Der Fachkräftemangel in der Pflege ist derzeit in aller Munde. Laut einer aktuellen Hochrechnung der Bertelsmann-Stiftung könnten deutschlandweit bis zum Jahr 2030 rund 500.000 Vollzeitpflegekräfte fehlen. Eine Entwicklung, die sich sowohl beim Klinikpersonal als auch bei den Patienten bemerkbar macht und die Krankenhäuser vor große Herausforderungen stellt.

Wie dramatisch ist die Situation beim Medizin Campus Bodensee (MCB)? Geschäftsführer Jochen Wolf, Pflegedirektor Andreas Stübner und Susan Würzner, Leiterin des Bereichs Personal und Organisation, sprechen über Probleme, deren Gründe und mögliche Lösungen.

Ist der Pflegenotstand in der Region angekommen?

„Das Thema Fachkräftemangel betrifft alle Kliniken und macht natürlich auch vor uns nicht Halt“, sagt MCB-Geschäftsführer Jochen Wolf. 2019 sei das erste Jahr, in dem es Schwierigkeiten dabei gab, alle Stellen in den Kliniken in Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten zu besetzen. „Es betrifft vor allem den Pflege-, aber auch den Funktionsdienst“, erklärt Wolf. Dabei handelt es sich um spezielle Fachkräfte, die zum Beispiel in den Operationssälen, auf den Intensivstationen oder in der Anästhesie arbeiten.

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Folgende Zahlen machen den Mangel deutlich: 2019 sind in den drei Verbundkliniken insgesamt 65 Pflege- und Funktionsdienststellen unbesetzt. Nur knapp über die Hälfte der Pflegemitarbeiter arbeiten in Vollzeit, der Rest in Teilzeit. „Außerdem haben wir bei den Pflegekräften einen sehr hohen Frauenanteil“, erklärt Jochen Wolf.

Von 1146 Beschäftigten im Pflege- und Funktionsdienst seien 1025 Frauen und nur 121 Männer. „Das ist in diesem Berufsfeld einerseits normal, andererseits stellt es uns vor Herausforderungen“, ergänzt Pflegedirektor Andreas Stübner. Denn im Falle einer Schwangerschaft müsse eine Pflegekraft schnell ersetzt werden, weil sie bestimmte Aufgaben im Kontakt mit Patienten oder auch Nachtdienste nicht mehr übernehmen dürfe.

Was bedeutet das für die Patienten?

„Wir stehen im Vergleich zu Kliniken in Nord- oder Mitteldeutschland derzeit noch ganz gut da“, erklärt Susan Würzner, Leiterin des Bereichs Personal und Organisation. So dramatisch, dass sich der Personalmangel auf die Qualität der Pflege auswirke, sei die Situation nicht. Bei den Patienten mache sich der Pflegenotstand also nicht bemerkbar. „Abgesehen davon, dass Patienten häufiger neue Gesichter sehen, da wir teilweise mit Fremdpersonal aufstocken müssen“, ergänzt Andreas Stübner.

Was sind die Gründe für den Fachkräftemangel?

Der Pflegenotstand resultiert nach Ansicht des MCB-Geschäftsführers aus Entwicklungen in vielen verschiedenen Bereichen. „Zum einen spielen die Rahmenbedingungen natürlich eine Rolle“, erklärt er und meint damit Aspekte wie mangelnde Bezahlung und fehlende Anerkennung. Da habe auch die Politik jahrelang Fehler gemacht. „Außerdem haben sich die Ansprüche und Bedürfnisse der Mitarbeiter geändert“, so Wolf. Eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit und ein guter Umgang im Team seien den Beschäftigten heute wichtiger als früher.

„Die Ansprüche und Bedürfnisse der Mitarbeiter haben sich verändert.“Jochen Wolf, Geschäftsführer des MCB
„Die Ansprüche und Bedürfnisse der Mitarbeiter haben sich verändert.“Jochen Wolf, Geschäftsführer des MCB | Bild: Medizin Campus Bodensee

Dazu komme die Tatsache, dass Prozesse und Abläufe in der Pflege so weit optimiert wurden, dass Patienten im Durchschnitt schneller entlassen werden können als früher. „Heute werden also in der selben Zeit mehr Patienten aufgenommen – das bringt eine Arbeitsverdichtung für das Personal mit sich, weil bei jeder Neuaufnahme eine gründliche Anamnese gemacht werden muss“, sagt Jochen Wolf. Darüber hinaus gebe es einen Standortnachteil: „Es gibt zu wenig Wohnraum. Und der, den es gibt, ist leider sehr teuer“, erklärt der Geschäftsführer.

Mit welchen Maßnahmen will der MCB gegensteuern?

„Eine einfache Lösung gibt es nicht“, ist sich Andreas Stübner sicher. „Um die Mitarbeiter langfristig zu binden muss der Rahmen stimmen“, sagt er. Deshalb habe eine Projektgruppe eine Reihe neuer Leitlinien erarbeitet, die ein gutes Betriebsklima und einen fairen Umgang im Team sicherstellen sollen.

„Für das Problem Fachkräftemangel gibt es keine einfache Lösung.“Andreas Stübner, Pflegedirektor des MCB
„Für das Problem Fachkräftemangel gibt es keine einfache Lösung.“Andreas Stübner, Pflegedirektor des MCB | Bild: Medizin Campus Bodensee

Außerdem biete der MCB seinen Mitarbeitern mit rund 150 verschiedenen Arbeitszeitmodellen die Möglichkeit, flexibel in Voll- oder Teilzeit zu arbeiten – auch Berufsrückkehrer könnten so wieder in den Klinikalltag integriert werden.

„Und die Politik hat nun offenbar auch gemerkt, dass sich etwas ändern muss“, sagt Stübner. So seien durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das im Januar in Kraft getreten ist, zusätzliche Stellen finanziert. „Wir haben um 40 Vollzeitstellen aufgestockt“, sagt Jochen Wolf. Die gilt es nun zu besetzen. Außerdem habe der Tarifvertrag die Bedingungen deutlich verbessert, ergänzt Susan Würzner. „Im vergangenen Jahr wurde ein deutlich höheres Einstiegsgehalt für Pflegekräfte festgelegt.“

„Wir wollen die Individualität der Pflegekräfte fördern.“Susan Würzner, Leiterin Personal und Organisation
„Wir wollen die Individualität der Pflegekräfte fördern.“Susan Würzner, Leiterin Personal und Organisation | Bild: Medizin Campus Bodensee

Können Fachkräfte aus dem Ausland für Entlastung sorgen?

Der Medizin Campus Bodensee bildet jedes Jahr 66 neue Pflegekräfte aus. Das allein reicht jedoch nicht, um den Personalmangel dauerhaft auszugleichen. „Wir werden vorläufig nicht ohne Fachkräfte aus dem Ausland auskommen“, erklärt Andreas Stübner.

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Schon in den vergangenen Jahren habe der MCB Personalakquise im Ausland betrieben – mit Erfolg. Seit 2017 wurden 36 Fachkräfte aus dem Ausland geholt, 17 weitere sollen im Laufe des Jahres 2019 noch folgen. Die Integration der Mitarbeiter koste jedoch Zeit, erklärt Susan Würzner. Da ausländische Pflegeausbildungen in Deutschland nicht automatisch anerkannt werden, durchlaufen die Beschäftigten ein sechsmonatiges Anerkennungsverfahren. So soll sichergestellt werden, dass sie die sprachlichen und fachlichen Anforderungen des Berufs erfüllen.