Die Luft ist zum Schneiden im großen Saal des Konstanzer Landgerichts an diesem frühen Dienstagnachmittag. Das liegt einerseits daran, dass es stickig ist; es ist so voll, dass Stühle zugestellt werden mussten. Andererseits warten alle gebannt.

Sie warten gebannt auf das Urteil im Prozess um die Vermisste Jasmin M., das der Vorsitzende Richter Arno Hornstein gleich verkünden wird.

Manche atmen auf

Als die Kammer den Saal betritt, stehen wie üblich alle auf. Dann setzen sie sich. Aber nur kurz, Hornstein hält eine technische Vorrede, sie dauert wahrscheinlich nicht einmal eine ganze Minute. Der ganze Saal erhebt sich wieder, es ergeht das Urteil: Robert S. soll achteinhalb Jahre ins Gefängnis. Im Saal atmen manche auf. S. verzieht keine Miene. Seine Anwälte wirken konsterniert.

Der Körperverletzung mit Todesfolge sei er schuldig, erklärt Richter Hornstein. Zudem der Verstöße gegen das Waffenrecht, sie hatte S. zuvor bereits eingeräumt. Und auch eine frühere Körperverletzung sieht das Gericht als erwiesen an.

Das Gericht hält die Vermisste für tot

„Wir haben oft schwere Entscheidungen zu treffen“, beginnt Hornstein mit der Urteilsbegründung. „Nach menschlichem Ermessen geht die Kammer davon aus, dass Jasmin M. tot ist.“

Der Prozess sei in jeglicher Hinsicht eine Herausforderung gewesen, fährt er fort. „Nicht nur für die Kammer, gerade auch für Sie“, richtet er sich an die Mutter, „die Sie sich Aufklärung erhofft hatten und nicht bekommen haben.“ Bis heute fehlt von Jasmin M. jede Spur.

Deutliche Worte an Robert S.

Es folgt eine komprimierte, aber detaillierte Darstellung des Sachverhalts, den die Kammer ihrem Urteil zugrunde gelegt hat. Wo immer es Unsicherheiten gibt, Beweislücken, Skepsis – macht Hornstein sie transparent. Die Richter und Schöffen müssen sich an das Belastbare halten.

Mehr als ein Mal richtet Hornstein sich auch direkt an Robert S.: „Sie hingegen haben überhaupt nichts beigetragen. Damit meine ich nicht Ihr Schweigen hier im Prozess, das ist Ihr gutes Recht. Aber wenn Sie unschuldig sind: Wo war Ihr unbändiges Engagement, wo war Ihr Mitgefühl mit der Mutter?“ Sein teilnahmsloses Verhalten sei – in Anführungszeichen – beeindruckend gewesen.

Auch entlastende Momente

Hornstein bringt in der Urteilsbegründung aber auch entlastende Momente ein. Bis zuletzt habe Jasmin M. auch immer wieder Kontakt zu S. gesucht, ihr Verhalten beschreibt der Richter als ambivalent: „Das hat in ihm vielleicht die Hoffnung am Leben erhalten.“

Hornstein schildert den Verlauf aus Sicht der Kammer weiter, bis er am Ende des Abends angelangt, der wohl Jasmin M.s letzter gewesen ist. Dann sagt er: „Jetzt wird es spannend.“

„Sicher, dass Sie sie getötet haben“

Vieles von dem Folgenden ist unklar. Auch für das Gericht. Es geht darum, ob M. ihren Ex-Partner an diesem Abend in ihre Wohnung gelassen oder er sich Zutritt verschafft hat. Ob sie bei Bewusstsein, betäubt oder tot war, als S. sie in der Nacht fotografierte. Alles unklar.

Und doch: „Nach unserem Dafürhalten ist Jasmin M. trotzdem irgendwann am 19. Februar getötet worden – vor 12.30 Uhr, als er (Robert S., d. Red.) den GPS-Tracker ausgebaut hat. Und wir sind uns sicher, dass Sie, Herr S., sie getötet haben“, so Hornstein.

Die Kammer sei nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen. Mit eindeutigem Ergebnis: Wäre es ein Notfall gewesen, etwa wegen M.s Herzfehler, wieso hat S. dann keinen Krankenwagen gerufen? „So viel Anstand dürfen wir Ihnen noch zutrauen“, sagt Hornstein an Robert S. gerichtet.

Dass er ausrasten konnte, ist gesichert

Auch einen Suizid schließen die Richter aus, und für einen Unfall oder ein fahrlässiges Vergehen fehle jede Spur. „Fazit für uns: Es bleibt alleine eine unblutige Tat durch den Angeklagten. Wahrscheinlich nach einem massiven Streit.“

Weil aber auch kein Tötungsvorsatz oder gar ein Mordmotiv festgestellt werden konnte, bleibt die Körperverletzung mit Todesfolge. Dass S. ausrasten und dabei gewalttätig werden kann, ist erwiesen: Am 14. Oktober 2022 hat er Jasmin M. im Streit zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Das Gericht geht für die Tatnacht von Erwürgen oder Erdrosseln, alternativ von einem massiven Schlag oder ähnlichem aus – in Folge eines heftigen Streits, für den es mehrere plausible Gründe gegeben haben könnte.

Widersprüchliches Nachtatverhalten

„Abgerundet wird es durch das widersprüchliche Nachtatverhalten“, sagt Hornstein. S. hatte – wie bereits erwähnt – den GPS-Tracker ausgebaut, hatte Bilder gelöscht, sein Kommunikationsverhalten plötzlich total verändert.

Vorstellbar sei, dass er die Leiche nahe des Wohnorts von Jasmin M. in Eigeltingen-Heudorf abgelegt habe. Wahrscheinlicher aber sei ein Platz irgendwo bei Küssaberg am Hochrhein, wo die Noch-Ehefrau von S. lebt. Wesentlich für diese Annahme ist dem Gericht zufolge, dass S. nach dem angenommenen Tatzeitraum dorthin gefahren ist und auf dem Hinweg die Schweizer Grenze vermieden, stattdessen den deutlich unkomfortableren Weg in Deutschland genommen hat. Auf dem Rückweg fuhr er durch die Schweiz.

Neben der Haftstrafe wurde Robert S. wegen der anderen Vergehen auch zur Zahlung von 190 Tagessätzen zu fünf Euro verurteilt. Der vergleichsweise geringe Betrag ergibt sich aus seiner aktuellen finanziellen Situation. Den Vorwurf des Stalkings hingegen sieht das Gericht nicht bestätigt, Bedingung dafür sei, dass das Opfer das mitbekomme. Ein „Wischiwaschi“-Gesetz, sagt Hornstein dazu, da müsse der Gesetzgeber mehr Klarheit schaffen.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft kündigten bereits Revision an. Die Verteidigung hatte Freispruch, die Staatsanwaltschaft zwölfeinhalb Jahre Haft gefordert.

Johanna Braun, Vertreterin der Nebenklage und Anwältin der Mutter, sagte: „Wir hatten zwar auf eine Verurteilung wegen Totschlags gehofft, uns war aber klar, dass das schwierig wird.“ Sie werde sich das Urteil jetzt erst einmal in Ruhe angucken.

Karen M., die Mutter der Vermissten, richtete gegenüber dem SÜDKURIER noch ihren Dank an alle Menschen, die sich an der Spendenaktion der Gemeinde Heudorf beteiligt haben. Sie möchte weiterhin mit privaten Organisationen nach ihrer Tochter suchen und freut sich über jede Unterstützung, das Konto sei noch aktiv.