Es war ein kleiner Corona-Demonstrationszug von maximal 60 Personen, aber mit großer Wirkung und Brisanz: Am 13. Februar versuchte eine Menschenmenge im beschaulichen Sigmaringer Ortsteil Laiz vor dem Wohnhaus von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) unangemeldet aufzumarschieren – wohl, um ihn wegen der landesweiten Corona-Maßnahmen einzuschüchtern.
Die über Parteigrenzen hinweg scharf kritisierte Aktion setzte auch Kretschmanns Ehefrau Gerlinde zu, sie sagte danach, sich 'bedrängt' gefühlt zu haben. Ihr Ehemann ergänzte, die Demonstranten stünden „mit der Demokratie auf Kriegsfuß“, Innenminister Thomas Strobl sprach von „Psycho-Terror“.
„Bei jedem anderen hätte es 3000 Euro Strafe gegeben“
Mittendrin im Pulk vor der Polizeisperre war eine imposante Erscheinung, wie Fotos belegen: Ein zwei Meter großer Mann mit einem drei Meter hohen Holzkreuz und zwei riesigen Cane Corso-Hunden. Er heißt Udo Schulz, ist 52 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Laiz.

Nur eine Woche nach dem Vorfall verurteilt ihn ein Gericht in einem Schnellverfahren zu einer stattlichen Strafe: 150 Tagessätze zu je 200 Euro sollte er bezahlen, in Summe 30.000 Euro. Sein Verteidiger Tomislav Duzel aus Konstanz sagt: „Bei jedem anderen Haus hätte es nicht 30.000, sondern 3000 Euro Geldstrafe gegeben. Die Vorwürfe sind für mich vollkommen absurd, er ist seiner inneren Stimme gefolgt.“
Liegt der Anwalt mit dieser Einschätzung richtig? Soll an Schulz gar ein Exempel statuiert werden, um die Härte des Rechtsstaats zu demonstrieren, während andere Corona-Demonstranten ungeschoren davon kommen? Diese Fragen gilt es jetzt zu klären.
Gemälde von Jesus Christus
Aber warum marschierte Udo Schulz überhaupt in Laiz mit? Der SÜDKURIER trifft ihn in seinem Haus im benachbarten Bingen, wo auch seine Firma ihren Sitz hat. Das Gespräch mit ihm verläuft freundlich, seine Beweggründe lassen sich allerdings nicht einfach nachvollziehen. Jesus habe zu ihm gesprochen und ihn ein Holzkreuz basteln lassen. Der Weg, den er dann nach Laiz genommen hat, war nicht bewusst gewählt. Er sei gelenkt worden. Immerhin hatten weltliche Polizisten seine Personalien festgestellt. Er war wegen seiner besonderen Erscheinung einfach zu auffällig.
Ganz ungewöhnlich ist eine angeblich religiös motivierte Fügung bei Coronagegnern nicht. Immer wieder wurde über die besondere Mischung auch aus Esoterikern und religiösen Fundamentalisten berichtet, die bei den Querdenkern zusammenkommen.
Für den Gesprächstermin hat Udo Schulz das selbstgebastelte, überdimensionale Holzkreuz noch einmal hervorgeholt. Es lehnt in einer Ecke, gegenüber hängt ein riesiges Gemälde von Jesus Christus, daneben steht ein langer Stab mit einem Herz drauf. Sein Mandant sei tiefreligiös, ein überzeugter Christ, sagt Anwalt Duzel.
Einen Tag nach dem ersten Aufmarsch nahe dem Laizer Wohnhaus des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, am 14. Februar, fand erneut eine Corona-Demo dort statt – diesmal mit etwa 350 Personen, aber ohne Udo Schulz, wie er angibt. Obwohl sich weder Polizei noch Staatsanwaltschaft dazu äußern wollen, dürfte dies nach SÜDKURIER-Recherchen in Akten den Tatsachen entsprechen.
Polizei nimmt Geldbörse, Handy und PC mit
Zwei Tage später, am 15. Februar, soll die Polizei laut Schulz eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt haben. „Ich hab sie gefragt, was sie suchen, aber die Beamten haben nicht gesagt, warum sie hier sind“, sagt der Bingener. Zwei Tage sei er mittellos gewesen, weil die Polizei seine Geldbörse, sein Handy und seinen Computer mitgenommen habe.
Am 17. Februar habe er seine Sachen wiederbekommen. Ein paar Stunden später sei erneut die Polizei vorgefahren und habe ihm einen Eilantrag zugestellt mit einem Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht Sigmaringen für den 21. Februar.
An diesem Tag warteten im Gerichtssaal ein halbes Dutzend Journalisten und zwei Fotografen, die sich schon Stunden vor der Verhandlung in Stellung gebracht hatten, auf den angeklagten Udo Schulz – allerdings vergeblich. Aus gesundheitlichen Gründen habe er nicht teilnehmen können.
Die Richterin verurteilte ihn in Abwesenheit zu den 150 Tagessätzen zu je 200 Euro. „Für das, dass ich in der Ortschaft spazieren gehe, in der ich geboren wurde“, sagt Schulz später etwas verärgert.
Sein Verteidiger Tomislav Duzel legte Einspruch gegen das Urteil ein, weshalb es nun am 25. April erneut zu einer Verhandlung vor dem Sigmaringer Amtsgericht kommen wird. „Ich komme, um mit meinem Mandaten zu kämpfen, bis dass der Freispruch in unseren Händen ist“, kündigt der Konstanzer Jurist gegenüber dem SÜDKURIER an.
Schulz sei wegen der Polizeipräsenz davon ausgegangen, dass alles ordnungsgemäß ablaufe, so Duzel. „Da mein Mandant an keinem Chatverlauf (zur nicht angemeldeten Versammlung, Anm.) teilgenommen hat und auch technisch nicht dazu in der Lage gewesen wäre, kann keine Rede davon sein, dass er Leiter oder Veranstalter der Versammlung gewesen ist.“
Für den Strafverteidiger ist es hingegen möglich, dass sein Mandant aus psychologischer Sicht den Eindruck einer Führungspersönlichkeit erweckt habe. „Durch das Holzkreuz ist bei Polizei der Eindruck entstanden, dass er der Versammlungsleiter wäre. Ihm kommt aber keine große Rolle zu“, so Duzel. Auch Schulz sagt: „Ich bin allein für mich hin, habe mit niemanden kommuniziert, besitze nicht einmal Telegram.“
Ankläger: „Null politischer Druck“
Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Hechingen widerspricht derweil dem Vorwurf des Verteidigers, dass bei vergleichbaren Vorfällen an anderen Orten die Strafe niedriger ausgefallen würde.
Die Höhe der Geldstrafe beruhe auf einer Schätzung über das Einkommen des angeklagten Unternehmers, Schulz vertreibt Solarien. „Bei jemandem, der ähnliche Schätzverhältnisse auf dem Papier hat, wäre die Strafe ähnlich ausgefallen. Aber natürlich spielt es auch eine Rolle, bei wem man vorbeigeht“, sagt der Staatsanwalt.
In anderen Fällen 40 und 60 Tagessätze
Vergleichbar argumentiert auch der Direktor des Amtsgerichts Sigmaringen, Christoph Freudenreich: „Wenn er (Udo Schulz, Anm.) nicht vermögend wäre, dann könnte statt 200 Euro auch ein Tagessatz von fünf oder zehn Euro festgesetzt werden – dann würde das nicht so eine Öffentlichkeitswirkung entfalten“, sagt er dem SÜDKURIER.
Laut seinen Angaben habe es am Amtsgericht Sigmaringen im vergangenen halben Jahr zwei weitere Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz in Zusammenhang mit Corona-Demos gegeben. Die beiden Angeklagten seien zu einer Geldstrafe von 40 bzw. 60 Tagessätzen verurteilt worden, bei Udo Schulz waren es 150. „Die öffentliche Wahrnehmung und Bedeutung, dass es sich um einen Aufzug vor dem Privathaus des Ministerpräsidenten gehandelt hat, kann da sicher mit reinspielen. Aber jeder Fall ist einzeln zu würdigen und nicht miteinander vergleichbar“, sagt Freudenreich.
„Jesus sprach zu mir“
Schulz‘ lange Version zur politisch brisanten Corona-Demo ist eine ganz eigene. „Es ging am Freitag (zwei Tage vor der Corona-Demo in Laiz, Anm.) los, als Jesus beim Spazierengehen zu mir sprach: ‚Geh dort hoch in den Wald mit deinen Hunden, lauf und such!‘“, erzählt Schulz ohne eine Miene zu verziehen. Dort habe er zwei lange Haselnussstöcke gefunden.
„Am Samstag habe ich angefangen, daraus dieses Kreuz zu schnitzen“ – erklärt der 52-Jährige und deutet in die Ecke auf sein Werk. „Zunächst wusste ich nicht warum. Jetzt weiß ich, dass ich die Last der Menschheit mittragen darf“, sagt Schulz. Das nächste, das er geschnitzt habe, sei der riesige Stab mit dem Herzen gewesen, und zeigt zur gegenüberliegenden Wand.

„Impuls von Gott“
Am Sonntag, dem Tag der Corona-Demo in Laiz, habe er das Holzkreuz in seinen Mercedes-Bus geworfen und sei von 10 bis 12 Uhr am Laizer Baggersee mit seinen beiden Hunden spazieren gegangen, wo er auch eine Familie getroffen habe. Am Nachmittag habe er dann „einen Impuls von oben“ bekommen, erneut nach Laiz zu fahren.

Erst am Parkplatz habe er eine Menschenansammlung bemerkt. Er habe weiter weg geparkt und sei zu der Gruppe gegangen und gefragt, wo sie herkommen. „Sie waren aus Friedrichshafen, Konstanz und vielen weiteren Orten. Ich habe keinen Menschen gekannt“, sagt der Unternehmer.
Dann sei er seinen Weg gelaufen, die sogenannten Spaziergänger ihren. „Die Wege waren so abgeschnitten, dass man sich immer wieder getroffen hat“, meint Schulz. Er gibt jedoch auch an, in diesem Jahr bereits an fünf oder sechs sogenannten Corona-“Spaziergängen“ im Zentrum von Sigmaringen teilgenommen zu haben, in den Jahren zuvor laut eigenen Angaben jedoch nie.
Konfrontiert mit Kretschmanns Aussage, dass die Demonstranten vor seinem Haus mit der Demokratie auf Kriegsfuß stünden, sagt Schulz, absolut für die Demokratie zu sein. „Aus Dialog passiert ein Zusammenrücken“, sagt er, aber die Coronapolitik würde die Menschheit spalten.
„Kretschmann ist in den 70er-Jahren auch auf die Straße gegangen, um zu zeigen, dass draußen nicht alles richtig laufe. Jeder soll und darf seine Meinung haben, egal ob sich jemand impfen lässt oder nicht“, so Schulz.
Über seinen eigenen Impfstatus will er daraufhin keine Auskunft geben, weil er nicht wolle, dass die zwei Lager weiter aufklaffen. „Sie sollen wieder zueinander finden“, sagt er. Dass es das Coronavirus gibt, wie manche Teilnehmer von sogenannten „Spaziergängen“ bezweifeln, steht für ihn außer Zweifel.
Er glaubt, es habe ein Schuldiger für die politisch brisante Corona-Demo gefunden werden müssen. „Dann hat man den größten rausgesucht. Ich bin 2,02 Meter. Was soll ich diesem Mann (Winfried Kretschmann, Anm.) tun? Ich bin der sanftmütigste Mensch dieser Welt, friedliebend und lehne jegliche Form von Gewalt ab“, sagt Schulz. Er betont, persönlich absolut nichts gegen Winfried Kretschmann zu haben, dessen Frau Gerlinde sogar die Lehrerin seiner Kinder gewesen sei.
Gab es politischen Druck?
Ob es möglich sei, dass sich die Behörden geirrt haben könnten, als sie Udo Schulz wegen des riesigen Holzkreuzes als Versammlungsleiter identifizierten? „Das wird vor Gericht beurteilt, wir führen hier keine Hauptverhandlung“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hechingen.
Zur Frage, ob es politischen Druck gegeben habe, um ein besonders abschreckendes Exempel zu statuieren, sagt der Staatsanwalt: „Es gibt null politischen Druck, die Strafe ist eine Reaktion auf das Verhalten eines Tatverdächtigen. Da fallen alle Umstände eines Einzelfalls rein wie in jedem anderen Fall auch“, so der Strafankläger aus Hechingen. Er gibt an, die Aussagen und Erklärungen von Schulz nicht zu kennen.
Der SÜDKURIER wird am 25. April bei der Verhandlung vor Ort in Sigmaringen dabei sein.