Noch gilt in Baden-Württemberg die Parole, dass nach den Sommerferien in den Schulen zum Regelbetrieb zurückgekehrt werden soll. Doch klar ist: Wenn die Gesundheitsämter bei Infektionsfällen örtlich einzelne Klassen heimschicken oder gar ganze Schulen schließen müssen, wird zum Fernunterricht zurückgekehrt. Ohnehin geht Fernunterricht für Schüler, die zu Risikogruppen gehören, weiter – und auch für die anderen Schüler gilt weiter zwar Unterrichtspflicht, aber keine Präsenzpflicht in den Schulen. Auch sie könnten weiter am Fernunterricht teilnehmen, statt ihn die Schulen zu gehen, wenn sie von ihren Eltern entsprechend angemeldet werden.

Während alle Beteiligten zu Beginn der Pandemie völlig unvorbereitet in die neue Unterrichtsform stolperten und landauf, landab improvisiert werden musste, stehen drei Wochen vor Beginn des neuen Schuljahrs zumindest die wichtigsten Rahmenbedingungen. „Wir haben einige Projekte schnell umgesetzt“, sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU).

Lehrer können nicht mehr abtauchen

Neu sind nun endlich verbindliche Qualitätskriterien für den Fernunterricht. Weil diese fehlten, gab es vor Ort höchst unterschiedliche Erfahrungen mit Fernunterricht. Die Rückmeldungen bei Elternverbänden lauteten von sehr guter Betreuung bis hin zu völlig abgetauchten Lehrern. Künftig erhalten alle Schüler im Fernunterricht die gleichen Unterrichtsmaterialien, Lehrer müssen den Schülern Rückmeldungen zu den bearbeiteten Aufgaben geben, sie müssen ihre Arbeit dokumentieren und eine regelmäßige Kommunikation mit den Schülern sicherstellen.

Geld für 300.000 Notebooks und Tablets

Auch die Technik steht anders da, wie das Kultusministerium mitteilt. Die von Bund und Land finanzierten 300.000 Notebooks für Schüler, die zuhause keinen Zugang zu einem Gerät haben, sind bereits oder werden noch von den Schulträgern bestellt.

Das Geld für 300.000 Tablets und Notebooks für bedürftige Schüler im Land steht bereit, die meisten Schulträger haben die Geräte schon ...
Das Geld für 300.000 Tablets und Notebooks für bedürftige Schüler im Land steht bereit, die meisten Schulträger haben die Geräte schon bestellt. Doch bis sie ankommen und einsatzbereit sind, dürfen noch Wochen oder sogar Monate vergehen. | Bild: Uli Deck, dpa

Allerdings müssen diese, sind sie geliefert, erst eingerichtet werden. Wer dies übernehmen und die technische Betreuung sicherstellen soll, ist noch nicht geklärt. Die Serverkapazitäten für die digitale Lernplattform Moodle wurden erweitert, für Live-Übertragungen von Unterricht steht das Videokonferenzsystem „Big Blue Button“ (BBB) zur Verfügung, mit Jitsi Meet gibt es ein zweites sicheres Videokonferenz-Werkzeug breit.

Sicherer Messenger für Lehrkräfte

Auch die Forderung der Lehrkräfte nach einem sicheren Instant-Messenger (Nachrichten-Programm) ist erfüllt, allerdings haben ihn erst 16.000 der landesweit gut 120.000 Lehrkräfte heruntergeladen. Das für die Lehrerfortbildung zuständige Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) hat laut Ministerium seit Mitte Juni zahlreiche zusätzliche Fortbildungsangebote zur Nutzung von Moodle und der Videoplattform zur Verfügung gestellt, neben Webinaren und Basiskursen, die bis zu den Sommerferien mehrmals in der Woche stattfanden, auch digitale Sprechstunden für Lehrkräfte sowie ganze Webinarreihen zu speziellen Themenfeldern wie „Lernen auf Distanz“, oder „Webinardidaktik“. Diese zusätzlichen Angebote sollen laut Kultusministerium auch im neuen Schuljahr fortgeführt werden.

Die Kultusministerin Susanne Eisenmann sieht Schulen und Lehrkräfte nun besser gerüstet.
Die Kultusministerin Susanne Eisenmann sieht Schulen und Lehrkräfte nun besser gerüstet. | Bild: Bernd Von Jutrczenka, dpa

„Ich bin zuversichtlich, dass wir, was den Fernunterricht angeht, künftig besser aufgestellt sind als vor der Pandemie“, sagt Eisenmann. „Die Situation bleibt aber für alle Beteiligten eine Herausforderung.“

Skepsis bei der Bildungsgewerkschaft GEW

Skeptisch äußert sich dagegen Doro Moritz, Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. „Positiv wird sich bei erneuten Schulschließungen auswirken, dass die Schulen sich organisatorisch aus eigenen Kräften besser aufgestellt haben“, sagt Moritz, „aber grundsätzlich hat sich wenig geändert. In sehr wenigen Kommunen werden die digitalen Endgeräte für Schüler schon beschafft sein.“

„Miserable Fortbildungssituation“

Auch das Vorhaben, Lehrkräfte mit digitalen Endgeräten auszustatten, könnte unter Umständen noch Jahre dauern. Unverändert sei die schlechte Ausstattung mit schnellem Internet. Moritz: „Moodle funktioniert stabil, wird aber höchstens von der Hälfte der Schulen genutzt, was auch mit der miserablen Fortbildungssituation zusammenhängt, die weiterhin unbefriedigend ist. Es gibt zu wenig Angebote.“

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Die Fortbildung müsse auch den unterschiedlichen Voraussetzungen bei Lehrkräften Rechnung tragen. „Es geht nicht nur darum, zu lernen, wie Moodle technisch funktioniert, sondern auch darum, Lernen mit guten digitalen Medien sinnvoll zu gestalten.“ Entsprechende Angebote gebe es aber kaum, so Moritz.

Zum Jahresende einsatzbereit?

Das bemängelt auch Nathalie Münz, die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin und Bildungsdezernentin des baden-württembergischen Landkreistags, der als Schnittstelle zwischen dem Kultusministerium auf Landesebene und den Schulträgern auf kommunaler Seite fungiert. Die Schulträger hätten ihre Pflicht bei der Ausstattung wahrgenommen. „Die 300.000 neuen Geräte sind bestellt, je nach Lieferzeit werden sie bis Jahresende im Einsatz sein“, sagt Münz.

Ein Dauerbrenner aber bleibe die Fortbildung und die pädagogische Konzeption. „Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, teure Geräte anzuschaffen, wenn es keine Konzepte für den Einsatz gibt. Schulbuch einfach gegen Laptop zu tauschen, funktioniert so nicht“, sagt Münz. Das Kultusministerium habe zwar nachgelegt, „aber das ZSL (Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung) muss schneller werden und mehr Kapazitäten für Fortbildungen schaffen“, fordert sie, „da gibt es ganz klar Nachholbedarf“.

Schüler einer achten Klasse arbeiten zuhause über die Lernplattform Moodle an ihrem Unterrichtsstoff.
Schüler einer achten Klasse arbeiten zuhause über die Lernplattform Moodle an ihrem Unterrichtsstoff. | Bild: Marijan Murat, dpa

Das sehen auch die Lehrer selbst so. „Fortbildungen für Lehrer auf breiter Front oder Verträge mit Schulbuchverlagen mit elektronischen Lehrbüchern sehe ich bisher nicht“, sagt Ralf Scholl, Landesvorsitzender des Philologenverbands.

Für Lehrkräfte keine Notebooks

Scholl kritisiert vor allem, dass die Ausrüstung aller Lehrkräfte mit Notebooks – „eine Grundvoraussetzung für jeglichen Fernunterricht“ – in Baden-Württemberg auf Landesebene gar nicht diskutiert werde. „Mein Eindruck ist: Statt alle Hebel in Bewegung zu setzen und im Zweifelsfall Geld in dreistelliger Millionenhöhe ausgegeben zu haben, das gut investiert wäre an den Schulen, wird auf eine Besserung der Covid-19-Situation gehofft,“ so Scholl. „Die Zahlen lassen aber eine deutliche Verschlechterung erwarten.“