Live-Wahlauftritte fallen pandemiebedingt aus. Doch SÜDKURIER-Leser aus dem Bodenseekreis haben jetzt online die Möglichkeit, 90 Minuten lang ihre fünf Direktkandidaten des Wahlkreises 67 kennenzulernen: Dominique Emerich (CDU), Martin Hahn (Bündnis 90/Die Grünen), Klaus Hoher (FDP), Jasmina Brancazio (SPD) und Christoph Högel (AfD) debattieren mit den SÜDKURIER-Redakteuren Kerstin Mommsen (Redaktion Friedrichshafen) und Stefan Hilser (Redaktion Überlingen) zu den wichtigsten Themen dieser Wahl. Was kommt nach der Krise – und vor allem: Wer hat die besten Konzepte?
Raus aus der Corona-Pandemie

Ein Ausstiegszenario – das wollen freilich alle.
Doch während Martin Hahn, seit 2011 für die Grünen im Landtag, staatsmännisch die aktuelle Regierungsstrategie und das Impfmanagement von Grünen-Sozialminister Manne Lucha verteidigt (“alles richtig gemacht“), füllt FDP-Abgeordneter Klaus Hoher die Oppositionsrolle voll aus: „Die Gastronomiebetriebe haben noch nicht mal Abschlagszahlungen bekommen und sind am Ende.“
Einen scharfen Ton schlägt Elektroingenieur Christoph Högel (AfD) an: „Immer wieder müssen Gerichte die Regierungen einfangen, weil sie Gesetze verletzen.“ Er sei gegen jegliche „Pauschal-Lockdowns“. Rechtsanwältin Dominique Emerich (CDU) ist voll auf Linie der CDU-Ministerpräsidentenkandidatin Susanne Eisenmann: „Wir müssen so schnell wie möglich die Bildungspolitik hochfahren.“

Politikwissenschaftlerin Jasmina Brancazio (SPD) lobt vor allem das Kurzarbeitergeld als Kriseninstrument, das in der Finanzkrise 2008 vom Genossen Olaf Scholz erfunden wurde.
Raus aus der Wirtschaftskrise
Für Hahn und Brancazio ist klar: Ohne Kurzarbeit sähe es im Ländle schon düster aus. „Die Betriebe sind im Standby und können sofort wieder loslegen“, versichert Hahn. Kurzarbeit sei daher kein Instrument der Verzögerung, sondern der Bereitstellung. Genossin Brancazio, die sich in der Wahlarena als sehr leidenschaftliche Rednerin entpuppt, betont: „Wir müssen uns der Transformation stellen – und zielgerichtet überlegen: Wohin wollen wir mit unserer Wirtschaft, wie nachhaltig soll sie sein – und wie sehen die Arbeitsplätze der Zukunft aus?“

CDU-Juristin Emerich gibt sich als ruhige, sachliche Mahnerin: „Das kann auf Dauer nicht funktionieren, wir müssen auch an die Nachfolgegeneration denken.“ Mit ihrer Forderung nach Bürokratieabbau liegt sie voll auf der liberalen Linie von Hoher.
Raus aus der Bildungsmisere
Jasmina Brancazio, selbst Mutter zweier Grundschulkinder und damit voll im Homeschooling-Vereinbarkeits-Thema, liefert sich mit Martin Hahn, lange alleinerziehend mit vier Töchtern, einen Schlagabtausch. „Respekt, halten Sie durch!“ – ermutigt Hahn erschöpfte Eltern, die sich zwischen Homeoffice, Homeschooling und Haushalt zerreißen. „Durchhalteparolen reichen nicht!“, schießt Brancazio dazwischen, „es muss jetzt Pläne geben, wie die Kinder in der Schule dann wieder aufgefangen werden, es kann nicht so weitergehen wie zuvor.“ Ihr Credo: Mehr Lehrkräfte, mehr Investitionen in Schulen. Dem erteilt Hahn eine klare Absage: „Wir haben den besten Schüler-Lehrer-Koeffizient im Land und machen das sehr gut. Die Frage ist, ob mehr Geld mehr hilft, wenn das System vielleicht nicht ganz in Ordnung ist.“ Einig sind sich alle beim Thema Digitalisierung an Schulen: Hier gibt es einen großen Investitionsstau. „Bei der Digitalisierung ist jedes Entwicklungsland besser als wir“, gesteht Hahn. Zoff-Potential gibt es hingegen beim Thema achtjähriges Gymnasium: während Hoher (FDP) flächendeckend wieder G9 einführen will und Brancazio (SPD) G8 für einen Fehler hält, plädieren Hahn und Emerich für eine Fortführung.
Raus aus den Kitabeiträgen
Mit dieser SPD-Forderung steht Jasmina Brancazio allein in der Runde: „Wir versprechen uns von beitragsfreien Kitas Chancengleichheit, denn schon immer entscheidet der Geldbeutel der Eltern, ob das Kind in die Kita kommt oder nicht.“ Für Hoher ist das „Quatsch“, da der Staat übernehme, wenn es in Familien knapp werde. Zuspruch erhält er dabei auch von Emerich und Hahn. „Gebührenfreiheit würde ein völlig falsches Signal setzen“, sagt der grüne Direktkandidat – und es würde 700 Millionen Euro kosten. Högel sieht ein anderes Problem: „Es gibt einen Mangel an Kitaplätzen. Mit einem kostenfreien Platz baue ich noch keine Kitas.“
Raus aus der Wohnungsnot
Mit der Idee, Einfamilienhäuser zu verbieten, haben die Grünen eine breite politische Debatte um die Flächenpolitik entfacht. Ins gleiche Horn bläst auch Hahn: „Wir haben genug Einfamilienhäuser im Land, die gehören nur den falschen Leuten.“ Da wird es kurz hitzig. Der AfD-Kandidat Högel, selbst Befürworter von Neubaugebieten mit Einfamilienhäusern, raunt, man sei doch nicht im Sozialismus. Hahn wird laut: „Ich bin weit weg vom Sozialismus!“ Und da zeigt sich auch ein großes Streitthema einer möglichen neuen grün-schwarzen Koalition. So ist auch Juristin Emerich voll auf Linie der Union, wenn sie sagt: „Ich würde die Mietpreisbremse abschaffen, Eigentümern beim ersten Haus von der Grunderwerbssteuer befreien – und schnell Bauanträge durchpeitschen.“ Auch für Hoher ist klar: „Es muss neue Flächen und Beugebiete geben.“ Und selbst Genossin Brancazio erteilt der grünen Idee eine Absage: „Es muss sicher noch Einfamilienhäuser geben dürfen.“
Raus aus dem Fachkräftemangel
Während die Flüchtlingskrise noch das Top-Thema der Landtagswahl 2016 war – und der AfD den Einzug in den Stuttgarter Landtag bescherte, geht es aktuell vor allem um das Einwanderungsgesetz für Fachkräfte – für das alle Kandidaten sind – bis auf AfD-Mann Högel. Er mahnt: „Wir müssen uns entscheiden, ob wir Einwanderungsland sind oder nicht!“ Man könne nicht 60 Millionen Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig einen Sozialstaat aufrechterhalten. Mit dieser typischen AfD-Position beißt er vor allem bei SPD-Politikerin Brancazio, Tochter von Migranten, auf Granit: „Wir sind ein Einwanderungsland! Jeder Dritte in Baden-Württemberg hat Migrationshintergrund – und das muss man einfach mal akzeptieren!“ Als Högel die 37-jährige Friedrichshafenerin dann auch noch für ihre gelungene „Integration“ lobt, platzt Brancazio der Kragen: „Ich muss mich nicht integrieren! Ich bin von hier! Ich bin Deutsche!“

Rein in die Regierung
Am Ende der Runde steht die Gretchenfrage: Wer mit wem? Beliebtester Mann des Abends ist Martin Hahn (Grüne). Sowohl Jasmina Brancazio (SPD), als auch Dominique Emerich (CDU) und Klaus Hoher (FDP) geben ihm dem Handschlag. Högel (AfD) will gern mit allen. Und Hahn selbst? Er wählt Monique Emerich: „Ja, da haben wir schon Erfahrung, das klappt!“