Eigentlich hätte der Bebauungsplan für Daisendorfs Ortsmitte ein großer Wurf werden sollen. Bereits seit 2018 sucht die Gemeinde nach Lösungen, die verhindern sollen, dass Bauprojekte von Investoren den Charakter des Dorfes zunehmend entstellen. 2021 wurde die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen. Das Projekt ist recht weit fortgeschritten, ein erster Vorentwurf wurde zum Jahreswechsel öffentlich ausgelegt.

Anwohner entladen ihren Unmut

Doch nach einer turbulenten Bürgerversammlung und einer für viele eher irritierenden Gemeinderatssitzung scheint das ganze Vorhaben nun auf der Kippe zu stehen. Bereits am 25. März hatte die Gemeinde gemeinsam mit dem Friedrichshafener Stadtplaner Thomas Hirthe die Daisendorfer Bürger noch einmal zum Austausch über die Pläne eingeladen, die immerhin fast ein Drittel des Ortes betreffen. Anlass waren die Einwendungen, die in der Zwischenzeit von betroffenen Anwohnern eingegangen waren. Deren Unmut entlud sich im Rathaus denn auch deutlich.

Ex-Bürgermeister Helmut Keser: „Das war ein totgeborenes Kind, von Anfang an.“
Ex-Bürgermeister Helmut Keser: „Das war ein totgeborenes Kind, von Anfang an.“ | Bild: Jürgen Baltes

Grundsatzdiskussion im Gemeinderat

In der folgenden Gemeinderatssitzung am 8. April sollte das Gremium dann eigentlich über die Einwendungen und die entsprechenden Abwägungsvorschläge des Stadtplaners – ein Dokument mit 50 Seiten – beraten und das weitere Vorgehen diskutieren. Doch dazu kam es nicht. Bereits in der Bürgerfragestunde zu Beginn der Sitzung im vollbesetzten Rathaussaal wurde erneut heiß diskutiert. Er fühle sich „im falschen Film“, warf Ulrich Bernhard vom gleichnamigen Weingut ein. Der ganze Prozess sei „völlig falsch gelaufen“. Zwei Jahre lang habe kein Bürger seine Meinung sagen können. Und: „Die Mehrheit wollte etwas anderes als das, was Herr Hirthe hier vorgestellt hat.“

Hier sieht alles noch ganz harmlos aus: Das Styropormodell von Daisendorfs Ortsmitte, das der Stadtplaner damals im Rathaus ausstellte.
Hier sieht alles noch ganz harmlos aus: Das Styropormodell von Daisendorfs Ortsmitte, das der Stadtplaner damals im Rathaus ausstellte. | Bild: Jürgen Baltes

Die Bürgerbeteiligung sei kein offener Diskurs, sondern einseitig gewesen, meinte ein anderer. Ein Kritikpunkt waren vor allem die restriktiven Regelungen. „Warum werden wir derart drangsaliert, dass man maximal noch entscheiden darf, ob die Eingangstür nach links oder rechts aufgeht?“, fragte ein Anwohner überspitzt. Offenbar hatten viele Angst, dass „man das jetzt durchziehen will, nur weil es angestoßen ist“. Wiederholt wurde ein Bürgerentscheid zum Thema gefordert. Denn das Ganze sei „kein Pillepalle“.

Ex-Bürgermeister meldet sich zu Wort

Vor allem Daisendorfs Ex-Bürgermeister Helmut Keser tat sich mit ablehnenden Bemerkungen hervor: „Das war ein totgeborenes Kind, von Anfang an.“ Er stellte in Aussicht, dass sich die betroffenen Bürger juristisch massiv wehren würden. Gemeinderätin Susanne Winder räumte ein, dass sie dem Entwurf so nicht zustimmen würde. „Das ist 100 Jahre zurück.“ Gemeinderätin Monika Bernhard beschwichtigte: „Wir verschenken uns nichts, wenn wir noch eine oder mehrere Runden drehen.“ Ohnehin sei man bislang ja noch in einem „frühzeitigen Beteiligungsprozess“, sagte Bürgermeisterin Jacqueline Alberti, einer freiwilligen Leistung der Gemeinde. „Wir müssen irgendwie auf einen Nenner kommen.“ Kein Bebauungsplan sei jedenfalls „das schlechteste Ergebnis, das wir haben können“.

Alt und neu nebeneinander: Noch gibt es in Daisendorfs Ortsmitte zahlreiche alte Bauernhäuser.
Alt und neu nebeneinander: Noch gibt es in Daisendorfs Ortsmitte zahlreiche alte Bauernhäuser. | Bild: Jürgen Baltes

Vier Gemeinderäte in der Sitzung befangen

Als es schließlich um die angedachte Beratung ging, den Tagesordnungspunkt drei der Sitzung, brachte Gemeinderat Hasan Ögütcü den Antrag ein, in einer kommenden Sitzung noch einmal grundsätzlich darüber zu beraten, ob „wir den Bebauungsplan weiterverfolgen wollen oder nicht“. Mit fünf Stimmen gegen zwei Enthaltungen – Erwin Kraft und Bürgermeisterin Alberti – wurde der Antrag angenommen. Vier Räte waren befangen: Andreas Theiss, René Fuhs, Iris Rathgeber und Wolfgang Walter.

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Die anschließende Beratung reduzierte sich schließlich darauf, dass Stadtplaner Hirthe den verdutzten Zuhörern – Wort für Wort – die 50 Seiten langen Einwendungen und seine Abwägungen dazu vorlas – bis ihm die Stimme schwer wurde und Alberti den Einwendungspart übernahm. „Lesen können wir selber“, war aus den dünner werdenden Reihen der Bürger zu hören, die nach und nach den Saal verließen. Manch einen brachte die unfreiwillige Komik der Situation auch zum Lachen.

Hier hat sich die frühere Dorfmitte bereits deutlich verändert.
Hier hat sich die frühere Dorfmitte bereits deutlich verändert. | Bild: Jürgen Baltes

Ex-Gemeinderat erinnert an die Intention

Und was sagt Heinrich Straub zu dem Schlamassel? Der frühere Gemeinderat war schließlich wichtigste treibende Kraft hinter dem Bebauungsplanprozess. An der verfahrenen Diskussion will er sich nicht mehr groß beteiligen, erinnert aber gerne an die Ursprungsidee: In den vergangenen zehn Jahren habe der Druck von Bauträgern auf Daisendorf enorm zugenommen – etliche Bausünden zeugten davon. „Hat der Gemeinderat Dinge abgelehnt, die Baurechtsbehörde in Friedrichshafen aber festgestellt, dass sie rechtlich möglich waren, wurden unsere Beschlüsse ersetzt.“ Straub bezeichnet dies als „juristischen Häuserkampf“. Der Bauparagraph 34, unter dem die Ortsmitte bislang steht, erlaubt Neubauten „nach Art und Maß der umgebenden Bebauung“. Dies sei einst als Erleichterung gedacht gewesen, sagt Straub, werde aber zunehmend missbraucht. „Als Gemeinderat waren wir hier machtlos, bekamen aber gleichzeitig von den Bürgern immer wieder vorgehalten, was wir Schlimmes zugelassen hätten.“

Für Straub ist klar: Ohne Bebauungsplan wird Daisendorf irgendwann zu einem „völlig beliebigen Ort“ werden – „der auch ein Vorort von Frankfurt sein könnte“. Das bekomme man mittlerweile auch schon von den Feriengästen gespiegelt, nach dem Motto „wenn ihr so weitermacht, kommen wir nicht mehr her“. Und das wollen vermutlich auch die härtesten Gegner des aktuellen Entwurfs nicht.