Die cremefarbene Kerze am Eingang ist blütenförmig heruntergebrannt. Sie wird immer dann entzündet, wenn ein Gast des Hospizes in Singen verstorben ist – bis er das Haus verlässt.
„Vor ein paar Tagen war es schön sonnig, die Cafégäste saßen auf der Terrasse draußen“, erzählt Iris Eggensberger, die Leiterin des Hospizes. „Als der Bestatter am Eingang vorfuhr, haben sie nur kurz Notiz davon genommen, dann aber weiter Kaffee getrunken und geredet.“
Der Tod ist hier mittendrin. Aber es geht nicht nur um ihn. Seit einem guten Jahr ist das neu erbaute Hospiz in Singen eröffnet. Es befindet sich in der Hegaustraße, ganz nah an der gigantischen Cano-Baustelle.
Hier stehen alte, hübsche Häuschen, Kastanienbäume werfen ihr farbiges Laub ab. An einer Edelrost-Wand mit dem Spruch „Im Garten der Trauer wächst die Blume des Trostes“ kleben letzte Abschiedsgrüße an Verstorbene.
Manchmal kommen Hund und Katze zu Besuch
Das neue Gebäude ist hell, freundlich, erstaunlich ruhig. Das ist nicht immer so. „Die Haustiere der Hospizgäste wie Hunde und Katzen sind willkommene Besucher“, schildert Eggensberger. Im „Raum der Stille“ murmelt ein Brunnen.

Auf den Fluren ist es leer. Die Gäste, wie die Patienten genannt werden, wollen nicht mit der Presse sprechen oder sich fotografieren lassen. „Dann weiß ganz Singen, dass ich hier bin“, lässt ein Mann ausrichten.
Schmerzen und Atemnot lindern
„In einem Hospiz geschieht das, was der Gast wünscht“, sagt Simone Dautel, die Pflegedienstleiterin. „Er kann um 10 Uhr aufstehen oder nachts um 3 Uhr eine Suppe bekommen.“ In der Regel finde keine Therapie mehr statt, das heißt, keine Chemotherapie, keine Bestrahlung, keine Blutkonserven.
Pflegerisch werde alles getan, um Symptome wie Schmerzen oder Atemnot zu lindern. Auf Wunsch gibt es seelsorgerische oder spirituelle Begleitung. „Hier ist oft auch Zeit für letzte Gespräche oder den Satz: ‚Ich verzeihe dir‘“, sagt Iris Eggensberger.
Die Feder wird in den Sarg gelegt
Wer einzieht, findet in seinem Zimmer einen kleinen Blumengruß vor, dazu eine Karte mit einem Psalm, eine Muschel und eine kleine weiße Feder.
„Die Feder wird den Menschen nach ihrem Tod in den Sarg gelegt“, erzählt Iris Eggensberger, „die Muschel legen wir im Abschiedsritual des Horizont-Teams an einem bestimmten Platz im Garten ab.“ Zudem werden sie durch Supervision und Gespräche mit der psychosozialen Beraterin Sandra Hart geschützt.

Gleichzeitig erleben sie aber auch, wie wertvoll ihre Tätigkeit ist – und wie sie den Gästen in ihrer letzten Lebensphase schöne Stunden schenken können.
„Einmal hat ein Gast seine Frau zum Candle-Light-Dinner eingeladen“, erzählt Simone Dautel, „und unsere Aufgabe war, ein richtiges Fest daraus zu gestalten.“ Das mehrgängige Menü wurde in seinem Zimmer serviert, wie im Restaurant mit weißem Tischtuch und Rosenblättern; das hatte er sich so gewünscht.
Verwöhnen lassen, das haben viele nicht gelernt

Sich verwöhnen lassen, das haben viele Menschen nicht gelernt. Nun sollen sie wenigstens am Lebensende das bekommen, was sie freut, sagt Irmgard Schellhammer, die Vorsitzende des Hospizvereins, der das Hospiz mit Ehrenamtlichen unterstützt.
Sie halten Händchen, gehen eine Runde mit den Kranken ums Haus oder helfen auch mal in der Küche, wenn nichts Aktuelles anliegt.
Schellhammer erinnert an die Begründer der Hospizarbeit in Singen, unter ihnen Pfarrer Gebhard Reichert von der Herz-Jesu-Gemeinde und den ehemaligen Singener Krankenhaus-Chefarzt Dr. Gerhard Krieger.
Beide hatten Menschen im Krankenhaus einsam sterben sehen und erkannt, wie wichtig Begleitung auf dem letzten Weg ist.
Diskussionen um den Standort
Bis das Singener Haus aber eröffnet wurde, wurde viel debattiert. Auch Radolfzell wurde als Standort diskutiert. „Es gab Kritik daran, dass das Hospiz mitten in der Stadt sei – direkt neben dem Cano!“, erinnert sich Irmgard Schellhammer.
Gefragt wurde auch, ob man die Toten nicht durch eine Tiefgarage abholen könnte, diskret gewissermaßen.

Aber man habe eben nicht irgendwo am Waldrand eröffnen wollen, wo die anderen Menschen den Tod leicht ausblenden und verdrängen könnten, sagen die Frauen.
Herausforderung Corona
Eine besondere Herausforderung war Corona, sowohl für die ambulante Hospizarbeit als auch die Ehrenamtlichen im stationären Bereich, sagt Irmgard Schellhammer. Erst seit Oktober dürfen die Ehrenamtlichen zu den Diensten ins Haus kommen.

Wie ist es, wenn der Tod im Zentrum des eigenen Arbeitslebens steht? „Wenn man im Hospiz arbeitet, sollte man sich mit seiner Endlichkeit auseinandergesetzt haben“, sagt Iris Eggensberger. „Nur dann kann man andere auf diesem Weg begleiten. Sonst nimmt man zu viel Schwere mit.“
„Wie kannst du da arbeiten?“
Evelyn Auer ist Pflegefachkraft und ist seit der Eröffnung des Hospizes hier. Als Altenpflegerin hatte sie das Sterben im Krankenhaus erlebt, wollte wissen, was man besser machen kann und bildete sich deshalb zur Palliativfachkraft weiter.
Anfangs sei es ihr im Hospiz nicht leicht gefallen, am Feierabend einen Schlussstrich zu ziehen, bekennt sie.

„Manchmal fragen mich Menschen: Wie kannst du da arbeiten?“ Sie empfindet stark den Sinn in ihrem Tun: „Ich kann mich hier dem Gast widmen. Und er oder sie muss nicht allein sterben.“ Oft könne sie den Angehörigen die Angst vor dem Sterbeprozess ihres Liebsten ein wenig nehmen.
Der Tod kommt hier leichter als zu Hause
Im Hospiz zu sterben, ist zum Teil leichter als zu Hause – das haben die Frauen schon mehrfach festgestellt. Den Menschen fällt es hier leichter, loszulassen.
„Manche sterben, wenn die Angehörigen gekommen sind, andere, wenn die Angehörigen kurz hinausgehen – der Tod kennt keine Regel“, berichtet Irmgard Schellhammer aus ihren Erfahrungen.

Wenn der Tod allgegenwärtig ist – hat man da noch Angst vor ihm? Die Gesprächsrunde überlegt kurz. „Nicht so sehr vor dem Tod als vor dem Weg dahin“, antwortet Iris Eggensberger. Durch ihre Arbeit habe sie aber gesehen, dass es Menschen gebe, die andere auf diesem Weg begleiten. „Das hat mir etwas meine Ängste genommen und mich gelassener gemacht.“
Immer mehr Single-Haushalte
Auch Simone Dautel treibt eher das Wie um: „Wann kommt der Tod? In 30 oder in zwei Jahren? Werde ich allein sein?“ Es gebe immer mehr Single-Haushalte. Auch deshalb sei die Arbeit der Hospize auch so wichtig.
Hier finde man die sorgende Gemeinschaft, die es anderswo oft nicht mehr gebe, sagen die Frauen. Dann geleiten sie die Besucherinnen hinaus.

Draußen vor dem Hospiz scheint immer noch die Herbstsonne. Die Cano-Baustelle ist kaum zu hören. Die Kastanienbäume haben weitere rote und gelbe Blätter auf die Hegaustraße geworfen. Im nächsten Frühjahr werden sie von Neuem austreiben.
Hospiz Horizont
Das stationäre Hospiz in der Hegaustraße in Singen wurde vor einem Jahr eröffnet. Ambulante Angebote gibt es schon länger. „Wir alle begleiten im Laufe unseres Lebens Menschen, die wir verlieren und um die wir trauern“, heißt es auf der Webseite. „Das ‚Ob‘ können wir nicht ändern. Beeinflussen können wir nur das ‚Wie‘.“ Es gibt Platz für neun Sterbende. Ein zehntes Zimmer ist für die Verstorbenen reserviert. Hier dürfen Angehörige 36 Stunden Abschied nehmen. Der Personalschlüssel ist sehr viel großzügiger als in einem Akutkrankenhaus. Tagsüber sind zwei bis drei Pflegefachkräfte vor Ort, nachts ist es eine. Zwei Männer sind darunter. 95 Prozent der Kosten werden von den Krankenkassen getragen, die restlichen 5 Prozent übernimmt die Gesellschaft, etwa durch Spenden.
Kontakt: Horizont, ökumenisches Hospiz- und Palliativzentrum im Landkreis Konstanz, Hegaustraße 29-31, 78224 Singen, Tel. 07731 / 96970700. Internet: www.horizont-hospizzentrum.de