Silke Weidmann

„Bis zum Schluss hatten wir die Hoffnung auf ein Wunder, aber wir wussten eigentlich, dass es das nicht geben wird“, so beschreibt Stefan Balleis den Leidensweg der Familie. „Zum Schluss“ ist ein Tag im Februar 2019, an dem seine Tochter Alessandra kurz vor ihrem zweiten Geburtstag an einem Gehirntumor verstorben ist. Seither muss Familie Balleis mit dem Verlust, der Trauer, dem Schmerz leben lernen.

Während des Sommerurlaubs war den Eltern aufgefallen, dass Alessandras Auge verändert aussieht. Der Hausarzt überweist sie mit einem ersten Verdacht an die Uniklinik Augsburg. Nach der Biopsie ist klar: es ist ein hochaggressiver ETMR-Hirntumor. Laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum gibt es in Deutschland nur einzelne Fälle dieser Tumorart, wirksame Behandlungsverfahren gibt es nicht. So blieb auch bei Alessandra nur die Hoffnung, den Tumor mit einer Chemotherapie in Schach zu halten. Zusätzlich versuchte man es mit einer Arsentherapie. Doch das Ergebnis war erschütternd: Tumor und Metastasen wuchsen ungehemmt weiter.

Die Familienbilder mit Alessandra sind eine wichtige Erinnerung für Familie Balleis. Alessandra und Isabella hatten eine besonders enge ...
Die Familienbilder mit Alessandra sind eine wichtige Erinnerung für Familie Balleis. Alessandra und Isabella hatten eine besonders enge Bindung. | Bild: Silke Weidmann

Familie Balleis macht es sich daraufhin so schön wie möglich: Mit einem Palliativteam der Hilfsorganisation „Der Bunte Kreis“ an ihrer Seite, versuchen sie, die letzten gemeinsamen Wochen auszukosten. Das Wohnzimmer wird zum Familienschlafzimmer umgebaut. Die Großeltern sind da, Alessandras Pate kommt jeden Morgen vorbei, Freunde bringen Essen. Mama Franziska Balleis erzählt: „Sie war ein Stehauf-Kind. Aber irgendwann hat man gemerkt, sie kann nicht mehr.“ Da hätten sie gesagt: „Du darfst gehen, in unseren Herzen wirst du für immer bleiben.“

Die Liebe bleibt

Isabella, sechseinhalb Jahre alt, ist eine aufgeweckte, wissbegierige Erstklässlerin. Die Eltern berichten von einer ganz besonderen Bindung, die Isabella und Alessandra von Anfang an hatten. Auch die letzten Stunden ihres kurzen gemeinsamen Lebens haben die beiden mit Kuscheln und Spielen verbracht. Als vor vier Monaten die kleine Mariella zur Welt gekommen ist, „hat uns Isabella gefragt, ob sie Mariella auch verliere“, berichtet ihr Papa. Diese Angst spürten auch die Eltern, denn ein Kind zu verlieren erschüttert das Urvertrauen der ganzen Familie. „Wir sind jetzt zu fünft“, sagt Isabella mit der Selbstverständlichkeit einer Sechsjährigen. Ob zu Hause, im Auto, im Restaurant, Isabella achtet stets darauf, dass für Alessandra ein Platz eingeplant ist. „Und damit hat sie Recht“, meint ihr Papa, denn Alessandra wird immer ihren Platz in der Familie haben.

Für Isabella ist es in Tannheim eine heilsame Erfahrung, einmal nicht das einzige Kind mit solch einem Schicksal zu sein. In der Gruppe für Kinder, die Geschwister verloren haben, hat Isabella eine Sternschnuppe für Alessandra gebastelt. Für sich selbst hat sie eine Schatztruhe für kleine Erinnerungsstücke gemacht, erzählt sie. Die Eltern sind sehr berührt vom „Write Your Song“-Projekt. Jede Familie macht einen Vers für ihr verstorbenes Kind. Den Refrain singen dann alle zusammen. „Wir gehen nach vier Wochen gestärkt heim“, sagt Stefan Balleis.