Susan W. sitzt in Tarnfarben vor der Webcam. Auf den Schultern die Rangabzeichen eines Oberfeldwebels. Ihr Dutt ist locker auf dem Hinterkopf geflochten, Schwarz-Rot-Gold ziert ihren rechten Ärmel. Selbstbewusst berichtet die Mutter aus Meßstetten dem SÜDKURIER, wie sie das vergangene halbe Jahr in Afghanistan erlebte. „Ich bin stolz auf mich. Ganz besonders aber auf ihn. Er ist immer bei mir. Egal, wo ich mich auf der Welt befinde“, sagt sie und zeigt auf den Boden.
Unter ihrem Stuhl döst Ferox, ein Belgischer Schäferhund, vor sich hin. Ein dreijähriger Rüde mit ganz besonders empfindlicher Nase. Die braucht Ferox auch. Denn gemeinsam mit W. ist er dafür zuständig im Militärcamp Marmal, in der Nähe von Mazar-i-Sharif in Afghanistan, Kampfmittel aufzuspüren.
Marmal ist das größte Feldlager der Bundeswehr außerhalb Deutschlands. Es liegt am Fuße des Hindukusch und ist zweieinhalb mal anderthalb Kilometer groß. 1000 deutsche Soldaten des sogenannten Resolute-Support-Projekts bilden hier im Wesentlichen afghanische Sicherheitskräfte aus.

Das Engagement am Hindukusch besteht seit fast 20 Jahren. Zu Beginn rief die USA nach den Anschlägen auf das World Trade Center den „Krieg gegen den Terror“ aus. Die Bundesregierung erklärte sich solidarisch.
Zwischenzeitlich töteten US-Soldaten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden. Schulen wurden wieder geöffnet. Das Land aber ist und bleibt zerrissen. Die Taliban sind mächtig, die Regierungsstrukturen wackelig.
Ist der Einsatz noch zeitgemäß?
Der Preis für die Stabilität am Hindukusch ist hoch: Viele Zivilisten und Soldaten kommen bei Anschlägen ums Leben. Deshalb streiten Politiker hierzulande aktuell über die Zukunft der Bundeswehr im Nahen Osten. Können Soldaten den Frieden vor Ort überhaupt nachhaltig sichern? Und: Im seit 2001 laufenden Afghanistan-Einsatz starben nach Angaben der Bundeswehr bisher 59 deutsche Soldaten – ist es noch zeitgemäß das Leben der Soldaten dafür aufs Spiel zu setzen?
Zu all diesen Fragen möchte sich Susann W. nicht äußern. Es ist nicht ihre Aufgabe politische Willensbildungsprozesse zu beurteilen. Ex-US-Präsident Donald Trump dagegen war sich sicher: Die USA müssen ihre Truppen Schritt für Schritt abziehen. Doch Nachfolger Joe Biden ist anderer Meinung. Er will, dass die amerikanischen Soldaten vor Ort bleiben.
Ob sich der neue Präsident durchsetzen wird, ist noch nicht klar. Die zuständigen politischen Institutionen diskutieren. Auf das Sicherheitsgefühl von Susan W. wirke sich dies aber sowieso nicht aus. „Stellen Sie sich vor, Sie setzen sich ins Auto und denken nur daran, hoffentlich keinen Unfall zu verursachen – dann können Sie kein Auto mehr fahren“, so die Soldatin mit braunem Haar.
Gefahr droht eher durch das Coronavirus – auch in Afghanistan. W. musste vor ihrer Abreise vor einem halben Jahr in zweiwöchige Quarantäne. „Wir laufen hier alle mit Maske rum“, sagt sie. Das Freizeitangebot ist eingeschränkt. Nur das Fitnessstudio ist es jetzt im Freien noch nutzbar. Zwar gilt auch im Camp Marmal eine Pflicht zur Kontaktreduzierung – auf persönliche Gespräche komplett zu verzichten ist für Soldaten fernab der Heimat aber nicht möglich.
Der Alltag des Duos W. und Ferox beginnt um 5.45 Uhr. In Deutschland zeigt die Uhr zu dieser Zeit erst viertel nach zwei. Ferox bekommt Frühstück, dann folgt eine lockere Runde Gassi gehen, ehe die Arbeit beginnt.
Ferox als Sprengstoff-Detektor
„Ich schaue nach, was für Aufträge reinkommen und dann geht‘s los“, sagt die Soldatin im 18. Dienstjahr. Sie packt ihr Arbeitsmaterial für sich und Ferox, lädt es ins Auto, begibt sich zur sogenannten KFZ-Schleuse. Dort spürt Ferox alles auf, was das Camp erreicht. „Wir sind sozusagen der biologische Detektor, um herauszufinden, ob Sprengstoff oder auch Zubehör zum Bau von Sprengmitteln in den Fahrzeugen sind“, sagt W. Es wäre der „Supergau“, wenn es im Camp zur Explosion käme.
Am Ende des Arbeitstages bekommt Ferox in einer Hundedusche die nötige Pflege. Sollte er sich verletzen, gibt es einen Behandlungsraum und einen Veterinärarzt. W. lebt mit ihrem aufgeweckten Vierbeiner in einem Wohncontainer. Er ähnelt den Blechhütten von Bauarbeitern. Innen ist er mit Holz verkleidet. Die Soldatin hat Strom, Fenster, eine Eingangstür, Heizung und Klimaanlage. „Man hat alles, um gut zu leben“, sagt sie.
Ganz wichtig: W-Lan
Vor allem das W-Lan spielt bei der Soldatin eine wichtige Rolle. Wann immer möglich, telefoniert sie über Video mit ihrem Mann und ihrem Sohn. „Man merkt aber die dreieinhalb Stunden Unterschied zu Deutschland“, sagt sie. Logisch – der Dienst dauert manchmal länger und W. ist ständig in Rufbereitschaft. Manchmal reicht es nur für eine Sprachnachricht und ein Foto.
Die Sehnsucht nach der Familie ist riesig. Aber Ferox erleichtert den Alltag in Afghanistan immens. „Ich habe meine Vertrautheit im Handgepäck“, sagt W. Er ist ihr erster Diensthund. Sie haben die einjährige Ausbildung bei der Bundeswehr gemeinsam durchlaufen. Darauf vorbereitet, dass sie nach Afghanistan geschickt werden, hat sich W. schon immer – innerlich. Es sei schließlich nur eine Frage der Zeit, bis dieser Tag kommt.
Hundesport faszinierte sie schon lange
Die Soldatin hat ihr Hobby zum Beruf gemacht – auch wenn er zur unkonventionellen Sorte gehört. „Ich bin seit dem 14. Lebensjahr schon am Hundesport begeistert“, sagt sie. Die Entscheidung bei der Bundeswehr zu dienen, fiel, als sich in Stetten am kalten Markt die Möglichkeit bot, mit Spürhunden zu arbeiten. Genau das richtige für sie. Abgesehen davon gäbe es bei der Bundeswehr „unendlich viele Möglichkeiten“ sich weiterzubilden.
Wann genau ihr Flieger in die Heimat abhebt, weiß die Soldatin nicht. Geplant ist ein Termin in den nächsten zwei Wochen. In Zeiten der Corona-Pandemie muss W. sofort in eine 14-tägige, häusliche Quarantäne. Für eine Mutter, die ein halbes Jahr auf die Familie verzichten musste, gibt es aber Schlimmeres.