
Stuttgart ist weit weg, nicht nur geografisch. Politische und gesellschaftliche Themen, die zwischen Bodensee und Hochrhein wichtig sind, spielen in der Landeshauptstadt im Zweifel überhaupt keine Rolle. Wie aber kommen regional wichtige Aspekte in den Landtag?
Eine Möglichkeit sind Kleine Anfragen. Sie sind ein Mittel der Abgeordneten, Themen auf die Agenda zu setzen oder die Landesregierung zumindest zu zwingend, sich damit auseinanderzusetzen. Jedes Mitglied des Landtags (MdL) kann Kleine Anfragen stellen. Sie müssen lediglich thematisch abgegrenzt sein und dürfen nicht mehr als zehn Einzelfragen enthalten.
Der SÜDKURIER hat alle Anfragen analysiert, die die MdL bis Ende Januar 2021 gestellt haben. 3.750 Stück waren das, viele davon hatten einen regionalen Bezug. Wir haben sie verschlagwortet und nach Zusammenhängen mit der Region Südbaden gesucht.
Das sind die Themen für den Landkreis Konstanz
Bildung und Verkehr sind auf den ersten Blick die großen Themen, die die Abgeordneten mit dem Landkreis Konstanz in Verbindung gebracht haben. Bei Letzterem allerdings womöglich anders als vermutet: Nicht der Ausbau der B33, für den ohnehin der Bund zuständig ist, und auch nicht die vielen Irrungen und Wirrungen in Bezug auf die Gäubahn und die Singener Kurve sind die Themen der Anfragen. Es geht vielmehr um den Zustand der Brücken, den Ausbau des Seehas‘ und um Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr. Und um den Radverkehr im Landkreis im Allgemeinen.
Bei genauer Betrachtung stechen zudem Wohnraum und Wohnungsbau ins Auge, was besonders in den Bodenseegemeinden traditionell schwierige Themen sind.
Gar keine Rolle hat das stellenweise hart umkämpfte Thema Windkraft im Hegau gespielt, das seit Jahren leidenschaftlich diskutiert wird. Zuletzt im Zusammenhang mit den geplanten Windrädern am Alten Postweg, einem beliebten Wanderweg zwischen Engen und Tengen. Dabei ist Windkraft generell ein oft nachgefragtes Thema im Landtag, allerdings eher in Bezug auf andere Regionen im Land.
Die Schweizer Nachbarn kommen bei den Anfragen nicht gut weg. Nachfragen zur Schweiz befassen sich mit rechtsextremistischen Verbindungen über die Grenze hinweg und mit einem sogenannten „Jagdtourismus„, den zwei Abgeordnete der FDP festgestellt haben wollten. Es handelte sich dabei aber eher um eine Vermutung der Liberalen, wie die Zahlen in der Antwort der Landesregierung zeigten.
Das sind die Themen am Hochrhein
Schiene, Bahn und ein bisschen sonstiger Verkehr – die Mobilität ist das alles bestimmende Thema am Hochrhein. Oder zumindest das der Abgeordneten, die entsprechende Kleine Anfragen mit Bezug zur Region gestellt haben. Viele waren das nicht, in unserem Datensatz zählen wir nur 16 Dokumente, die für den Landkreis Waldshut und den Hochrhein relevant waren.
Dadurch, dass sich die meisten um die Bahn drehen, gehen einige wichtige Anfragen unter. Zum Beispiel die zur Anastasia-Bewegung, eine rechtsesoterische, naturreligiöse Bewegung, die die Landesregierung als rassistisch und antisemitisch einstuft.
Oder auch eine Anfrage zur medizinischen Versorgung, ein Thema von höchster Relevanz am Hochrhein, wie eine Studie im Auftrag des Landkreises Waldshut vergangenes Jahr offen gelegt hat. Fast die Hälfte der Hausärzte im Kreis ist über 60 Jahre alt. Ein Drittel ist sogar über 65 Jahre. Nachfolger sind nicht in Sicht. Viele Kommunen versuchen mit Lockangeboten Hausärzte zur Niederlassung zu bringen, bisweilen auf Kosten der Nachbargemeinden.
Die nahe Schweiz kommt ebenfalls kaum vor. Lediglich zwei Anfragen beschäftigen sich mit der Grenze. Eine befasst sich mit der Suche nach einem Atommüllendlager der Eidgenossen, in einer anderen geht es um ortsfremde Jäger aus dem Nachbarland.
Diese Themen haben Bezug zum Bodensee
Die Bahnstrecke zwischen Radolfzell und Friedrichshafen hat es den Abgeordneten besonders angetan. Die meisten Kleinen Anfragen mit Bezug zum Bodensee befassen sich mit der Zuverlässigkeit und der Ausstattung der Bodenseegürtelbahn. Erst danach folgen die Themenkomplexe Bildung sowie Wasser und dessen Qualität im Bodensee.
Keine Rolle spielt dabei allerdings der Friedrichshafener Abwasser-Skandal von Sommer 2019, als Abwasser des Häfler Klinikums ungefiltert in den See liefen. 232 Menschen erkrankten an Brechdurchfall, fünf steckten sich mit dem Norovirus an, ein 14-Jähriger erlitt eine Salmonellen-Vergiftung. Die Strände um Friedrichshafen blieben zehn Tage lang gesperrt.
Auch der Bodensee-Airport wurde von den Abgeordneten nicht weiter beleuchtet. Der Flughafen, an dem die Stadt Friedrichshafen, der Bodenseekreis und das Land Baden-Württemberg Anteile halten, ist überschuldet und hat eine Insolvenz in Eigenverwaltung eingeleitet.
So wird der Schwarzwald verhandelt
Der Nationalpark ist ein Politikum. Die meisten Anfragen mit Schwarzwald-Bezug drehen sich um ihn. Und zwar in alle erdenklichen thematischen Richtungen. Mal geht es um den Borkenkäfer oder die Wildtierbeobachtung mit Kameras, mal um Freizeitaktivitäten und Tourismus. Selbst die Holzfassade des Besucherzentrums war Thema einer Anfrage. Der FDP-Abgeordnete Klaus Hoher wollte 2017 wissen, ob sie tatsächlich mit handgemachten Holzschindeln verkleidet werden soll, woher das Holz komme und was das alles koste.
Daneben sorgen sich die Abgeordneten um das Rettungswesen im Schwarzwald, genauer gesagt um die Situation der Bergwachten und deren Finanzierung. Auch die Situation der Krankenhäuser in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg war Thema.
Dass das Thema „Ausländer, Migranten“ so prominent aufploppt, liegt an den Abgeordneten der AfD. Sie haben wiederholt nach Abschiebungen und Kosten für Asylbewerber im Hochschwarzwald gefragt, teilweise von Abgeordneten, die für die Wahlkreise Heilbronn und Schwäbisch Hall im Landtag sitzen. Also weit weg vom Geschehen vor Ort.