Was ein Mensch auszuhalten vermag, hat der Ex-Soldat in Pfullendorf gelernt. Nach zwei Wochen Isolation und Flucht gerät er in Gefangenschaft und wird 36 Stunden lang verhört. Keine Minute Schlaf. Nur ein Toast und ein Glas Wasser lindern Hunger und Durst. Dazu mentaler Druck und fiese Stresspositionen.

„Das war mein härtester Lehrgang bei der Bundeswehr“, sagt Otto Karasch, ehemaliger Fallschirmjäger und Afghanistan-Veteran. Gemeint ist der Combat-Survival-Kurs. In der Staufer-Kaserne lernen Fallschirmjäger, KSK-Soldaten oder Besatzungen der fliegenden Truppe, allein hinter feindlichen Linien zu überleben.

Ein Soldat mit der neuen Standardausrüstung der Bundeswehr. Die Kaserne in Pfullendorf gehörte 2022 zu den ersten Einheiten, die mit dem ...
Ein Soldat mit der neuen Standardausrüstung der Bundeswehr. Die Kaserne in Pfullendorf gehörte 2022 zu den ersten Einheiten, die mit dem modernen Material versorgt wurden. | Bild: Cuko, Katy

Karasch ist heute prominenter Survival-Experte, der auf seinem Youtube-Kanal unter dem Namen Bulletproof auch über seine Zeit bei der Bundeswehr berichtet. In einem Video erzählt er über diesen Kurs, der ihm alles abverlangt hat.

Eine Woche lang, mitten im Winter, nur mit dem Nötigsten ausgerüstet – „so wenig wie Robinson Crusoe“ – musste er im Wald überleben. Danach begann die Jagd, tagelang auf der Flucht vor „feindlichen“ Verfolgern. Am Ende wurde er gefangen genommen, unter Druck gesetzt und mit „Verhörtechniken übelster Sorte“ traktiert.

In diesem riesigen Kuppelzelt trainiert fliegendes Personal der Bundeswehr die harte Landung nach einem Fallschirmsprung.
In diesem riesigen Kuppelzelt trainiert fliegendes Personal der Bundeswehr die harte Landung nach einem Fallschirmsprung. | Bild: Cuko, Katy

Karasch wusste, was auf dem Spiel steht: Wer als Soldat im Ernstfall hinter feindlichen Linien landet, muss sich auf sich selbst verlassen können. Der SERE-Kurs – Survival, Evasion, Resistance, Escape – lehrt genau das. Überleben, ausweichen, Widerstand leisten, zurückkehren. Und er bringt jeden an seine Grenzen. „Aber das muss so sein, um im Ernstfall im Kopf fit zu sein.“

Kein herkömmlicher Bundeswehr-Stützpunkt

Von außen wirkt die Staufer-Kaserne unscheinbar. Doch das ist kein Stützpunkt, der herkömmliche Bundeswehr-Soldaten ausbildet. Jedes Jahr rücken rund 2500 Spezialkräfte in Pfullendorf (Landkreis Sigmaringen) an, oft weit weg von ihren Einheiten. Sie lernen im einzigen Ausbildungszentrum Spezielle Operationen der Bundeswehr, sich auf härteste und hoch riskante Einsätze vorzubereiten.

Elitesoldaten trainieren hier Nah- oder Häuserkampf, Scharfschießen oder eben das Überleben und Verhalten in Gefangenschaft. Einige Lehrgänge gehen Wochen, andere bis zu einem Jahr. „Selbst viele Kreise in der Bundeswehr wissen nicht, was wir hier machen“, sagt Oberst Christian Schoebel, der selbst Fallschirmjäger ist und seit März dieses Jahres Kommandeur des Ausbildungszentrums.

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Trainingsort für Elite- und Nato-Kräfte

Doch die Staufer-Kaserne ist nicht nur Trainingsort für deutsche Elitekräfte. Auch Nato-Spezialkräfte aus acht weiteren Nationen und ukrainische Soldaten kommen hierher. „Wir profitieren von deren Erfahrungen und geben unser Wissen zurück“, erklärt der Kommandeur bei einem Vorort-Besuch in der Kaserne.

Besonders stolz ist er auf die Combat-First-Responder-Ausbildung. Diese Sanitätsschulung für Spezialkräfte habe ein einzigartiges Niveau. „Da geht es nicht nur um die Erstversorgung auf dem Gefechtsfeld. Sie lernen, Verwundete bis zu drei Tage am Leben zu erhalten, bis die eigentliche medizinische Versorgung verfügbar ist.“

Realitätsnah, bis es weh tut

Stimmt das, was Ex-Soldat Karasch in seinem Video vom „härtesten Lehrgang der Bundeswehr“ schildert? Christian Schoebel nimmt kein Blatt vor den Mund. Gerade das Survival-Training mit dem abschließenden Szenario der Gefangenschaft sei knallhart. Isolation, Dunkelheit, Frieren, Schlafentzug, Bedrohung und Drangsalierung: All das müssten die Soldaten durchleben. Der Druck sei so hoch wie nur möglich, um diesen Schockzustand einmal zu vermitteln.

Diese ausgemusterten Dingos waren im Auslandseinsatz. Jetzt trainieren Spezialkräfte hier unter anderem Rettungsaktionen nach einem Angriff.
Diese ausgemusterten Dingos waren im Auslandseinsatz. Jetzt trainieren Spezialkräfte hier unter anderem Rettungsaktionen nach einem Angriff. | Bild: Cuko, Katy

„Wir wollen, dass die Teilnehmer ihre eigenen Schwachstellen kennenlernen – und mit welchen Strategien sie dagegenhalten können“, sagt Schoebel. Auch wenn die Ausbilder dabei bis an die erlaubten physischen und psychischen Grenzen der Soldaten gehen, „darüber gehen sie nicht“. Schmerz wird nicht simuliert, alles andere schon. Psychologen, Ärzte und neutrale Beobachter überwachen die „Verhöre“, können jederzeit eingreifen. „Gerade Kommandosoldaten beißen sich aber durch“, sagt Oberst Schoebel.

Die ausgemusterte Transall-Maschine wird als Übungsplattform für das Überlebenstraining des fliegenden Personals in Pfullendorf genutzt.
Die ausgemusterte Transall-Maschine wird als Übungsplattform für das Überlebenstraining des fliegenden Personals in Pfullendorf genutzt. | Bild: Cuko, Katy

Für diese Spezialausbildung ist die Staufer-Kaserne mit ihrem rund 50 Hektar großen Gelände ausgerüstet. Auf dem Truppenübungsplatz wird mit spezieller Munition geschossen. Gepanzerte Dingos, die tatsächlich im Auslandseinsatz waren, bilden die Kulisse für das Training von Rettungsaktionen nach einem Angriff. Im nächsten Jahr ist der Bau einer weiteren modernen Schießhalle geplant, für Übungseinsätze im künstlich erzeugten Nebel oder völliger Dunkelheit.

Häuserkampf und Geiselbefreiung trainieren

Den Häuserkampf üben die Elitesoldaten im „Maze House“, englisch für Labyrinthaus. Hier können Fallschirmjäger und Spezialkräfte trainieren, wie man in Gebäude eindringt oder Türen sprengt, Geiseln befreit oder sich im Dunkeln orientiert, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden.

Geräusch- und Lichtanlagen sorgen für Adrenalin – bis hin zu Kinder- oder Foltergeschrei. Alles unter den wachsamen Augen der Ausbilder, die das Geschehen von einem gläsernen Steg aus beobachten. Von außen erlaubt nur der 15 Meter hohe Turm am Maze House eine Vorstellung davon, wie sich Spezialkräfte bei solch einer Operation vom Hubschrauber abseilen und ihre Mission starten.

Von außen sieht das Maze House wie eine Werkstatthalle aus. Drinnen wurde ein Übungslabyrinth eingebaut, in dem Häuserkampf oder ...
Von außen sieht das Maze House wie eine Werkstatthalle aus. Drinnen wurde ein Übungslabyrinth eingebaut, in dem Häuserkampf oder Geiselbefreiung trainiert werden können. Der 15 Meter hohe Turm wird unter anderem zum Abseilen aus dem Hubschrauber genutzt. | Bild: Cuko, Katy

Über spezielles Equipment verfügt auch die IV. Inspektion in Pfullendorf. Fliegendes Personal lernt hier, im Notfall zu kämpfen – nicht in der Luft, sondern am Boden. Auf dem Kasernengelände steht eine ausgemusterte Transall-Maschine, die als Übungsplattform dient. Daneben ist der Dom, ein riesiges Kuppelzelt, in dem die harte Landung nach einem Fallschirmsprung geübt werden kann.

Wenn selbst Piloten auf dem Boden kämpfen müssen

Ob Pilot oder Bordmannschaft: „Jeder, der bei der Bundeswehr fliegen möchte, muss diesen Lehrgang machen. Das sind zwischen 560 und 580 Teilnehmer pro Jahr“, erklärt ein Ausbilder des Teams Rettungs- und Systemtechnik, kurz R&S. Das sorgt dafür, dass jeder die für den Lehrgang nötige Überlebensausstattung so nutzen kann, „wie er es hoffentlich niemals braucht“.

Blick ins Materiallager des Teams R&S. Hier hängen Rettungswesten in jeder erdenklichen Größe für Jetpiloten.
Blick ins Materiallager des Teams R&S. Hier hängen Rettungswesten in jeder erdenklichen Größe für Jetpiloten. | Bild: Cuko, Katy

In einer riesigen Halle lagert nicht nur das Material. Das wird nach jedem Lehrgang wieder gereinigt oder aufbereitet – vom Schlafsack über Kleidung, Schutzwesten oder Rucksäcken bis hin zu kleinen und großen Survivaltaschen. Früher wurden große, 50 Kilo schwere Kisten für jeweils 20 Mann gepackt, die zur Standardausrüstung an Bord von Transportmaschinen gehörten. Heute wird die Notausrüstung pro Mann in einem Sack verstaut. Die Abkürzung WPH darauf steht für Wüste, Polar und Hochgebirge. Kleidung und Ausrüstung, um in jeder Klimazone überleben zu können.

Pro Mann eine Tasche: die WPH-Notfallausrüstung für fliegendes Personal der Bundeswehr. WPH steht für Wüste, Polar und Hochgebirge.
Pro Mann eine Tasche: die WPH-Notfallausrüstung für fliegendes Personal der Bundeswehr. WPH steht für Wüste, Polar und Hochgebirge. | Bild: Cuko, Katy

Im Einsatz erhält jeder eine Rettungsweste, die bis zu 20 Kilo wiegen kann. Zum Survival-Kit Flug gehören neben einer Pistole mit Reservemagazin unter anderem Knicklichter, Notfallkompass, Rettungsdecke, Taschenmesser, Signalpfeife, Notverband und Erste-Hilfe-Set, Sicherheitsnadeln, eine Sturmhaube aus Seide, Feuerstarter und Überlebensrationen an Wasser und Nahrung – 200 Gramm Kohlenhydratkomprimat hauptsächlich aus purem Zucker.

Wie man das alles richtig verwendet, im Ernstfall Trinkwasser aufbereitet oder mit einem winzigen Werkzeug-Tool im Gepäck eine richtige Säge baut, lernen die fliegenden Besatzungen im Lehrgang. Dazu gehört am Ende der Ausbildung auch eine Abschlussübung. „Die Teilnehmer werden ausgesetzt und müssen das Gelernte draußen zeigen“, erklärt der Ausbilder.

Rettungsweste und Notfallausrüstung eines Jet-Piloten. Ein Teil des Materials ist in der gelben Kiste verpackt, die am Fallschirm hängt.
Rettungsweste und Notfallausrüstung eines Jet-Piloten. Ein Teil des Materials ist in der gelben Kiste verpackt, die am Fallschirm hängt. | Bild: Cuko, Katy

Spezial-Ausrüstung für Jetpiloten

Den Survival-Lehrgang in Pfullendorf durchläuft auch jeder Jetpilot der Bundeswehr, von denen rund 100 pro Jahr ausgebildet werden. Statt dick gepackter Rettungsweste hängt die Erstausstattung eines Tornadopiloten in einer kleinen gelben Kiste am Fallschirm, wenn er sich im Ernstfall mit dem Schleudersitz aus dem Flugzeug schießt. Dazu gehört beispielsweise auch ein Rettungsboot, das vor dem Piloten im Wasser landet und sich selbst aufbläst.

Die Notfallausrüstung beim Survival-Kit Flug: Die Schautafel hängt im Ausbildungszentrum.
Die Notfallausrüstung beim Survival-Kit Flug: Die Schautafel hängt im Ausbildungszentrum. | Bild: Cuko, Katy

Solch ein Notausstieg komme allerdings sehr selten vor, erklärt Christian Schoebel. Wer überlebt, darf oft nicht mehr fliegen. Bis zu 16 G wirken auf einen Eurofighter- oder Tornado-Piloten ein, 16-mal so stark wie die Schwerkraft. Statt 70 Kilo wiegt der Körper in diesem Moment plötzlich 1120 Kilo. Beim Ausstieg wird die Wirbelsäule um etwa einen Zentimeter gestaucht. Neun von zehn Jetpiloten werden bei diesem Manöver ohnmächtig und kommen meistens erst kurz vor der Landung wieder zu sich, weiß der Kommandeur. Selbst die härtesten Piloten hoffen, diese Lektion nur im Training zu lernen.