Der Wunsch der meisten pflegebedürftigen Menschen ist, so lange wie möglich im eigenen Zuhause wohnen zu können. So kommt es, dass die Nachfrage nach einer ambulanten Versorgung durch Pflegedienste groß ist – auch am Bodensee, wie einzelne Dienste bestätigen.
Mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ging die Zahl der Versorgungen zwar kurzzeitig stark zurück, nur wenige Monate später stieg die Nachfrage jedoch wieder an. Wolfgang Jauch, Vorsitzender der Sozialstation Bodensee, berichtet über den Rückgang: „Viele Patienten hatten Angst, sich anzustecken. Hinzu kam, dass viele Angehörige im Homeoffice waren und mehr Zeit hatten.“

Doch abgesehen von diesem kurzzeitigen Einbruch steige die Nachfrage nach ambulanten Diensten stetig an. „Die Menschen werden immer älter und im Alter immer pflegebedürftiger“, begründet Jauch. Hinzu kommt: „Der Markt an Pflegekräften ist leergefegt.“ Um diesem Zustand etwas entgegenzuwirken, bietet die Sozialstation Bodensee für ungelernte Arbeitskräfte seit einigen Jahren eine berufsbegleitende Ausbildung an.
Ab Mitte März dürfen ungeimpfte Pflegekräfte nicht mehr beschäftigt werden
Doch allein mit diesem Angebot könne die große Nachfrage nach Pflegekräften nicht gedeckt werden. Und die Situation werde sich in den kommenden Monaten noch weiter verschärfen, vermutet Jauch. Denn ab Mitte März dürfe die Sozialstation keine ungeimpften Pfleger mehr beschäftigen.

Pflegedienst Hertkorn muss jede Woche neue Anfragen ablehnen
Nicht nur die Sozialstation Bodensee kann die Nachfrage von Menschen, die auf einen Pflegedienst angewiesen sind, aktuell nicht stillen. Auch der ambulante Pflegedienst Hertkorn in Überlingen würde sich über neue Mitarbeiter freuen. Pflegedienstleiter Bernd Vogel macht deutlich: „Unser größtes Problem in der Pflege ist der Personalmangel.“
Etwas mehr als 100 Menschen werden aktuell von den Mitarbeitern des Überlinger Pflegedienstes versorgt – und es könnten weit mehr sein. „Jede Woche muss ich neue Anfragen ablehnen, weil wir einfach zu wenige Pflegekräfte haben“, sagt Vogel. Enttäuschung schwingt in seiner Stimme mit.

Der 54-Jährige steckt nach eigenen Angaben viel Zeit und Aufwand in die Mitarbeitersuche. „Es ist vergeblich.“ Zu schlecht seien die finanziellen Aussichten und die Arbeitszeiten für junge Menschen. Das mache es für den Pflegesektor zunehmend schwerer. Hinzu kommen coronabedingte Einschränkungen, die die Arbeit belasten.
Tragen der FFP2-Maske als zusätzliche Belastung
Pflegerin Larissa Sauter nennt das Tragen der FFP2-Maske als Beispiel und betont: „Beim Duschen ist es besonders mühsam. Die hohe Luftfeuchtigkeit im Bad, die körperliche Anstrengung und der Schweiß, der sich unter der Maske sammelt. Ich bin froh, wenn ich danach kurz an die frische Luft kann.“
Sauter arbeitet mittlerweile sei 31 Jahren als Pflegerin, seit 26 Jahren beim Unternehmen Hertkorn. Ihre Schicht beginnt früh am Morgen und endet am Mittag. Doch oft geht es für die 59-Jährige am Abend schon wieder weiter. „Ich habe mich an die Schichtarbeit und an die Arbeit am Wochenende gewöhnt“, sagt sie.
Doch das ist nicht selbstverständlich, betont Pflegedienstleiter Bernd Vogel. Die Familie müsse sich dem Beruf unterordnen und das sei für viele Interessenten nicht vorstellbar. „Die meisten unserer 15 Mitarbeiter arbeiten nur 75 oder 80 Prozent. Anders ist es kaum machbar“, erklärt Vogel.
„Ich bin nicht optimistisch, dass wir Stellen neu besetzen können.“Bernd Vogel, geschäftsführender Pflegedienstleiter Hertkorn
Für die Zukunft der Pflegebranche sieht der 57-Jährige schwarz. So sagt er beispielsweise: „Ich bin nicht optimistisch, dass wir die Stellen der Mitarbeiter, die in den kommenden Jahren in Rente gehen, neu besetzen können.“ Wie Vogel betont, sei die Corona-Krise keineswegs schuld am momentanen Zustand im Pflegebereich. „Auch ohne Pandemie wären wir in dieser Lage“, ist sich Vogel sicher.
Denn neue Pfleger würden nur dann kommen, wenn die Bezahlung im Beruf verbessert würde. Und darauf hat Bernd Vogel keinen Einfluss. „Uns sind preislich die Hände gebunden“, erklärt er. „Die Sätze, die wir bei den Klienten nehmen, sind durch Politik und Sozialleistungsträger festgelegt.“ Zwar habe es im Dezember eine Erhöhung des Satzes um knapp zwei Prozent gegeben, doch bei der „aktuellen Inflationsrate bringt das wenig“, sagt Vogel. Er ist der Meinung, dass die Politik weitaus mehr leisten muss, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken.