Meta Hiltebrand nimmt sich knapp drei Stunden Zeit für den SÜDKURIER in ihrem Zürcher Event-Kochstudio Cookcouture im Viadukt ganz in der Nähe der Hardbrücke. Siezen kommt für die 40-Jährige nicht in Frage. „Ich bin die Meta“, sagt sie Star-Köchin, die regelmäßig in diversen TV-Shows zu sehen ist.

Zu Beginn eine banale Frage, Meta: Was bedeutet Kochen für Dich?

Das ist gar keine banale Frage, ganz im Gegenteil. Das ist eine Lebensfrage für mich. Kochen ist mein Puls, mein Herzschlag, mein Lebenselixier. Wenn man mir das Kochen verbieten würde, würde ich wahrscheinlich eingehen.

Wie bist Du denn zum Kochen gekommen?

Eher durch Umwege. Meine Mutter hat wie selbstverständlich zweimal am Tag frisch gekocht, niemals das gleiche. Mir war nicht bewusst, dass meine Freunde nicht so privilegiert waren wie ich. Ich war eine sehr schlechte Schülerin, hatte einen Sprachfehler, ein Hörproblem, Legasthenie und das ADHS-Syndrom. Bei einer Schnupperlehre in der Küche wurde ich nach zehn Minuten für das perfekte Waschen von Feldsalat gelobt. Dann hat der Küchenchef gesagt: Meta, jetzt machen wir Schokoladenmousse – auch das hat hervorragend geklappt. Als er dann sagte, jetzt machen wir noch ein Schokoladenmousse, war ich zunächst enttäuscht. Doch er sagte: Nein, nein, wir machen das jetzt ohne Ei. Das war für mich total krass: Wahnsinn, man kann Schokoladenmousse mit oder ohne Ei machen. Damals war ich 15 Jahre alt und das hat mich so was von beeindruckt. Da war mir klar: Ich werde Koch.

Bild 1: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Anfang 2022 hast Du Dein Restaurant Le Chef in Zürich nach acht Jahren geschlossen. Welche Rolle hat die Pandemie gespielt?

Das lag nicht nur an Corona. Ich wollte mehr Lebensqualität haben und etwas ruhiger werden. Ich hatte nicht das erlebt, was andere 40-Jährige erlebt haben. Zum Beispiel war ich erst ein einziges Mal als Gast auf einer Hochzeit – die Zeit hat immer gefehlt. Heute mache ich nur noch Projekte, auf die ich wirklich Bock habe. Früher war alles sehr stressig und die Tage waren sehr lange. Jetzt kann ich glücklich sagen: Ich mache Kulinarik-Events, habe eine Kochschule, bin viel unterwegs in Deutschland für Fernseh-Formate, gebe Schulungen in der Schweiz, halte Vorträge. Ich mache Motivationstraining, setze mich für Förderkinder ein, da ich der lebende Beweis bin, dass man als sehr schlechter Schüler eine richtig erfolgreiche Karriere hinlegen kann.

Bild 2: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Gab es oder gibt es ein kulinarisches Vorbild?

Meine Mutter! Sie hat mit einer Leichtigkeit jeden Tag etwas Neues gekocht – das ist sehr beeindruckend. Vor allem ohne professionellen Background. Es gibt sonst nur einen Koch, bei dem mir mal der Atem stillgestanden ist: Alain Ducasse, der Soßengott. Ich bin auch ein Jünger von Georges Auguste Escoffier, ich liebe ihn für seine Kultur. Eigentlich lebe und arbeite ich nicht nach Vorbildern. Aber als ich Ducasse kennengelernt habe, war ich so wortkarg wie nie im Leben. Er hat mich mit seiner Aura und seiner Ruhe schwer beeindruckt. Seine Ruhe ist beängstigend.

Ruhe und Küche – das passt zusammen?

Als Chef, also als Rudelführer eines Männerclans, kann die Ruhe nicht schaden, sondern helfen. Wenn jemand leise und ruhig spricht, musst du zuhören. Wer schreit, hat ein Problem. Ich habe mir das von Ducasse abgeschaut – ich schreie nicht, weil ich es selbst nicht mag. Ich versuche eher, gelassen zu bleiben.

Bild 3: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Eine im besten Sinne verrückte Frau aus Zürich als Gegenpol zu den gestandenen und teilweise deutlich älteren Männern wie Johann Lafer, Alexander Herrmann, Tim Raue oder Alfons Schuhbeck. Wie wichtig ist der Typ Meta Hiltebrand für die Kochszene in Deutschland?

Mir war das lange nicht bewusst. Ich bin einfach diesen Weg gegangen. Die orangene Haarfarbe habe ich mir nicht selbst ausgesucht, sondern meine Schwester, die eine Marketingagentur hat. Sie hat mir auch die violette Kochschürze verpasst. Sie hat erkannt, dass ein optisches Alleinstellungsmerkmal hilft. Mir war das nicht bewusst, dass das heute einen Effekt hat. Aber ich sage: Ich habe bestimmt eine Berechtigung, weil ich eine Frau bin. Andererseits, weil ich bunt und anders bin als andere und weil ich ein Mutmacher bin für junge Leute wegen meiner Geschichte. Ich würde mich aber nicht als mega-wertvoll für die Branche empfinden, weil das wäre überdotiert. Ich koche einfach unheimlich gerne. Ich habe ein großes Herz für Menschen, die nicht alles können, und liebe Besonderheiten. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal von mir. Geld renne ich nicht hinterher, sondern immer nur der Berufung.

Gibt es genügend Frauen in der Branche?

Ich finde, es gäbe genügend tolle Frauen. Wir müssen unterscheiden zwischen einem Pressekoch in der Öffentlichkeit und einem Koch in der Küche. Im Hintergrund gibt es wahnsinnig viele Frauen, die super kochen, die aber nicht an die Front gehen, da sie nicht telegen sind und nicht gut reden können. Es braucht ein bisschen von beidem. Ein Problem mit Frauen: Wir kriegen nun mal die Kinder. So sehr wir uns auch für Gleichberechtigung einsetzen – eine Karriere fängt im Schnitt mit 30 Jahren an. Gleichzeitig ist das der Zeitpunkt für eine Frau, wo sie sich überlegen muss: Möchtest du Kinder haben oder nicht?

Bild 4: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Hast Du dir mit 30 diese Frage gestellt?

Ganz ehrlich: Ich hatte mit 30 gar keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich hatte immer Partner auf ihrem Karriereweg – daher war das kein Thema. Jetzt bin ich 40 und frage mich schon auch: War dieser Preis, den ich bezahlt habe, also auf Kinder zu verzichten, zu hoch? Das weiß man nie, ob man darin auch eine Berufung gesehen hätte. Ich kann viele Frauen verstehen, die sich für eine Familie entscheiden und daher darf man sie auch nicht dafür verurteilen. Wir brauchen Nachwuchs, wir brauchen Kinder, wir brauchen Einzahler für die Rentenkassen. Frauen bekommen nun mal Kinder.

Dein Lebensgefährte hat zwei Kinder.

Das eine Kind ist ja schon größer und nicht mehr als Kind zu bezeichnen. Aber sein Sohn ist für mich schon ein Motivationsschub und das genieße ich sehr. Also ich sage jetzt mal ganz frech: Ich habe ihn bekommen ohne Schwangerschaftsstreifen. Ich mag Kinder sehr, sehr gerne und nutze immer meine Zeit mit ihnen. Aber sobald ich wieder in der Küche bin, ist dieses Thema weit weg.

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Gibt es etwas, was Du am besten in der Küche kannst?

Eine meiner Spezialitäten ist das Storytelling. Ich versuche, mich bei deinen Emotionen zu bedienen. Diesen Beruf mache ich nicht nur gerne, weil ich gerne koche, sondern weil ich Menschen liebe. Ich mag es nicht, wenn Menschen beim Essen so reagieren: Mmmmhhhh, lecker. Das kann jeder. Es gibt aber diesen einen Glanz in den Augen, wenn Leute etwas essen – dieser Glanz ist so faszinierend, dass er mich erfüllt mit Tatendrang. Dann habe ich das Gefühl, noch mehr tun zu müssen, um diesen einen Blick noch einmal zu erhalten.

Was denkst Du: Was müsstest Du zubereiten, um diesen Blick von mir zu erhalten?

Ich bin mir sehr sicher, wenn ich Dir jetzt Apfelkrapfen machen würde, würde ich Dich erreichen. Oder einen Staubguglhupf. Diese Duftaromen, die bringen uns zurück in die Kindheit.

Da könntest Du Recht haben – schmeckt mir beides sehr gut.

Diese bekannten Aromen wandele ich um in eine Mahlzeit mit Konsistenzen und Emotionen. Beispiel: Ich mache gerne Popcorn-Suppe. Dann heißt es oft: Hey, Meta, hast Du einen Schaden? Du machst wirklich Popcorn-Suppe oder ist das einfach eine Mais-Suppe? Dann sage ich: Nein, nein, es ist eine Popcorn-Suppe. Und was passiert beim Duft von Popcorn? Du erinnerst dich an einen tollen Kinoaufenthalt. Jetzt entfremde ich deine Struktur und deine Momente, das heißt, du sitzt bei mir und du bekommst ein Glas tollen Wein und ich bringe dir eine Popcorn-Suppe. In dem Moment, in dem dir der Duft in die Nase steigt, sagst du: Aaaaahhh, wie früher! Und schon schenkst du mir diesen Glanz in deinen Augen. Diese Emotion liebe ich.

Bild 5: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Essen ist für Dich also ein kulinarisches Erlebnis, eine kulinarische Reise – und nicht nur dazu da, um satt zu werden?

Auf jeden Fall. Essen soll nicht satt machen. Der Film ‚Hunger‘ zeigt sehr schön, um was es geht. Auch der Film ‚Menü‘. Du sollst immer hungrig bleiben in deinem Leben. Jeder, der geiles Essen gegessen hat, der wird nicht satt, der will noch hungriger sein auf das nächste geile Essen. Dieser Hunger hilft, diese Talente aus jemandem herauszuholen. Hunger macht das ganze Leben schöner.

Also gibt es das Ziel, satt zu werden, gar nicht?

Es gibt kein satt werden. Satt wirst du nur von schlechtem Essen.

Wird es ethischer in der Küche? Wer eine Dokumentation über Fischfang und den Beifang sieht, wird vielleicht nie mehr Fisch essen wollen.

Dann sollte man sich auch eine Dokumentation über Schweineschlachtung anschauen. Zum Fleischkonsum kann ich nur eines sagen: Es liegt in unserer Natur, Fleisch zu essen. Das ist wie bei Katzen und Hunde, es liegt auch in deren Naturell, dass sie keine Vegetarier sind. Der große Unterschied: Früher hat der Mensch Tiere getötet, um zu überleben. Heute aus einem Luxusgrund. Wir töten heute viel mehr Tiere als es müsste. Wenn man in die Steinzeit zurückgeht, dann sieht man, dass der Mensch keine andere Wahl hatte. Es hat lange gedauert, das Tier zu fangen, zu erlegen und auszunehmen. Man hat das Fell verwendet, die Hufe als Medizin gebraucht, das Blut verwendet. Heute wünscht man sich, im Labor Rinderfilet herstellen zu können ohne Bewusstsein für das Tier. Mir wäre es wohl, wenn jeder Mensch, der Fleisch isst, einmal im Leben ein Tier töten würde. Ich habe das getan. Die Leute verurteilen mich dafür, wenn ich so offen darüber rede. Aber ich bin als Kind damit aufgewachsen.

Schweizer sind offenbar eher bereit, viel Geld fürs Essengehen auszugeben als Deutsche. Wie steht es ganz allgemein um die Wertschätzung gegenüber den Produkten?

Ich möchte das auf keinen Fall nur auf Deutsche oder Schweizer beziehen. So bin ich nicht. Ich bin ja auch halb Deutsche, meine Großmutter wohnte in Waldshut-Tiengen. Ich glaube, das einzige, was wir alle uns überlegen sollten, ist die Wertschätzung gegenüber den Produkten. Heute ist es selbstverständlich, in einen Supermarkt zu gehen, sich dort zu bedienen, mit Geld alles kaufen zu können, was man möchte, ohne sich zu überlegen, wie viele Ressourcen es braucht, einen Artikel zu produzieren. Wenn ich ein Schweineschnitzel kaufe, fängt es mit einem kleinen Ferkel an. Wo hat dieses Ferkel gelebt? Was hat es gegessen? Alles, was du isst, sagt etwas über dich aus. Die ganze Welt sollte sich auf die Rohstoffe konzentrieren. Ein Bauer wird heute belächelt, er hat keinen Stellenwert mehr in der Gesellschaft. Ohne Bauern aber hätten wir keine Milch, keine Kühe, kein Fleisch, kein Gemüse – für mich ist der Bauer der König. Wer dem Bauer keinen Respekt schenkt, sollte sich von Pillen ernähren.

Bild 6: Meta Hiltebrand: "Wer Fleisch ist, sollte einmal ein Tier töten"
Bild: Jürgen Rössler

Es fällt auf, dass einige Landsleute Dich hart kritisieren, da Du oft in Deutschland unterwegs bist.

Es gibt diesen Spruch vom Propheten, der im eigenen Land nichts wert ist, nicht ohne Grund. Die Schweiz ist ein megakleines und ein tolles Land. Ich bin unheimlich gerne hier. Was mir ein wenig fehlt, ist diese Leichtigkeit und diese Vergesslichkeit, die die Deutschen haben. Das ist nicht abwertend oder böse gemeint, im Gegenteil. Der Schweizer ist sehr nachtragend. Du hast einmal einen Fehler gemacht – der wird dir 30 Jahre vorgehalten. Der Deutsche erlebt so viel mehr in diesem großen Land mit 80 Millionen Menschen. Da hat er gar keine Zeit, sich ständig daran zu erinnern, was vor zwei Jahren war. Der Schweizer arbeitet und arbeitet und arbeitet, der hat manchmal wenig Realität und deshalb hängt er sich so rein.

Solche Sätze wird nicht jeder Schweizer gerne hören...

Ich bin Schweizer, aber auch Deutsche und sage ganz frech: Mein schlimmstes Problem ist, dass ich in der Schweiz Ausländer bin und auch in Deutschland. Das ist problematisch. Aber ich bin die einzige Schweizer Fernsehköchin, die es nach Deutschland geschafft hat. Da kann man ja auch positiv dahinter stehen, oder? Jemand, der immer schlecht in der Schule war und der keine reichen Eltern hat, hat diese Türen geöffnet und ist diesen Weg gegangen mit all dem Hass und all dem Neid, der mir begegnet ist. Dafür habe ich, denke ich, etwas Respekt und Lob verdient.

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