Die Deutsche Bahn will die Züge auf der Gäubahn-Strecke, der Verbindung zwischen Zürich und Stuttgart, im Rahmen der Stuttgart-21-Baumaßnahmen von Mitte 2025 an einem Prellbock in Stuttgart-Vaihingen enden lassen. Und das für einen Zeitraum von mehreren Jahren – so lange, bis eine Gäubahn-Anbindung über den Stuttgarter Flughafen zum neuen Tiefbahnhof fertiggestellt ist.

Aber darf die Bahn das überhaupt? Das haben die Großen Kreisstädte Singen, Rottweil, Tuttlingen, Villingen-Schwenningen, Horb und Böblingen jetzt von einem Eisenbahnverkehrs-Experten rechtlich begutachten lassen. Das Gutachten des Frankfurter Juristen Georg Hermes wurde nun in Böblingen bei Stuttgart vorgestellt.

Nehmen zum Rechtsgutachten Stellung: der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler (von links), Gutachter Georg Hermes, der Böblinger ...
Nehmen zum Rechtsgutachten Stellung: der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler (von links), Gutachter Georg Hermes, der Böblinger Oberbürgermeister Stefan Belz und sein Horber Kollege Peter Rosenberger. | Bild: Stadt Böblingen

„Wir sehen das Ergebnis mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, bewertet der Böblinger Oberbürgermeister Stefan Belz anschließend die Expertise. Denn eine Hoffnung der Gäubahn-Anliegerstädte hat sich nicht erfüllt, wie Gutachter Hermes klar machte: „Es gibt kein Recht von Gemeinden, gegen eine Verschlechterung von Eisenbahninfrastruktur außerhalb ihrer Gemarkung zu klagen.“

Auch für den Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler ist das eine Enttäuschung, wie er am Mittwoch in Böblingen einräumt. „Es ist sehr ärgerlich, dass wir keine eigenen Rechte haben, jedenfalls nicht so, wie wir es erhofft haben. Es ist einfach eine schreiende Ungerechtigkeit, wie hier mit den Bürgern umgegangen wird. Es weiß definitiv niemand, wann wir wieder mit dem Zug direkt in die Landeshauptstadt kommen. Und jeder weitere Umstieg ist für die Menschen ein Hemmnis, auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen.“

Häusler fürchtet Umstieg von der Bahn aufs Auto Video: Bäuerlein, Ulrike

Gleichzeitig aber kam Gutachter Hermes zu dem Schluss, dass die Bahn die Gäubahn gar nicht ohne ein eisenbahnrechtliches Stilllegungsverfahren in Vaihingen enden lassen dürfe. Denn für den bisherigen Streckenteil der Gäubahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Stuttgarter Hauptbahnhof – die sogenannte Panoramabahn – gebe es eine Betriebspflicht der Bahn, die nicht einfach durch den Umstiegshalt in Stuttgart-Vaihingen außer Kraft gesetzt werden könne.

„Der Planfeststellungsbeschluss, der aus dem Jahr 2005 stammt und auf Daten von 2001 fußt, trägt die Stilllegung der Gäubahn nicht. Das ist rechtlich eindeutig“, so Hermes. Und das zumindest ist die gute Nachricht für die Anliegerkommunen.

Mehrere Gutachten, gleiches Ergebnis

Zu diesem Ergebnis waren zuvor bereits zwei weitere rechtliche Expertisen gekommen, zuletzt durch den Passauer Rechtsprofessor Urs Kramer. Auf SÜDKURIER-Anfrage teilte das Eisenbahn-Bundesamt am Mittwoch unterdessen mit, dass bislang noch kein Antrag der DB Netz AG auf ein solches Stilllegungsverfahren eingegangen sei. „Es ist für die Anliegerkommunen relativ einfach, der Bahn gegenüber ein großes Bedrohungspotenzial aufzubauen“, sagt Hermes.

Denn im Rahmen des Verfahrens würde geprüft, ob es andere mögliche Betreiber für die Strecke gibt. Bis das geklärt sei, müsste die Bahn die Gäubahn in jedem Fall weiterfahren lassen, schätzt der Gutachter. „Theoretisch könnten auch die Anliegerstädte selbst ein Eisenbahnunternehmen gründen oder ein Unternehmen beauftragen“, sagt Hermes. „Die Städte müssen nur sagen: Wir wollen jemanden finden, der die Gäubahn weiter nach Stuttgart hinunter betreibt. Das würde schon ausreichen.“

Städte als Eisenbahnunternehmer?

Eisenbahnunternehmer zu werden, liegt den Oberbürgermeistern indes derzeit noch so fern wie die Fertigstellung des Milliardenprojekts Stuttgart 21. Sie setzen auf die neuerliche Bewegung, die in der Region, im Land und im Bund in das Thema Gäubahn gekommen ist, und wollen jetzt das Gespräch mit den Akteuren im politischen Raum suchen. „Unser Ziel ist: keine Abbindung der Gäubahn ohne Alternative“, sagt Belz.

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Auch der von mehreren Seiten diskutierte mögliche Nordhalt – eine noch zu bauende Umsteigestation im Norden von Stuttgart – stellt für die Gäubahn-Anliegerstädte keine Alternative dar, wie die Rathaus-Chefs von Böblingen, Singen und Horb klarmachten. Denn auch an einem Stuttgarter Nordhalt müssten die Fahrgäste umsteigen. „Und den Nordhalt gibt es ja auch noch gar nicht, der müsste erst gebaut werden. Also ist er gar keine Alternative“, merkt der Horber Oberbürgermeister Peter Rosenberger an.

„Wir wollen jedenfalls den Erhalt einer Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof“, gibt Belz das Ziel der Anlieger vor. Nicht nur der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler fürchtet, dass andernfalls viele Menschen lieber wieder aufs Auto umsteigen, statt die Bahn zu nehmen.

Singens OB Häusler zur Gäubahn Video: Bäuerlein, Ulrike

„Das Argument, man komme mit Umstieg in Vaihingen schnell zum Hauptbahnhof, zieht bei uns nicht“, sagt Häusler. „Es wird vielmehr die Menschen davon abhalten, überhaupt in den Zug einzusteigen.“ Der Singener Oberbürgermeister spricht aus eigener Erfahrung. „Ich bin auf meinen Fahrten von Singen über Stuttgart nach Berlin jedes Mal froh, wenn ich weniger als 15 Minuten Verspätung bei einem Umstieg habe“, sagt er.

Und auch der europäische Aspekt kommt Häusler in der Diskussion um den Stuttgarter Anschluss zu kurz. „Die starken Wirtschaftsräume Landkreis Konstanz und Zürich werden mit der Gäubahn von der Landeshauptstadt abgehängt.“