Der Tod der jungen Mutter in Stockach bewegt die Region. Der mutmaßliche Täter soll ein Geständnis abgelegt haben und sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Er soll seine Partnerin mit einem Kabel erdrosselt haben. Jetzt lautet der Vorwurf der Ermittler Totschlag – nicht Mord.

Bei vielen stößt das auf Irritationen, weil dieser Straftatbestand weniger schlimm klingt. Wieso also ist das trotz der Tragik der Tat so? Simon Pschorr ist Staatsanwalt und Jura-Dozent im Strafrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz. Er erklärt den Unterschied zwischen Mord und Totschlag.

„Es ist ein Fehler zu denken, dass eine vorsätzliche Tötung gleich Mord ist“, sagt Pschorr. Entgegen einer bei Laien verbreiteten Meinung kann auch Totschlag geplant geschehen.

Mord nur bei „besonders verwerflichen Taten“

Um von Mord zu sprechen, müssen weitere Merkmale erfüllt sein. Es muss sich um eine „besonders verwerfliche Tat handeln“, so Pschorr. Ein Mörder ist laut Paragraf 211 Strafgesetzbuch, wer tötet aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken.

Beispielsweise sei ein Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs erfüllt, wenn die Tötung an sich sexuelle Erregung erzeuge, so Pschorr. „Nicht selten geht damit auch eine Vergewaltigung einher“, fügt er hinzu. Von Mord aus Habgier ist die Rede, wenn der Täter aus der Tötung des Opfers einen unmittelbaren Vorteil zieht und so beispielsweise in den Besitz der Beute kommt.

Der Staatsanwalt und Dozent der Uni Konstanz, Simon Pschorr, erläutert den Unterschied zwischen Mord und Totschlag.
Der Staatsanwalt und Dozent der Uni Konstanz, Simon Pschorr, erläutert den Unterschied zwischen Mord und Totschlag. | Bild: Simon Pschorr

Mord aus niederen Beweggründen ist kompliziert

Auch gemeingefährliche Mittel, zum Beispiel der Einsatz einer Bombe, erfüllen das Mordmerkmal. „Von Grausamkeit spricht man, wenn nicht nur die notwendigen Mittel für die Tötung eingesetzt werden, sondern der Täter übermäßige Gewalt anwendet. Das Opfer beispielsweise verbrennt“, erläutert der Staatsanwalt.

Mord aus niederen Beweggründen sei dagegen schwieriger festzumachen, so Pschorr. „Das ist der Fall, wenn die Tatopfer als Objekt und nicht mehr als Mensch gesehen werden“, ordnet Pschorr es ein. Meist wird die Frage nach den Hintergründen gestellt: Sind sie egoistisch, seien es oft niedere Beweggründe, bei einem altruistischen Motiv, also wenn der Täter zugunsten Dritter handelt, seien die niederen Beweggründe nicht erfüllt. „Der Tatbestand ist sehr weit und sehr unklar“, gibt Pschorr zu.

Tötung, um Trennung zu verhindern, kann Mord sein

Prinzipiell gebe es aber einige Fälle, bei denen Mord aus niederen Beweggründen sehr häufig erfüllt sei: Etwa, wenn der Partner getötet wird, um eine Trennung zu verhindern. Der Trennungsaspekt könnte nach jetzigem Wissensstand bei der Tat in Stockach eine Rolle gespielt haben.

Genau beurteilen will Jurist Pschorr diese Fälle aber noch nicht: „Ich kann nur anhand erstens eines konkreten Tatbildes und zweitens einer konkreten Tatmotivation beurteilen, ob Mord oder Totschlag vorliegt. Da bräuchte es Einblick in die konkrete Anklageschrift.“

Bei Trennungstötungen sei das sehr ambivalent. Beim Fall in Markdorf, wo ein Mann seine getrennt lebende 44-jährige Frau in einem Supermarkt erschossen hat, sei es ähnlich.

Das Problem der Ehrenmorde

Als niedere Beweggründe gelten auch rassistisch oder politisch motivierte Taten. „Auch Tötungen aufgrund anderer Moralvorstellungen als sie der Täter hat, sogenannte Ehrenmorde, fallen darunter“, sagt Pschorr.

Das sei sogar die häufigste Gruppe von Fällen, denen Gerichte das Mordmerkmal der niederen Beweggründe zusprechen, so Pschorr. Das komme vor allem durch ein noch immer verbreitetes Klischeedenken bei Richtern und Staatsanwälten. Wenn Männer Frauen töten, werde Tätern mit Migrationshintergrund häufiger ein niederer Beweggrund zugesprochen als Tätern ohne Einwanderungsgeschichte.

Frauen im juristischen Nachteil?

Zudem gebe es noch Mord aus Arglist, so Pschorr. „Obwohl Männer mehr Straftaten begehen, werden Frauen häufiger des Mordes angeklagt“, so der Jurist. Das liege vor allem an diesem Mordmerkmal, erläutert er: „Von Mord aus Arglist spricht man, wenn die Wehrlosigkeit eines Opfers ausgenutzt wird, dass sich keines Angriffs versieht. Also wenn ein verteidigungsloses Opfer, das keinen Angriff erwartet, getötet wird.“

Frauen greifen häufiger auf dieses Mittel zurück, weil sie beispielsweise ihrem gewalttätigen Ehemann körperlich unterlegen sind und deswegen Gift zur Tötung nutzen, so Pschorr.

Mordtatbestand aus Zeiten der Nationalsozialisten

Generell sieht Pschorr die Einordnung der Tötungsdelikte allerdings kritisch: „Der Mordtatbestand stammt noch aus der Zeit der Nationalsozialisten. Und die urteilten nach Tätertypen, nicht nach der Tat an sich.“ Das führt noch heute dazu, dass bei den Mordmerkmalen Unschärfen sind, die zum Teil zum Nachteil von Frauen gehen.

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