie aus Erzählungen von Gerhard Paschotta hervorgeht.

Nachholbedarf bei den Behörden?

Die Sportschützen selbst sehen Nachholbedarf am ehesten bei den Behörden und ihrer personellen Ausstattung. Die ARD-Fernsehsendung Report Mainz rechnete kürzlich vor, dass die Berliner Waffenbehörde 360 Jahre brauchen würde, um alle Waffenbesitzer der Stadt zu kontrollieren. In Baden-Württemberg würde es demnach 19 Jahre dauern.

Vom deutschen Waffenrecht – es gilt als eines der schärfsten der Welt – fühlen sich die Schützen jedenfalls ausreichend gegängelt. Immerhin müssten sie regelmäßige Eingriffe in das Grundrecht auf die Unversehrtheit der Wohnung ertragen, sagt der Konstanzer Oberschützenmeister Jörg Wolff. „Behörden können unsere Waffenlagerung zuhause unangekündigt überprüfen.“

Oberschützenmeister Jörg Wolff (links) und Schützenmeister Hans Bächle von der SG Konstanz.
Oberschützenmeister Jörg Wolff (links) und Schützenmeister Hans Bächle von der SG Konstanz. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Wolff zeigt den Waffentresor am Schießstand, gut gesichert hinter schwerer Tür, hier werden besser keine Fotos gemacht. Die Sportschützen wissen, wie sehr sie unter Beobachtung stehen. Umso bemühter sind sie, jedem möglichen Verdacht vorzubeugen – siehe Trinkverbot für alkoholfreies Bier. Wenn doch mal etwas vorfällt, zeigen sie sich rigoros. Einmal habe ein Schütze am Schießstand nicht seine Erlaubnis vorzeigen wollen, „dann haben wir sofort die Polizei gerufen und dann war der weg“, sagt Schützenmeister Bächle.

Untereinander wirken die Schützen durchaus sehr verschieden, so viel Trennschärfe geht in aufgeheizten Debatten über das Waffenrecht meist verloren. Was sie am ehesten zu einen scheint: Das sind regelbewusste Menschen, die sehr penibel darauf achten, ihre Passion nicht zu beschädigen. Wie schnell das gehen kann, war ihnen schon vor Hamburg und Reutlingen klar.